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       # taz.de -- Szeneviertel und Traditionen: „Made in Taiwan“-Label ist verpönt
       
       > Ein hoher Turm, künstlerische Kleinode und Szeneviertel in Taiwans
       > Hauptstadt. Das chinesische Gassenviertel Ximen ist ein „Muss“ für
       > Taipeh-Besucher.
       
   IMG Bild: Schrill und bunt ist die Neonwerbung in Taiwans Hauptstadt.
       
       Die meisten Leute assoziieren Taiwans Hauptstadt mit dem „101“, dem
       zweitgrößten Hochhaus der Welt. Mit seinen 508 Metern überragt der Tower
       die Stadt. Nachts funkelt der Turm, benannt nach der Anzahl seiner
       Stockwerke, in verschiedenen Farben – er ist über mehrere Kilometer
       Entfernung zu erkennen. Er beherbergt ein Einkaufszentrum, Büros und eine
       Besucherplattform, zu der man mit Expressfahrstühlen kommt. Bis zum Juli
       2007 war er der höchste Wolkenkratzer der Welt.
       
       Dass das höchste Gebäude mittlerweile in Dubai steht, tut seiner
       Strahlkraft keinen Abbruch. Vierzig Jahre lang hatte die regierende
       nationalistische Kuomintang (KMT) mit eiserner Hand den Aufstieg Taiwans
       zum Wirtschaftswunderland Asiens vorangetrieben. Inzwischen nimmt die
       kleine Insel vor der Küste Chinas mit ihren 23 Millionen Einwohnern als
       Handelsnation den dreizehnten Platz ein.
       
       Das traditionelle Taipeh findet sich in der Yong Chang Street: In einer
       Garage hocken zwei Männer auf Kartons und grübeln über einem Brettspiel.
       Ein Teegeschäft reiht sich an das andere. In der Heilkräuterhandlung riecht
       es nach Kampferöl und Weihrauch. Das Geschäft ist Apotheke und Teeladen
       zugleich.
       
       Der Besitzer, ein zartgliedriger Mann, zeigt auf eine Teemischung. „Das
       hier ist gut für den Kreislauf“, sagt er und öffnet eine Schublade des
       dunklen Holzregals, das hinter der Ladentheke steht. Dann malmt er mit
       einem Mörtel ein Häufchen getrockneter Blätter und wiegt die Ware mit alten
       Gewichtsstücken. 500 Gramm Tee kosten einen Euro.
       
       Ximen ist das Szeneviertel der Stadt. Auf Chinesisch heißt Ximen
       Westportal. Der Bezirk zählt zu den fortschrittlichsten und modernsten
       Gegenden Taipehs. Frauen in Minirock und mit übergroßen Sonnenbrillen
       begleiten Mädchen mit japanischer Schuluniform.
       
       „Die Mode wird von Korea, Japan und den USA beeinflusst“, sagt Lily Chuang.
       „Und bisweilen wird sie mit taiwanischem Stil verknüpft. Spezialisierte
       Schneider nähen koreanische Logos auf amerikanische Jeans, frisieren
       Cowboystiefel zu asiatischen Ausgehschuhen um und designen T-Shirts, die
       sich vom verpönten ,Made in Taiwan'-Label deutlich abheben.“
       
       In einem Tattoo-Studio liegt ein junger Mann auf einer Pritsche und lässt
       sich ein japanisches Tribal stechen. Drei mannsgroße Hunde liegen faul
       daneben. Passanten bleiben stehen und beäugen das skurrile Schauspiel
       durchs Fenster.
       
       Neben Ausgehbezirk und Shoppingmeile ist Ximen ein ursprünglich erhaltenes
       chinesischen Gassenviertel. Mittendrin steht der konfuzianische
       Luangshan-Tempel. Berühmt ist er für seine detaillierten Steinmetzarbeiten
       und Holzschnitzereien.
       
       „Es gibt einen Gott für die Erde, einen für den Himmel und einen für das
       Wasser“, erklärt Reiseleiterin Lily Chuang. Wie schon vor 2.000 Jahren
       beenden die Gläubigen ihre Tempelzeremonie damit, dass sie Räucherstäbchen
       in einen goldenen Bottich werfen.
       
       Der kleine Lastwagen an der Straßenecke, in dessen Laderaum eine Platte
       rüttelt, ist ein Erdbebensimulator. Jeder, der möchte, kann hier erfahren,
       wie sich ein Erdbeben der Richterskala sechs anfühlt.
       
       Man wird kurz durchgeschüttelt, ehe man unter dem Gekicher begeisterter
       Kinder das Gefährt verlässt. Ein paar Meter weiter führt ein Künstler seine
       Zaubertricks vor.
       
       Er wirft drei Münzen in einen Kochtopf, entzündet ein Feuer, setzt den
       Deckel drauf – und zieht urplötzlich einen Geldschein heraus. Das Viertel
       lebt von der Dichte an ausgefallenen Geschäften und spontanen Darbietungen.
       
       ## Liberale Metropole
       
       Ximen ist die Heimat einer Subkultur. Künstler sprühen auf
       Garageneinfahrten und Hausmauern Graffiti. Mal sind es einfache
       Comicfiguren oder Schriftzeichen, mal anspruchsvolle Szenen aus einem
       Spielfilm. Nicht alles ist rechtmäßig
       
       Neben einer Skaterbahn dürfen die Künstler ihre Gemälde ganz legal
       anbringen – die Stadtwaltung hat dies offiziell erlaubt. Der Bürgermeister
       zögerte nicht, selbst den ersten Pinselstrich zu setzen. „Kreativität ist
       endlos“, hat er auf die Mauer geschrieben. Die Stadt präsentiert sich gerne
       als liberale Metropole.
       
       Abends lebt die Stadt auf dem Nachtmarkt in Shilin. Aus den Boxen der
       Kleiderläden wummern dann laute Bässe. Stones, Shakira, Snoop Dog.
       
       Viele Besucher, die sich durch die engen Gassen schlängeln, halten Ausschau
       nach einem Häppchen oder Schnäppchen. Allerdings: Gefeilscht wird auf dem
       Markt nicht. Die Taiwaner fürchten nichts mehr als den Gesichtsverlust.
       
       10 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Adrian Lobe
       
       ## TAGS
       
   DIR Festival
       
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