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       # taz.de -- Eine Wandertour: "Alaska ist Abenteuer, das Wetter auch"
       
       > Im Land aus Eis und Licht sind die Wege einsam, die Natur ist
       > unberechenbar.
       
   IMG Bild: Eis, Wasser, Bodenfrost.
       
       Wäre dieser alte Fischer nicht gewesen, säßen wir nicht hier im Wassertaxi.
       Ruhig brummt nun der Außenbordmotor des Katamarans. Die kleine Stadt Homer
       im Süden Alaskas verschwindet langsam hinter uns. Vor uns ragen die Berge
       auf. Es regnet nicht mehr. Die Wolken reißen auf. Die Sonne kommt heraus.
       Genau, wie es uns der Fischer heute Morgen vorhergesagt hatte.
       
       "Alaska ist Abenteuer, das Wetter auch. Man muss sich einfach trauen",
       hatte er uns ermutigt, die für acht Uhr geplante Überfahrt zu stornieren
       und ein paar Stunden zu warten. Es hat sich gelohnt.
       
       20 Minuten, und wir sind am Strand auf der anderen Seite der Kachemak Bay
       gegenüber von Homer. "Dort, wo der alte Baum steht, geht die Wanderung los.
       Viel Spaß. Wir sehen uns heute Abend", ruft uns der Chauffeur des
       Wassertaxis noch zu und verschwindet dann am Horizont.
       
       Das Brummen des Außenborders wird immer leiser. Wir sind allein. Weit und
       breit keine Menschenseele. Vier Stunde Wanderung liegen vor uns. Kürzer als
       ursprünglich geplant. Wir wollen nur bis zur Lagune des Grewingk-Gletschers
       gehen und dann über eine kleine Anhöhe - den Saddle - zurück ans Meer. Für
       den anfänglich geplanten Weg zur Gletscherzunge reicht die Zeit nicht mehr.
       
       ## Durchs Bärenland
       
       Am Beginn des schmalen Pfads steht das Schild, das wir überall in Alaska
       antreffen. Es warnt vor Bären und gibt Verhaltensmaßregeln für den Fall der
       Fälle: keine Hektik, Rucksack mitnehmen, langsam entfernen, nicht schreien
       … Und wenn es zu Körperkontakt kommt, sollen wir uns auf den Boden werfen,
       tot stellen.
       
       Der Rucksack schütze dann den Rücken, die verschränkten Hände den Nacken.
       Wir lesen die Anweisungen einmal mehr aufmerksam durch und hoffen, dass wir
       all das niemals brauchen werden.
       
       Wir sind im Bärenland. Das ist nicht zu übersehen. Im weichen Untergrund
       finden wir immer wieder Abdrücke der riesigen Tatzen von Meister Petz.
       Kothaufen markieren das Terrain. Und das große schwarze Etwas, das sich im
       Dickicht langsam davonmacht? War es ein Bär? "Es hatte jedenfalls keine
       hohen Beine wie zum Beispiel ein Elch", beschließt meine Partnerin. Wir
       gehen langsam, aber angespannt weiter, nachdem wir uns gegen den größten
       Feind des Wanderers - die Stechfliegen - eingesprüht haben.
       
       Ständig redend - auch das soll den Bären fernhalten -, führt uns der Weg
       hinein in einen dichten Wald. Hohe Tannen und Kiefern, üppiges Unterholz,
       Farn und überall Pilze - die Vegetation ist so üppig, als wären wir
       irgendwo in Mittelamerika. Über zwei kleinen Hügeln, die wir schnell als
       alte Endmoränen interpretieren, öffnet sich das Gelände. Die Nadelbäume
       weichen Espen und Linden. Ein kalter Luftzug kündig an, was wir wenige
       Minuten später weit weg zwischen den Bäumen ausmachen: den
       Grewingk-Gletscher.
       
       Die Zunge des über 20 Kilometer langen Eisfeldes fließt zwischen zwei
       Bergen herab. Sie kommt an einer Lagune, deren Ufer wir nach knapp zwei
       Stunden erreichen, zum Stillstand. Immer wieder brechen unter lautem
       Donnern riesige Eisblöcke ab. Mit ihren bizarren Formen schwimmen sie auf
       der Lagune in Richtung Grewingk Creek, ein wilder Bach, der hinunter zur
       Kachemak Bay fließt. Der Wind treibt die Wolken über die Berge. Mal liegt
       der Gletscher dunkel da, mal strahlt er stahlblau in der Sonne. Die Natur
       bietet uns ein beeindruckendes Schauspiel aus Licht und Eis.
       
       Dann ist es Zeit aufzubrechen. Schließlich sind wir mit dem Wassertaxi
       verabredet. Der Rückweg führt über einen kleinen Pass und dann steil
       hinunter in eine enge, kleine Bucht. Eine halbe Stunde zu früh sitzen wir
       auf der Treppe, die die letzten Meter bis zum Wasser überbrückt. Er wird
       uns doch hoffentlich nicht vergessen haben, schießt es mir plötzlich durch
       den Kopf. Doch dann hören wir von Weitem das immer lauter werdende Brummen
       eines Außenborders. Unser Wassertaxi. Zum Abschluss des Tages macht der
       Chauffeur mit uns einen kleinen Abstecher zu seinem Lieblingsplatz an der
       Kachemak Bay, einem Vogelfelsen mitten im Meer.
       
       Als wir Homer erreichen, sind Berge und Gletscher wieder in den Wolken
       verschwunden. Es regnet dort auf der anderen Seite. "Das Wetter in Alaska
       ist ein Abenteuer. Man muss sich einfach trauen, es lohnt sich." Wie recht
       der alte Fischer hatte.
       
       26 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
   DIR Reiseland USA
       
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