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       # taz.de -- Vogelgrippeexperten verkünden Moratorium: Angst vor dem Supervirus
       
       > Weltweit stellen Virologen die Arbeit am Vogelgrippevirus ein. Eine
       > US-Behörde befürchtet, dass brisante Ergebnisse von Bioterroristen
       > genutzt werden könnten.
       
   IMG Bild: Auch die Forschung zum H5N1-Virus ist künftig ein Sperrbezirk.
       
       BERLIN taz | Die weltweit führenden Vogelgrippeexperten stellen für 60 Tage
       ihre Forschungen mit einer im Labor entwickelten Variante des
       Vogelgrippe-Erregers H5N1 ein. Die in den renommierten
       Wissenschaftsmagazinen Science und Nature veröffentlichte Entscheidung für
       dieses ungewöhnliche Moratorium wird von 39 Virologen aus Laboren rund um
       die Welt getragen.
       
       Der Forschungsstopp kam nicht ganz freiwillig. Vorausgegangen war eine
       heftige Kontroverse darüber, ob Forschungsergebnisse über diese vermutlich
       hochansteckende Virusvariante überhaupt veröffentlicht werden dürfen.
       Sicherheitsexperten befürchten, dass damit Bioterroristen eine Bauanleitung
       für eine B-Waffe geliefert werde, mit der eine weltweite, tödliche Pandemie
       ausgelöst werden könnte.
       
       Mit dem Moratorium wollen die Wissenschaftler den Politikern und Behörden
       Zeit geben, damit diese Regeln und Kriterien erarbeiten, wie künftig mit
       brisanten Forschungsergebnissen umgegangen werden soll. Entwickelt worden
       waren die Viren von Ron Fouchier von der Erasmus-Universität in Rotterdam
       und von Yoshihiro Kawaoka von der University of Wisconsin-Madison.
       
       ## Rund 580 nachweislich Infizierte
       
       Die Forscher wollten im Auftrag der National Institutes of Health (NIH) der
       USA untersuchen, ob der Vogelgrippevirus H5N1 durch Mutationen sein
       Ansteckungspotenzial steigern kann. Der Vogelgrippevirus, der 1997 erstmals
       in Asien auftauchte, hat seitdem zum Tod von Millionen von Vögeln geführt.
       
       Rund 580 Menschen haben sich nachweislich mit ihm infiziert, für 340 davon
       war die Infektion tödlich. Gefürchtet ist die Vogelgrippe, weil die
       Infektionen sehr häufig tödlich verlaufen. Eine Ansteckung erfolgte nur,
       wenn Menschen sehr engen Kontakt mit infizierten Tieren hatten.
       
       Epidemiologen befürchten das Schlimmste, sollte der Virus durch Mutationen
       sich so verändern, dass er wie etwa "normale Grippeviren" über Aerosole in
       der Luft andere Menschen infiziert. Eine rasante Ansteckungswelle rund um
       den Globus mit vielen Toten wäre die Folge.
       
       ## Viren für Frettchen
       
       Um dieses Risiko abschätzen zu können, untersuchten die Forscher mit
       Frettchen als Versuchstieren, wie schnell die Viren sich veränderten. Ihr
       Ergebnis: Nur fünf Mutationen reichten aus, damit die Tiere sich
       gegenseitig über den Luftweg ansteckten. Ihre tödliche Wirkung büßten die
       Viren dabei nicht ein.
       
       Die Forscher gehen davon aus, dass die Ergebnisse auf Menschen übertragbar
       sind. Unabhängig von einander reichten die beiden Forschergruppen ihre
       Publikation bei Science und Nature ein. Dass hier unter Umständen
       gefährliches Wissen veröffentlicht wird, fiel erst während des
       Begutachtungsprozesses auf.
       
       Das daraufhin von Science eingeschaltete US-Beratergremium für
       Biosicherheit NSABB empfahl, dass zwar die Forschungsarbeiten und zum Teil
       auch die Ergebnisse veröffentlicht werden könnten, die Methode aber und
       alles, was zum "Nachbauen" des Virus notwendig sei, sollten nicht
       publiziert werden.
       
       ## Moratorium als PR-Kampagne
       
       Diese Daten sollen nur ausgesuchte Wissenschaftler erhalten. Sowohl Science
       als auch Nature willigten ein. Einigen Kritikern ging das nicht weit genug.
       Sie fragten, warum überhaupt derart gefährliche Forschungsprojekte
       notwendig seien. Die New York Times forderte gar, dass die neuen Viren
       unverzüglich zerstört werden müssten - zu groß sei die Gefahr, dass sie aus
       dem Sicherheitslabor entkommen könnten.
       
       Vermutlich um vorzubeugen, dass Gesetze erlassen werden, die die Forschung
       mit gefährlichen Viren zusätzlich einschränken oder gar verbieten, haben
       die Wissenschaftler das jetzt verkündete, zeitlich begrenzte Moratorium
       beschlossen. Forscher Richard Ebrigth von der Rutgers University in New
       Jersey hält das Moratorium laut Science sogar nur für eine PR-Kampagne.
       
       27 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Wolfgang Löhr
       
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