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       # taz.de -- Kommentar Weltwirtschaftsforum Davos: Verlangsamen und beschleunigen
       
       > Der Zeitgeist dreht sich, Kapitalismuskritik ist in. Aber will man in
       > einer müden, langsamen Gesellschaft leben? Doch wenig Wachstum bedeutet
       > nicht unbedingt wenig Dynamik.
       
   IMG Bild: Kapitalismuskritik in Davos. Die Demonstranten sind mit ihrem Protest nicht mehr allein, die Kritik ist im Mainstream angekommen.
       
       Kritik am Kapitalismus ist neuerdings wieder en vogue. Selbst Klaus Schwab,
       der Chef des großen Managertreffs von Davos, hat das Thema auf die Agenda
       gesetzt. Mehr demokratische Regulierung für die Märkte, höhere Steuern auf
       große Einkommen und Vermögen, mehr Investitionen in öffentliche
       Infrastruktur und Bildung – auf eine solche Politik können sich mehr Leute
       einigen als früher. Der Zeitgeist dreht sich. Schwieriger zu beantworten
       ist die Frage des Wachstums. Haben wir davon zu viel, ist weniger ratsam?
       Vielleicht wäre eine Doppelstrategie angebracht – verlangsamen und
       beschleunigen.
       
       Kritik am Wirtschaftswachstum ist eine Luxusdebatte. Die Menschen in China,
       Indien oder Afrika wollen sie sich nicht leisten, bis ihre Grundbedürfnisse
       erfüllt sind. In den alten Industrieländern aber scheint das
       kapitalistische Wirtschaftssystem an seine Grenzen zu stoßen. Die
       Wachstumsraten sinken, Ausnahmen bestätigen die Regel. Unter diesen
       Umständen fällt es schwerer, das große Versprechen der sozialen
       Marktwirtschaft auf Teilhabe für alle einzulösen.
       
       Möglicherweise sollten wir uns damit abfinden, in einer Gesellschaft zu
       leben, deren Wohlstand insgesamt nur noch wenig zunimmt. Das allerdings
       setzt einen neuen Contrat Social voraus. Bei insgesamt stagnierendem
       materiellen Niveau geht es nicht, dass einzelne Gruppen, etwa die Banken,
       Fantasierenditen für sich beanspruchen. Bescheidenheit hätte dann als Gebot
       für alle zu gelten.
       
       Aber will man in einer müden, langsamen Gesellschaft leben? Was ist mit den
       Studenten, die von den Unis kommen und in den behäbigen Firmen keine
       Stellen finden? Vielleicht läge ein Teil der Lösung darin, die Bedingungen
       für Unternehmen und Firmengründer dort zu verbessern, wo es nicht schädlich
       ist. Das man mit Firmengründungen zum Notar gehen muss, ist nicht unbedingt
       notwendig. Viele Genehmigungen und Regularien könnte man sich sparen. Das
       gilt auch für soziale Unternehmen, Genossenschaften und andere
       experimentelle Formen, die im gegenwärtigen Kapitalismus nicht vorgesehen
       sind. Wenig Wachstum muss nicht gleichbedeutend sein mit wenig Dynamik.
       
       29 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hannes Koch
       
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