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       # taz.de -- Pharma-Kontrolleur über Schmerzmittel: "Von Leberschäden bis zum Tod"
       
       > Paracetamol-Missbrauch hat 800.000 Deutsche krank gemacht, sagt
       > Pharma-Kontrolleur Schwerdtfeger. Er fordert Rezeptpflicht für
       > Analgetika-Großpackungen.
       
   IMG Bild: Besser nur, wenn es gar nicht anders geht: Zu viele Schmerzmittel machen krank.
       
       taz: Herr Schwerdtfeger, Sie wollen die Abgabe rezeptfreier Schmerzmittel
       begrenzen. Pillen und Fiebersäfte wie Aspirin oder Ibuprofen, die in jeder
       Hausapotheke zu finden sind, sollen künftig nur noch in Packungsgrößen
       erhältlich sein, die eine 4-Tage-Dosis nicht überschreiten. Warum? 
       
       Walter Schwerdtfeger: Weil alle diese Tabletten Nebenwirkungen haben.
       Nebenwirkungen, die erheblich sein können, wenn die zulässige Tagesdosis
       überschritten wird oder wenn die Medikamente über einen längeren Zeitraum
       ohne ärztliche Kontrolle eingenommen werden. Das geht von Leber- und
       Nierenschäden über Magenblutungen und allergene Reaktionen bis zum Tod.
       Dennoch werden diese Nebenwirkungen häufig unterschätzt oder sind gar nicht
       bekannt. Viele Patienten sagen: Wenn die Tabletten frei verkäuflich sind,
       können sie ja nicht so schädlich sein.
       
       Warum aber eine frei verkäufliche 4-Tage-Dosis? Konsequent wäre es doch, zu
       sagen, Sie stellen alle Schmerzmittel generell unter Verschreibungspflicht. 
       
       Das wäre übertrieben. Stellen Sie sich vor, jeder Patient mit Kopfschmerz
       oder Fieber müsste gleich am ersten Tag wegen einer Verschreibung zum Arzt!
       Diese Masse an zusätzlichen Patienten wäre nicht handhabbar. Die
       Wartezimmer sind voll.
       
       Die Furcht vor Zusatzkosten im Gesundheitssystem schlägt das
       Sicherheitsargument? 
       
       Nein. Wir wissen, dass banale Kopfschmerzen und Fiebererscheinungen
       vorkommen für ein paar Tage und auch wieder weggehen, ohne dass man
       deswegen einen Arzt konsultieren muss. Verschwinden sie jedoch nach drei
       bis vier Tagen nicht, ist davon auszugehen, dass die Ursache schwerwiegend
       ist und durch einen Arzt abgeklärt gehört. Zugleich ist durch Studien
       belegt, dass sich die Risiken von Schmerzmitteln nach dem vierten Tag der
       Einnahme erhöhen. Europäische Nachbarländer wie Österreich, die Schweiz
       oder Frankreich haben bereits reagiert und einige frei verkäufliche
       Packungsgrößen entsprechend verkleinert.
       
       Trotzdem: Mit einer generellen Verschreibungspflicht würden Sie die
       Missbrauchshürde sehr viel höher hängen. Beugen Sie sich dem Druck der
       Pharmaindustrie? 
       
       Eine Änderung der Packungsgrößen würde die Hersteller mit entsprechenden
       Kosten belasten. Auch die gesetzliche Krankenversicherung erwartet offenbar
       Mehrausgaben, wenn mehr Produkte über Rezept laufen und mehr Arztbesuche
       nötig werden. Ob und in welchem Umfang es tatsächlich dazu käme, bleibt
       abzuwarten. Das BfArM beurteilt finanzielle Aspekte grundsätzlich nicht.
       Unsere Aufgabe als Bundesinstitut ist es, für die Sicherheit von
       Arzneimitteln zu sorgen.
       
       Glauben Sie wirklich, dass Sie Menschen so zum verantwortungsvolleren
       Umgang mit Arzneimitteln erziehen? Es braucht doch bloß Apothekenhopping,
       um sich weiterhin ganz legal mit Schmerzmitteln in rauen Mengen
       einzudecken. 
       
       Das ist nie ganz auszuschließen. Der Apotheker würde aber seinen Kunden
       erläutern müssen, warum er nur noch kleine Packungen rezeptfrei abgeben
       kann. Im Unterschied zu heute würde der Käufer dann das Risiko der Einnahme
       zu großer Mengen kennen.
       
       Heißt das im Umkehrschluss, dass Apotheker und Ärzte bislang unzureichend
       aufgeklärt haben? 
       
       Das wird im Einzelfall sehr unterschiedlich gehandhabt. Es gibt ja jede
       Menge brisantere Medikamente, über die der Apotheker vermutlich eher
       informieren würde, wenn er sie abgibt. Hier aber handelt es sich um gängige
       Produkte, bei denen schnell der Eindruck entsteht, dass sie unschädlich
       wären, eben weil sie ohne ärztliche Verordnung erhältlich sind.
       
       Wie groß sind die Gesundheitsschäden, die durch rezeptfrei erhältliche
       Schmerzmittel entstehen, verglichen mit den durch rezeptpflichtige
       Analgetika entstehenden Schäden? 
       
       Hierzu liegen uns keine Zahlen vor. Das europäische Meldesystem ist so
       gestrickt, dass nur neue unerwünschte Nebenwirkungen gemeldet werden. Über
       die Häufigkeit bekannter Nebenwirkungen dagegen wissen wir wenig. Generell
       gilt: Es geht hier um keine Geringfügigkeiten. Es gibt zum Beispiel zu
       Paracetamol gute Untersuchungen, die belegen, dass durch dauerhafte
       Einnahme ein chronischer Kopfschmerz überhaupt erst erzeugt wird. Das
       betrifft nach aktuellen Schätzungen etwa 1 Prozent der deutschen
       Bevölkerung, immerhin 800.000 Menschen. Bei den Giftnotzentralen ist
       darüber hinaus eine nicht unerhebliche Zahl von Vergiftungen mit einigen
       dieser Arzneimittel registriert. Die Kombination mit Alkohol oder die
       gleichzeitige Einnahme zwei verschiedener Schmerzmittel verstärkt die
       unerwünschte Wirkung; auch dies ist in der Bevölkerung kaum bekannt.
       
       Sind diese Gefahren in der Vergangenheit unterschätzt worden, auch von
       offizieller Seite? 
       
       Wir entwickeln die Instrumente zur Überwachung der Sicherheit von
       Arzneimitteln stetig neu. Dazu kommt ein erhöhtes Risikobewusstsein, und
       zwar bei Patienten wie auch bei Ärzten. Nicht zuletzt kommt es vor, dass
       erst nach zehn oder zwanzig Jahre langer Anwendung Risiken überhaupt
       bekannt werden. Dieser Erkenntnisfortschritt führt dazu, dass Behörden wie
       unsere handeln.
       
       23 Jan 2012
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Haarhoff
       
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