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       # taz.de -- Kommentar Abu-Jamal: Der Fall bleibt ein Skandal
       
       > Anstatt die Zweifel an Abu-Jamals Schuld auszuräumen, will die Justiz
       > einen Bleideckel über die Affäre legen. Die Umwandlung der Strafe ist ein
       > Etappenerfolg - kein Umbruch.
       
       Fast auf den Tag genau 30 Jahre nach seiner Verhaftung in Philadelphia kann
       Mumia Abu-Jamal die Todeszelle verlassen: Seine Strafe - wegen eines
       Polizistenmords im Jahr 1981, den er immer bestritten hat - ist in
       "lebenslänglich" umgewandelt worden.
       
       Der 58-Jährige darf also leben. Diese Nachricht kommt spät. Aber sie bleibt
       gut. Die Umwandlung der Strafe ist zu allererst eine Reaktion auf die
       eigene hartnäckige, hochpolitische und selbstbewusste Verteidigung des
       schwarzen Bürgerrechtlers und Journalisten. Ohne diese Fähigkeit, die
       Abu-Jamal von anderen Gefangenen in den USA unterscheidet, wäre er längst
       tot und vergessen.
       
       Zugleich ist die Umwandlung der Strafe eine Antwort auf ein
       jahrzehntelanges juristisches Tauziehen, auf eine beispiellose
       internationale Solidaritätskampagne und auf das Anwachsen innenpolitischer
       Proteste gegen die Todesstrafe in den Vereinigten Staaten. Insofern ist der
       Verzicht auf die Hinrichtung Abu-Jamals ein Stück gebremste Rache.
       
       Zugleich bleibt der Fall ein Skandal. Denn anstatt die Zweifel an
       Abu-Jamals Schuld auszuräumen, will die Justiz in Philadelphia einen
       Bleideckel über die Affäre legen. Sie will die Kampagne für den
       prominentesten Todeskandidaten der USA beenden. Zugleich soll dem
       Verurteilten jede Möglichkeit auf einen neuen Prozess genommen werden - und
       damit die Hoffnung, das Gefängnis lebend zu verlassen. Denn die
       Entscheidung impliziert, dass Abu-Jamal bis zum Ende seiner Tage hinter
       Gittern schmoren wird. Obwohl es Indizien dafür gibt, dass seine
       ursprünglichen Richter auch rassistische Motive hatten. Obwohl Geschworene
       beeinflusst worden sind. Und obwohl manche Zeugenaussagen durch spätere
       Recherchen erschüttert scheinen.
       
       So erfreulich der Verzicht auf die Hinrichtung von Abu-Jamal ist, so
       erschütternd bleibt zugleich die Realität im Gefängnissystem der größten
       Demokratie der Welt. Zusammen mit China, dem Iran, Nordkorea und Jemen
       führen die Vereinigten Staaten von Amerika die Weltrekordliste bei
       Hinrichtungen an. Die Mehrheit der US-Bevölkerung - der demokratische
       Präsident inklusive - hält an dem Prinzip der Todesstrafe fest.
       
       In den Todestrakten des Landes tickt in diesem Moment die Uhr für 3.300
       Menschen. Angesichts dessen ist die Umwandlung der Todesstrafe von
       Abu-Jamal in "lebenslänglich" ein Etappenerfolg. Aber noch lange kein
       Umbruch.
       
       8 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dorothea Hahn
   DIR Dorothea Hahn
       
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