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       # taz.de -- Dietmar Bartsch über die Linkspartei: "Ich kann das nicht mit ansehen"
       
       > Dietmar Bartsch will Parteivorsitzender werden. Ein Gespräch über
       > Reichensteuer und Löhne, die eigene Unbeliebtheit und das Talent der
       > Linken, sich selbst zu zerlegen.
       
   IMG Bild: "Mir geht es nicht vor allem darum, recht zu haben", sagt Dietmar Bartsch. Lieber will er Parteivorsitzender werden.
       
       taz: Herr Bartsch, Sie wollen 2012 als Parteivorsitzender der Linkspartei
       kandidieren. Warum? 
       
       Dietmar Bartsch: Weil die Linke hinter den politischen Erfordernissen und
       ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Weil wir im zurückliegenden Wahljahr
       viele unserer Ziele nicht erreichten. Weil die Mitgliederzahlen rückläufig
       sind und wir in den politischen Debatten zu wenig vorkommen. Und weil ich
       glaube, gemeinsam mit anderen die Linke wieder auf die Erfolgsspur führen
       zu können.
       
       Was können Sie besser als Gesine Lötzsch und Klaus Ernst? 
       
       Bei der Erklärung meiner Kandidatur habe ich gesagt, was ich machen will,
       und auch gesagt, dass ich einiges anders machen will.
       
       Anders gefragt: Was haben Lötzsch und Ernst falsch gemacht? 
       
       Im Mai 2010 lagen wir bei den Umfragen zwischen elf und zwölf Prozent,
       jetzt zwischen sechs und neun. Das ist eine Tatsache. Das ist jedoch keine
       Entwicklung, die man Gesine Lötzsch und Klaus Ernst allein aufladen kann,
       ich bin für diese Situation auch mitverantwortlich. Wir haben in den
       letzten anderthalb Jahren schlicht nicht die Themen und unsere Antworten in
       die Öffentlichkeit gebracht.
       
       Welche Themen wären das? 
       
       Mindestlohn, Millionärssteuer, Kampf gegen Hartz IV, armutsfeste Renten und
       keine Rente erst ab 67, raus aus Afghanistan, solidarische Gesundheits- und
       Pflegepolitik waren und sind Erfolgsthemen. Zukünftig sollte eine zentrale
       Forderung der Linken die Rückgewinnung des Öffentlichen sein. Das heißt:
       Energie, Wasser, Infrastruktur, Kultur, Gesundheit müssen für alle
       erschwinglich sein und dürfen nicht dem Profitstreben unterliegen. Auch die
       Banken gehören unter öffentlich-rechtliche Kontrolle.
       
       Wir brauchen mehr kommunales Eigentum, genossenschaftliches Eigentum,
       öffentliches Eigentum. Wir wollen ein Bankensystem, das auf drei Säulen
       ruht: Sparkassen, Genossenschaftsbanken und staatliche Großbanken. Ich
       denke, dass wir damit wirklich punkten können. Das müsste man natürlich
       konkret untersetzen, und dann haben wir bei der Bundestagswahl 2013 wieder
       gute Chancen.
       
       In Ihrem Blog sprechen Sie von "Gegenwehr" gegen Ihre Person. Welche gibt
       es? 
       
       Es gibt Funktionsträger aus einigen Landesverbänden, die gleich nach meiner
       Kandidatur erklärt haben, mit dem nicht. Wenn man so lange wie ich in
       Positionen war, in denen permanent Entscheidungen zu treffen sind - zum
       Beispiel als Bundesgeschäftsführer und Wahlleiter -, dann hat man immer
       auch Gegenwind. Solange das fair bleibt, habe ich damit kein Problem. Ich
       rate aber zur Gelassenheit.
       
       Im Juni haben wir unseren Parteitag, da werden wir Entscheidungen treffen,
       mit denen wir in die Bundestagswahl gehen. Ich bin ganz sicher, dass nicht
       jede Entscheidung jedem gefallen wird. Die Linke muss die eigenen
       Vorschläge und Ziele eindeutig formulieren und im Übrigen die
       Auseinandersetzung nicht in den eigenen Reihen, sondern mit der politischen
       Konkurrenz führen.
       
       Das ist gut gesagt. Die Partei zerreibt sich seit Monaten in
       Führungsdebatten. Ihre Kandidatur ist zwar demokratisch, sie polarisiert
       aber erneut. 
       
       Jetzt zu diskutieren, da kandidiert einer und das bringt Probleme - das
       sehe ich überhaupt nicht so. Die Alternative wäre, wir machen weiter wie
       bisher. Wenn über den Parteivorsitz via Mitgliederentscheid bestimmt werden
       soll, was ich möchte, muss das jetzt auf den Weg gebracht werden.
       
       Mit wie vielen Mitbewerbern rechnen Sie noch? 
       
       Ich habe gesagt, dass ich mir welche wünsche.
       
       Ist es ein nicht Zeichen von Führungsschwäche, die Parteichefs durch die
       Basis bestimmen zu lassen? 
       
       Nein. Gerade in der Linken gibt es zu Recht die Forderung nach mehr
       direkter Demokratie. Das steht uns gut an. Ich möchte nicht, dass wieder
       ein kleiner Kreis über Personalfragen entscheidet und dann sagt, wenn ihr
       die nicht wählt, dann bricht die Partei zusammen. Das finde ich nur
       begrenzt demokratisch.
       
       Als Parteichef würden Sie mit Oskar Lafontaine zusammenarbeiten. Können Sie
       sich das gut mit ihm vorstellen? 
       
       Wir haben 2009 erfolgreich zusammengearbeitet, Oskar Lafontaine als
       Spitzenkandidat und Parteivorsitzender, ich als Bundesgeschäftsführer und
       Wahlkampfleiter. Wieso sollte es bei erfahrenen Leuten und gleichen
       politischen Zielen ein Problem in der Zusammenarbeit geben?
       
       Haben Sie über Ihre Kandidatur vorher mit ihm gesprochen? 
       
       Ja.
       
       Und was hat er gesagt? 
       
       Das geht nur uns beide etwas an. Wir hatten ein langes Gespräch, bei dem es
       vor allem um Politik ging und wir konstruktiv miteinander geredet haben.
       
       Meinen Sie, dass Sahra Wagenknecht trotz Dementis als Parteichefin
       kandidiert? 
       
       Das ist ihre Entscheidung. Ich würde mir wünschen, dass es zügig eine Frist
       gibt, bis zu der Kandidatinnen und Kandidaten sagen, dass sie kandidieren,
       damit man ein ordentliches Verfahren hinkriegt. Ich gehe davon aus, dass
       diese Entscheidung im Januar getroffen wird.
       
       Können Sie sich eine enge Zusammenarbeit mit Sahra Wagenknecht vorstellen? 
       
       Sahra Wagenknecht und ich sind beide stellvertretende Vorsitzende der
       Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Wir arbeiten seit vielen Jahren
       zusammen und hatten immer ein solidarisches Verhältnis, bei allen
       politischen Differenzen. Auch im letzten Wahlkampf, den ich verantwortet
       habe, war Sahra Wagenknecht Kandidatin und sie hat die erforderliche
       Unterstützung erfahren.
       
       Wäre ein Linkspartei-Vorsitzender Bartsch das Signal an die SPD, bereit zu
       sein für eine Regierungsbeteiligung? 
       
       Dieses ganze Koalitionsgerede hilft im Moment überhaupt nicht. Es geht mir
       darum, die Linke zu stärken, die Bundestagswahl vorzubereiten und in der
       Öffentlichkeit und außerparlamentarisch aktiv zu sein. Und zwar mit und
       über unsere Mitglieder. Die sind unser Kapitän. Die Linke ist nun mal nicht
       geliebt bei der Konkurrenz, schließlich wollen wir eine andere
       Gesellschaft, eine demokratisch-sozialistische. Linksbündnisse erreicht man
       nur über Inhalte und Bewegungen.
       
       Sie haben mal gesagt, Sie hätten ein "emotionales Verhältnis" zu Ihrer
       Partei. Wie stehts denn darum gerade? 
       
       Das ist immer noch da, auch wenn ich in den letzten zwei Jahren durchaus
       Momente hatte, die diese emotionale Verbindung nicht befördert haben. Ich
       habe mir die Entscheidung, zu kandidieren, nicht leicht gemacht. Aber ich
       kann den Stillstand der Partei nicht mitansehen - und das ist dann wohl
       auch Ausdruck meiner Emotionalität, nach der Sie fragten. Ich will nicht,
       dass wir Richtung fünf Prozent oder gar darunter rutschen und weitere
       Mitglieder verlieren.
       
       Im Westen gelten sie nach wie vor als unbeliebt. Wie wollen Sie das ändern? 
       
       Das kann ich so nicht bestätigen, ich habe dort sehr viele freundliche
       Begegnungen und habe viel Zustimmung von dort in den letzten Tagen
       erfahren. Dass es Einzelne in meiner Partei gibt, die mich nicht mögen,
       weiß ich schon und schlage dennoch den Mitgliederentscheid vor.
       
       Wie will sich diese zerstrittene Partei aus Ost/West, Mann/Frau,
       Realo/Fundi einigen? 
       
       Von diesem ganzen Flügelgeflattere ist doch nur ein Bruchteil wahr. Die
       Masse der Mitglieder will davon nichts wissen, im Osten wie im Westen. Es
       gibt die linke Volkspartei im Osten, die politische Verantwortung, auch
       Regierungsverantwortung übernehmen will. Und in den alten Ländern sind wir
       mehr eine Interessenpartei, die teilweise in den Parlamenten noch nicht
       vertreten ist. Es gibt in der Linken einige, die immer Bescheid wissen, und
       die, die noch Fragen haben. Ich war schon mal in einer Partei, die immer
       recht hatte. Mir geht es nicht vor allem darum, recht zu haben, sondern die
       Gesellschaft zu verändern.
       
       8 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Anja Maier
       
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