URI: 
       # taz.de -- Leben mit Pädophilie: Die Angst vor sich selbst
       
       > Wie lebt man mit dem Wunsch, Sex mit Kindern zu haben? Was tut man, wenn
       > man sich zwar von Kindern fernhält und dann Onkel wird? Ein Betroffener
       > erzählt.
       
   IMG Bild: Nur der Umgang kann verbessert werden, die Neigung bleibt ein Leben lang.
       
       Ein Lachen geht über das Gesicht der kleinen Maike*, als sie Tobias M.* das
       Märchenbuch gibt. „Da, lies mir doch mal vor“, sagt sie. Tobias, ein guter
       Bekannter ihrer Eltern, seufzt. „Na gut“, sagt er und nimmt die 8-Jährige
       auf den Schoß. Maike kuschelt sich an ihn, lehnt ihren Kopf an. Auch Tobias
       macht es Spaß. Doch schon während des Vorlesens merkt er, dass etwas nicht
       stimmt. Sein Herz rast. Er wünscht sich, dass die Situation nie endet.
       
       Tobias M. ist pädophil. Er steht auf Mädchen, „noch nicht in der Pubertät,
       sportlich, nicht zu schlank, nicht zu mollig, dunkle Haare, braune Augen“.
       Tobias ist ein Mann mittleren Alters, hat blonde Haare. „Hallo, freut
       mich“, sagt er, als er vor dem eigens gemieteten Berliner Apartment steht.
       Er hatte gebeten, für das Gespräch eine Wohnung zu mieten, damit nicht
       andere Leute zuhören. Tobias trägt ein kariertes Hemd in die Hose gesteckt,
       die oberen beiden Knöpfe sind offen.
       
       Tobias weiß, dass Pädophile als Abschaum der Gesellschaft gelten. Trotzdem
       spricht er relativ offen über sein Leben. Denn Tobias ist ein Betreiber der
       Internetseite [1][www.schicksal-und-herausforderung.de], die eine
       Anlaufstelle sein soll für Pädophile, die nichts so wenig wollen, wie sich
       an Kindern zu vergehen. „Das ist mir ein wichtiges Anliegen, dafür betreibe
       ich Öffentlichkeitsarbeit“, sagt er. Trotzdem möchte Tobias auch
       Journalisten seinen wahren Namen nicht sagen. Am Telefon meldet er sich mit
       „Hallo, ich bin's“, seine Mail-Adresse ist anonymisiert.
       
       ## Selbstbetrug
       
       Tobias hat eine glückliche Kindheit in Brandenburg, erzählt er. Er wächst
       geborgen bei seinen Eltern und Geschwistern auf. In der Schule hat er
       Freunde. „Insgesamt führe ich aber schon damals ein sehr zurückgezogenes
       Leben.“ Mit Mädchen läuft nichts. Auch als Tobias in die Pubertät kommt,
       geht er kaum auf Partys, hat keine Freundin. „Ich dachte nicht darüber
       nach, habe mir gesagt, du bist halt ein Spätzünder.“ Dass er vorpubertäre
       Mädchen extrem süß findet, merkt er. „Aber das finden doch alle Männer,
       dachte ich.“
       
       Die Schulzeit geht vorbei, Tobias macht eine Ausbildung, fängt an zu
       arbeiten.
       
       Es ist ein Abend im Sommer. Tobias surft ziellos im Internet. Irgendwann
       sieht er auf einer Pornoseite einen Link zu einer Kinderpornoseite. Mädchen
       zwischen fünf und zehn in Unterwäsche. Er fühlt sich angezogen, klickt
       weiter. „Ich habe mich wie in einem Rausch gefühlt.“
       
       Schließlich landet Tobias, Wochen später, bei Bildern mit Kindern, die
       gerade missbraucht werden. Er fühlt sich erregt, klickt die Bilder aber
       wieder weg. Er weiß, dass sie nicht in Ordnung sind. Fünf Minuten später
       ist er trotzdem wieder auf der Seite. Kurz danach rennt er zum Klo, muss
       kotzen. „Es war krass.“
       
       Tobias ringt mit sich. Nach wie vor lehnt sein Gewissen die Bilder ab, doch
       ihm ist ein sexuelles Verlangen bewusst geworden. „Jetzt hast du's schon
       einmal gesehen, jetzt ist es auch egal“, rechtfertigt er sich vor sich
       selbst. „Klar hätte ich jetzt wissen müssen, dass ich pädophil bin, aber
       ich habe es nicht an mich herangelassen.“ Den Kindern macht es ja Spaß,
       redet er sich ein, auf dem einen Foto lachen sie doch, auf dem anderen
       tanzen sie.
       
       Zwischendurch hat Tobias eine kurze Beziehung mit einer erwachsenen Frau,
       die er bald beendet. Er kann sie nicht lieben, nicht mit ihr schlafen.
       
       Tobias hört kurz zu sprechen auf. Draußen hat es zu regnen angefangen. Er
       erzählt seine Erlebnisse nicht chronologisch und in allen Details. Er
       verliert manchmal den Faden, muss durch mehrmalige Nachfragen zum Erzählen
       gebracht werden. Oft sagt er „man“ statt „ich“ und: „Das kann ich nicht
       sagen.“ Er spricht ruhig, sieht meistens auf seine Hände.
       
       Eines Tages fährt ein Polizeiauto an Tobias vorbei. Tobias zuckt im ersten
       Moment, macht Anstalten, den Wagen anzuhalten, sich wegen der Kinderpornos
       anzuzeigen. Er lässt es doch.
       
       Die Anzeige kommt trotzdem. Eines frühen Morgens trommelt die Polizei an
       seine Tür, zeigt ihm einen Durchsuchungsbefehl. Die Beamten beschlagnahmen
       den PC und CDs. Tobias wird verurteilt. Zehntausend Euro wird ihn das alles
       kosten.
       
       ## Lebenslänglich
       
       Nun fasst er einen Entschluss. Er ruft von einer Telefonzelle aus seine
       Krankenkasse an – aus Angst, durch seine Nummer erkannt zu werden. „Für
       jemanden wie Sie gibt es keine Hilfe“, wird ihm gesagt. Doch das stimmt
       nicht. Tobias wendet sich an das „Präventionsprojekt Dunkelfeld
       ([2][kein-taeter-werden.de])“ der Berliner Charité-Klinik.
       
       Er wird zu einem Gespräch eingeladen, füllt Fragebögen aus. Dann weiß es
       Tobias, inzwischen über 30, endgültig. Er ist pädophil. Pädophil.
       
       Tobias wird depressiv. „Ich wollte mich umbringen, ich sah keine
       Berechtigung mehr für mein Leben.“ Er bekommt Angst vor sich selbst. Wird
       auch er einer der Täter werden, von denen er in der Zeitung liest?
       Eigentlich schließt Tobias aus, dass er auf ein Kind losgeht. Doch wird er
       sich immer unter Kontrolle haben? Tobias spricht mit seinem Spiegelbild,
       möchte hineinschlagen. Pädophil!
       
       Tobias outet sich in seiner Familie. „Sie hatten zuerst natürlich ein
       Fragezeichen im Gesicht“, sagt er. Zwar reagieren seine Eltern
       verständnisvoll, lassen sich beim Therapieprojekt Dunkelfeld beraten. Doch
       das Verhältnis kühlt für einige Zeit ab. Auch ihnen fällt der Umgang mit
       der Pädophilie schwer, das Beschwindeln der Angehörigen.
       
       Die erste Therapiestunde beginnt. Tobias sitzt in einem Stuhlkreis in einem
       kahlen weißen Raum. Um ihn herum sitzen neun andere Männer, zwei
       Therapeuten. Die Stimmung ist angespannt. Einer der Therapeuten sagt, dass
       nur der Umgang mit der Pädophilie verbessert werden kann, die Neigung werde
       ein Leben lang bleiben. Tobias ist geschockt. Er glaubt, der Boden unter
       den Füßen würde ihm weggezogen.
       
       Kurze Zeit später erfährt Tobias, dass er Onkel wird. Es ist ein Mädchen.
       Nun hat er ein Ziel, er möchte ein guter Onkel sein. Tobias hält die
       Therapie durch, auch wenn er schwere Phasen durchmacht. Es ist eine harte
       Zeit, sagt er. „Man kommt an seine Grenzen, muss in Abgründe blicken, wozu
       andere nicht den Mut hätten.“ Er geht ein Jahr lang einmal die Woche zu den
       Sitzungen.
       
       Tobias weiht einen Kollegen in seiner Firma ein, seine Hausärztin. Er nimmt
       hormonsenkende Medikamente, redet in Gruppensitzungen über sein Leben,
       lernt, sich in potenzielle Opfer hineinzuversetzen. Auch macht er bei
       Gedankenspielen mit: Er muss sich vorstellen, er liege auf einer Wiese. Ein
       Kind kommt und breitet seine Decke aus. Was fühlt er? Dann dieselbe Szene
       noch mal. Jetzt ist er das Kind und ein Mann beobachtet ihn.
       
       Tobias muss die Übung mit starken Angstgefühlen abbrechen.
       
       ## Onkel sein
       
       Seine Nichte kommt auf die Welt. Tobias schafft es, sich um sie zu kümmern
       und trotzdem angemessenen Abstand zu halten, sagt er. Bestimmte Situationen
       meidet er, etwa, sie zu wickeln.
       
       Die Sonne scheint wieder. Mittlerweile ist es früher Abend. Tobias atmet
       tief durch. „Tja, so vergingen die Monate. Dann war das Jahr vorbei.“
       
       Er hat nun gelernt, seine Neigung zu kontrollieren, sagt er. Er definiert
       sich nicht mehr über seine Pädophilie, sondern darüber, wie er mit ihr
       umgeht. Schwimmbäder, Parks, Spielplätze meidet er weitgehend. Woher seine
       pädophile Neigung kommt, weiß Tobias nicht. Es interessiert ihn auch nicht.
       Wichtig ist ihm, dass er einen relativ normalen Alltag leben kann, auch
       wenn er außer seinen Eltern und Geschwistern kaum jemanden hat.
       
       Natürlich hat Tobias Sehnsucht nach körperlicher Nähe, Zärtlichkeit, Liebe.
       Er hasst es, jeden Morgen alleine aufzuwachen. Aber eine Beziehung mit
       einer erwachsenen Frau, eigene Kinder? Undenkbar. „Wie soll das
       funktionieren? Soll ich eine Kontaktanzeige aufgeben: Junge Frau mit noch
       recht kindlichem Körperbau gesucht?“
       
       *Namen geändert
       
       28 Jan 2012
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.schicksal-und-herausforderung.de
   DIR [2] http://kein-taeter-werden.de
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Peter Seybold
       
       ## TAGS
       
   DIR sexueller Missbrauch
   DIR Kinderpornografie
   DIR Schwerpunkt Gender und Sexualitäten
   DIR Dokumentation
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ermittlungen zu Kinderporno-Ring: Die Insel der Unseligen
       
       Nach Aufdeckung eines Missbrauchsrings sind weltweit 14 Verdächtige
       identifiziert. Im Forum wurden sogar Szenen mit Kleinstkindern getauscht.
       
   DIR Kinderporno-Ring aufgeflogen: Die Abgründe des Netzes
       
       Rund 87.000 Menschen tauschten auf der Darknet-Plattform „Elysium“ Bilder
       und Videos und verabredeten Treffen. Unter den Opfern sind Kleinstkinder.
       
   DIR Resultate eines Projekts mit Pädosexuellen: „Bei mir stimmt was nicht“
       
       Wenn Jugendliche merken, dass sie sich zu Jüngeren hingezogen fühlen – was
       tun? In Berlin wurden Ergebnisse eines Pilotprojekts vorgestellt.
       
   DIR 3Sat-Doku „Unheilbar pädophil?“: Auf der Suche nach Antworten
       
       Ist Pädophilie therapierbar? Können zumindest Taten verhindert werden? 3Sat
       widmet sich am Themenabend Tätern, Opfern und Wissenschaftlern.
       
   DIR Pädosexuelle im Bistum Trier beschäftigt: „Missliche“ Anstellung
       
       Bischof Ackermann beschäftigt sieben pädosexuelle Täter in seinem Bistum
       Trier. Dem Beauftragten der Regierung stellt sich die Frage der
       Glaubwürdigkeit.
       
   DIR TÜV testet Spielplätze: Mängel aus Mangel an Erkennen
       
       Gefährliche Engstellen an Klettergerüsten, fehlender Sand unter Rutschen:
       Auf Spielplätzen lauern teils erhebliche Gefahren für Kinder, wie der TÜV
       Rheinland herausgefunden hat.
       
   DIR Film über pädosexuellen Mann: Eine Chronik des Misslingens
       
       Es geht um Kindesmissbrauch: Ungewohnt nüchtern erzählt Markus Schleinzer
       in "Michael" von den Ritualen der Unterdrückung. Aber etwas fehlt seinem
       Blick.
       
   DIR Der pädosexuelle Kollege: Die hässliche Seite des netten Didi
       
       Bevor Dietrich W. die taz mitbegründete, hat er in der Odenwaldschule über
       Jahre mit Kindern masturbiert. Pädosexuelle, die Missbrauch propagierten,
       verlachte er als "Irre".
       
   DIR Essay Schwulenbewegung und Pädosexualität: Schlüssel zu einer besseren Welt
       
       Die linke Schwulenbewegung hat sich von Pädosexuellen nicht distanziert.
       Auch in der taz wurde mitfühlend über Täter berichtet. Die damaligen
       Wortführer schweigen bis heute.
       
   DIR Enthüllungen aus der linksalternativen Szene: Nicht nur die Indianer
       
       Im Alternativmilieu der 1970er und 1980er Jahre fühlten sich auch
       bekennende Pädophile wohl – trotz "sexueller Revolution" mochten aber nicht
       alle mit Tätern fraternisieren.