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       # taz.de -- Bürgerprotest gegen Sicherungsverwahrte: Nicht bei uns
       
       > In Hamburg-Jenfeld sollen künftig zwei entlassene Sicherungsverwahrte
       > leben - die Anwohner protestieren. Drei SenatorInnen versuchten, ihnen
       > das Konzept nahezubringen. Erfolglos.
       
   IMG Bild: Anwohner mit Humor begrüßen die neuen Nachbarn offenbar schon mal.
       
       HAMBURG taz | Die Stimmung ist ein bisschen wie vor einem Boxkampf am
       Dienstagabend im größten Saal der Helmut-Schmidt-Universität in
       Hamburg-Jenfeld. Dabei ist es nur eine Bürgersprechstunde. Auf dem Podium
       sitzen die Justizsenatorin, der Sozial- und der Innensenator und
       Bezirks-Chef. Journalisten sind gekommen, auch Vertreter der Opposition.
       Und die Anwohner.
       
       Auch der Anwalt der beiden Männer, um die es hier geht, ist da. Nur die
       beiden Männer nicht, und das ist wohl besser für sie: Herr W. und Herr D.,
       so nennt man sie auf dem Podium; diese Männer, "Täter" und auch
       "Kinderficker" nennt man sie im Saal. Herr W. und Herr D. waren
       jahrzehntelang in Sicherungsverwahrung, nun sind sie freie Männer. Geht es
       nach dem SPD-Senat, sollen sie künftig in einem leer stehenden Altenheim in
       Jenfeld leben. Geht es nach den Jenfeldern, sollen sie irgendwo leben. Aber
       nicht hier.
       
       Die Senatoren sind gekommen, um in einen Dialog mit der Bevölkerung zu
       treten, sagen sie. Sie hätten sich die Situation nicht ausgesucht. Sie
       sagen nichts dazu, dass die Dinge bereits entschieden sind, und dass es nur
       darum geht, sie zu erläutern. Aber die Leute werden bereits unruhig, als
       der Sozialsenator das Arbeitskonzept für die beiden Männer erklärt. Müssen
       sie nun arbeiten oder nicht?, wollen sie wissen, und als der Senator von
       dem Sicherheitsdienst spricht, der rund um die Uhr im Haus sitzen soll, und
       von der tagesstrukturierenden Beratung, ruft der erste dazwischen: "Wer
       zahlt das?" "Die Stadt", sagt der Senator. Das stößt auf Unmut.
       
       Eine Schülerin steht auf, sie ist aufgeregt, als ginge es um einen
       Auftritt, aber das ist es hier ja auch. Sie müssten auf dem Weg zur Schule
       ganz in der Nähe des Altenheims vorbei, sagt sie, wo der Kinderschinder,
       nein Kinderschänder, dann ja lebe und warum man die Täter im Blick habe und
       nicht die Schüler.
       
       Nach den Tätern wird erstaunlich wenig gefragt. Der stellvertretende Leiter
       der Hamburger Kriminalpolizei wird später ungefragt erklären, dass Herr W.
       59 Jahre alt ist, also kein junger Mann mehr, er ist wegen mehrfacher
       Vergewaltigung verurteilt, saß fast 30 Jahre in Süddeutschland in Haft und
       kam 2010 nach Hamburg. Nicht unbedingt freiwillig, mehrere andere Orte hat
       er verlassen, nachdem die Bevölkerung von seiner Anwesenheit erfuhr und
       protestierte.
       
       "Er hat Ängste", sagt der Kriminalpolizist und der Saal gerät in Aufruhr.
       Herr W. ist aus Sicht der Polizei ungefährlich, dennoch wird er fortwährend
       von der Polizei überwacht. Herr D. ist 60 Jahre alt, "kein
       Sexualstraftäter", sagt der Kriminalpolizist. D. ist wegen Totschlags
       verurteilt, er besucht freiwillig die sozialtherapeutische Anstalt und
       bewegt sich seit einem Jahr unbegleitet durch die Stadt. Wenn D. Alkohol
       trinke, könne er gefährlich werden, sagt der Polizist, aber genau deshalb
       werde er regelmäßig auf Alkoholkonsum kontrolliert.
       
       Es gibt viele Fragen. Die Leute stellen sich vor, sie haben keine Scheu vor
       den Politikern. Im Gegenteil. Sie fragen immer wieder, ob die Senatoren
       eine Garantie dafür übernehmen könnten, dass nichts passieren werde; ob die
       Unterbringung tatsächlich nur für ein Jahr geplant sei.
       
       "Ja", sagt die Justizsenatorin, danach laufe der Mietvertrag ohnehin aus,
       weil dann auf dem Grundstück gebaut werde. Sie sagt, dass jetzt Planungen
       für die Zeit danach liefen. Sie sagt nicht, was für Folgen es hat, dass die
       beiden Männer erklärt haben, nicht nach Jenfeld kommen zu wollen. Wegen der
       Polizeiüberwachung sei es dort "wie im Zoo", haben sie ihrem Anwalt
       erklärt.
       
       Die Jenfelder wollen wissen, warum es immer den Hamburger Osten treffe,
       warum ihren Stadtteil, der doch versuche, dem Bild des sozialen Brennpunkts
       zu entkommen, warum dort, wo es Schulen und Kitas gebe. "Nimm ihn doch zu
       dir", rufen sie den Senatoren entgegen.
       
       Und die Senatoren? Die Justizsenatorin versucht, ein paar rechtliche Fragen
       zu klären. Herr W. und Herr D. seien freie Männer, sagt sie, sie könnten
       ihren Wohnort frei aussuchen. Die Stadt Hamburg habe keine andere Wahl, als
       das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs umzusetzen, der die
       nachträgliche Sicherungsverwahrung für Unrecht erklärt hat. Aber sie dringt
       nicht durch. Sie sagt nicht, dass Hamburg das erste Bundesland ist, das ein
       solides Konzept zum Umgang mit diesen Entlassenen vorlegt, statt zu
       versuchen, sie in andere Bundesländer abzuschieben.
       
       Eine Frau will wissen, wie genau der Tagesablauf der Männer aussehen soll
       und wie die rund-um-die-Uhr-Bewachung. Da steht ein Mann auf und sagt: "Das
       ist keine von uns. Die kommt doch vom Senat oder von der Presse."
       
       Geklatscht wird bei anderen Beiträgen. Die Männer hätten ihr Recht
       verwirkt, wie normale Menschen behandelt zu werden, schreit eine Frau im
       rosa Jackett, die möchte, dass die Justizsenatorin sie ansieht. Das gefällt
       den Leuten besser. Wenn jemand ungefährlich sei, könne man ihn freilassen,
       sagt ein Mann. Wer gefährlich sei, gehöre ins Gefängnis. Er berührt da,
       vielleicht ohne es zu merken, eine schwierige Frage. Wie rechtfertigt sich
       eine rund-um-die-Uhr-Bewachung für einen freien Mann?
       
       Das Gericht hat entschieden, dass bei Herrn W. nicht die hochgradige Gefahr
       schwerster Sexual- und Gewalttaten besteht, die eine Entlassung verhindern
       würde. Danach hat eine Fallkonferenz entschieden, dass er bewacht werden
       soll - wenn auch immer weniger, das erwähnt an diesem Abend aber niemand.
       Stattdessen verweist der Innensenator darauf, dass die Polizisten auch
       nicht froh über ihre Aufgabe seien. Aber dass man die Sicherheit und die
       Sorgen der Bevölkerung eben ernst nehme.
       
       "Sind Sie beruhigt?", fragt der Moderator eine Frau. Nein, sie ist nicht
       beruhigt. "Was könnte Sie beruhigen", fragt er weiter. "Wenn die Männer
       nicht in der Nähe von Schulen und Kindergärten wären", sagt sie. Ein Mann
       murmelt "abbrennen", das sei die Antwort. "Wir machen Ihnen die Hölle
       heiß", ruft ein anderer in Richtung Podium und der Saal tobt. Die
       Schlussworte der Senatoren sind eher kraftlos.
       
       Sie wolle im Dialog bleiben, sagt die Justizsenatorin und eine Frau im
       Publikum ruft lachend, dass man ja Telefonnummern austauschen könne. Der
       Sozialsenator will keine Garantie dafür geben, dass die Wiedereingliederung
       gelingt, was eine ehrliche Antwort ist. Nicht ganz so ehrlich scheint seine
       Erklärung, dass es dazu kein Gutachten gebe - zumindest der Anwalt
       schüttelt den Kopf.
       
       Dann können die Jenfelder den Senatoren noch einzeln Fragen stellen, aber
       der Bedarf ist überschaubar. Die Frau im rosa Jackett steht in einer
       Gruppe, die überlegt, wie viele Bücherhallen man anstelle der Überwachung
       finanzieren könnte.
       
       Eine Gruppe in teuren Wollmänteln spricht mit einem Journalisten. "Diese
       Männer wollen nicht nach Blankenese." Für die Blankeneser im betuchten
       Hamburger Westen stellt sich die Frage gar nicht.
       
       7 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Graeff
       
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