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       # taz.de -- Aids in Südafrika: Quacksalber mit Aussicht
       
       > Knapp 16 Prozent der erwachsenen Bevölkerung von Durban sind HIV-positiv.
       > Mit Blechkästen und Wundersäften versprechen Scharlatane Heilung.
       
   IMG Bild: Werbung für Safe Sex in Soweto: Südafrika hat die meisten HIV-Positiven der Welt.
       
       DURBAN taz | Die Aussicht auf das Moses-Mabida-Fußballstadion vor dem
       Indischen Ozean ist perfekt. Die junge Schwarze an der Rezeption im 21.
       Stock des Bürogebäudes in der Innenstadt ist eingehüllt in eine dicke
       Plastikwinterjacke, und die Klimaanlage ist ausgeschaltet. Ihre Lippen sind
       blutleer, das Haar dünn.
       
       Sie zeigt sofort ihren Personalausweis, um glaubwürdiger zu wirken. "Ich
       war davor, zu sterben", erzählt die schmale Frau und zeigt unaufgefordert
       den Laborbericht mit ihren schlechten Blutwerten. Dann spult sie ab, was
       sie unzähligen Kunden in der "Klinik" täglich unterbreitet: Das Glück, das
       sie hatte. Als sie kraftlos im Krankenhaus lag und auf Antiaidsmedikamente
       wartete. Da kam ein Arzt, der empfahl "Hivex". Das Wundergerät eines
       Kollegen, das das Virus vertreiben soll. Und verzweifelten Menschen
       Hoffnung gibt. Auch wenn sie falsch ist.
       
       Leaflet, so ihr Name, fühlt sich viel besser. "Bald werde ich wieder schön
       sein", sagt sie Die Antiaidsmedikamente habe sie nicht mehr gebraucht. Sie
       redet viel, schiebt gute Laborresultate herüber. Zwischendurch kommt die
       Frage: Wer seid ihr? "Habt ihr einen Ausweis?" Sie wundert sich nicht, was
       wir wollen. Offenbar Heilung. Für eine Krankheit, die nicht heilbar ist.
       
       Patrick Mdletshe zeigt sich überrascht, was Hivex kann. "Elektromagnetische
       Strahlen, das ist alles?", sagt der Vorsitzende der Aidslobbygruppe
       Treatment Action Campaign (TAC) in der Provinz KwaZulu-Natal. Er gibt vor,
       positiv zu sein und bald werde er Hilfe brauchen.
       
       ## Täglich zwei Stunden heilende "Strahlen"
       
       Eine Computeranimation soll deutlich machen, dass die Aggressivität des
       Virus in seinem Protein gestoppt wird. Durch die Strahlentherapie. Doch für
       Patrick ist klar, dass das Video Aufklärungsmaterial ist und zeigt, was
       Antiaidsmedikamente bewirken, die eine Verbreitung des Virus eindämmen.
       "Siehst du!", sagt Leaflet wiederholt und ihre dürren Finger deuten auf das
       Virus, das zerspalten wird. Wir freuen uns mit. Für sie sind wir ein Paar,
       das sich um Patricks niedrigen Stand der Immunzellen sorgt und wieder aus
       Johannesburg anreisen würde, um das Wunder zu erleben.
       
       Endlich dürfen wir die "Maschine" sehen. Im leeren Nebenraum sitzen zwanzig
       Leute auf Bürostühlen. Vor ihnen ein großer Tisch, auf dem Blechkästen
       stehen, ein großer und mehrere kleine sind verkabelt. Es herrscht
       andächtige Stille. Ein Porträt des Expräsidenten Nelson Mandela hängt an
       der Wand, Mutter Teresa darunter. Christliche Kreuze daneben.
       
       Und vor dem Tisch liegt ein Mädchen flach auf dem Boden. Nur ihre weiße
       Pudelmütze ist zu sehen. Sie liegt auf dem Bauch unter einer orangefarbenen
       Decke. "Es ist schon ihre dritte Woche", sagen ihre Schwestern. "Als sie
       mit der Therapie begann, konnte sie kaum laufen." Ein älterer Mann erzählt,
       dass er sich gut fühlt. Frauen nicken. Sie kommen zwei Wochen lang täglich
       zwei Stunden, um sich den "Strahlen" auszusetzen. Das Ganze kostet 1.000
       Rand (100 Euro), ein stolzer Preis. "Die Leute kommen aus Uganda, Mosambik
       - von überall."
       
       Clive Harvey Fox ist der Besitzer von Hivex. Er wird heute, am Weltaidstag,
       Zielscheibe für einen Protest der TAC-Aktivisten, die vor dem Bürogebäude
       demonstrieren, um Scharlatanen wie ihm das Handwerk zu legen. Patrick ist
       außer sich: "Leaflet stirbt - ich kenne die Symptome. Und tischt den Leuten
       noch diesen Unsinn auf." Das Büro oder "die Klinik" ist auf dem gleichen
       Flur wie das örtliche Regierungsbüro des Afrikanischen Nationalkongress
       (ANC). Doch die wollen offenbar nichts dagegen tun.
       
       ## Wie ein Pastor
       
       "Menschen wieder gehen zu sehen, das gibt mir eine neue Befriedigung im
       Leben", sagt Clive Harvey Fox am Telefon. Er predigt wie ein Pastor. Dass
       ihm viel Geld geboten wurde für seine Ausrüstung, doch er wolle Hivex nicht
       an schlechte Menschen geben. Wissenschaftliche Untersuchungen seiner
       Behandlungen seien von Geldgebern der Pharmaindustrie unterbunden worden.
       
       "Hivex ist in Moskau in den 80er Jahren zur Aidsbehandlung entwickelt
       worden. Sechs Menschen, die 1993 damit behandelt wurden, sind immer noch am
       Leben", schwadroniert Fox. Er würde nie empfehlen, die Aidsmedikamente
       wegzulassen. Das sei unethisch. Nein, er gehöre nicht zu gewissenlosen
       Menschen, die mit dem Tod Geschäfte machen, lehnt er ab.
       
       TAC-Sprecherin Mtombizonke Ndlovu hat "Quacksalber" wie Fox besucht. Er war
       angeblich selbst krank. Die nette Dicke im bunten T-Shirt isst einen
       Hamburger und googelt schnell die Webseiten heraus, auf denen Quacksalber
       Werbung betreiben. "Diese Typen sind gefährlich." Joachim Cools aus Belgien
       ist auch so einer. Er lebt auf dem Gelände des örtlichen Stammesoberhaupts
       in Inanda und verkauft Säfte, denen er Namen in Anlehnung an Zuluhäuptlinge
       gibt wie "Umlingo WamaMgcolosi" und so seine Produkte "erhöht".
       
       ## Nicht Sex, sondern Stress verursache Aids
       
       Im Internet propagiert er, nicht Sex verursache Aids, sondern Stress sei
       das Problem. Wer seine Säfte für 8 Euro pro Flasche trinkt, soll alle
       pharmazeutischen Pillen weglassen, daran würden sich nur die Unternehmen
       bereichern. Auch "Dr. Zondo" ist auf Sonkes schwarzer Liste. "Er verkauft
       eine Substanz, die wie Bleichmittel oder Swimmingpoolreiniger
       zusammengesetzt ist."
       
       Ein angeblicher Mexikaner namens Jim Humble schreibt in seinem "Report from
       Africa 2009" auf seiner Website, das er in Afrika helfe und viele "Schüler"
       wie Dr. Zondo habe, die sein Rezept für die "Mineral Miracle Solution"
       anwenden.
       
       TAC hat Durbans Aidsrat der Provinz und Bürgermeister James Nxumalo
       hinzugezogen. Der soll bis Anfang nächsten Jahres den skrupellosen
       Verkäufern das Geschäft entziehen. KwaZulu-Natal ist die Provinz in
       Südafrika, deren Einwohner am meisten von Virusinfektionen und Tod durch
       Aids betroffen sind. Der Medizinische Kontrollrat sei laut TAC schwach und
       prüfe nicht, was auf dem Markt ist, sondern nur, was vorgelegt werde. Es
       hapere an handfesten Regulierungen.
       
       "Es ist Weltaidstag und sie machen wieder schlimme Berichte über uns", sagt
       Clive Fox mit sanfter Stimme. Er freut sich auf unseren nächsten Besuch.
       
       1 Dec 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martina Schwikowski
       
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