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       # taz.de -- Georg Kreisler gestorben: Im Alter immer radikaler
       
       > Stets war Georg Kreisler ein Künstler, der mit Schiller sagte: Die
       > Ästhetik wirkt mehr als Parolen. Das Publikum aber wollte den Sänger und
       > Autor als Unterhalter.
       
   IMG Bild: Bis zum Ende seines Lebens blieb er vital: Georg Kreisler (1922-2011).
       
       Ich hatte als Verleger das Glück, Georg Kreisler kennenlernen zu dürfen.
       Der fast Neunzigjährige war so vital, dass man sich neben ihm alt vorkam.
       Nie habe ich einen anregenderen und angeregteren Autor getroffen. Und nur
       selten einen radikaleren: "Ich bin makaber, schauerlich, / doch andrerseits
       ganz nett / und mache auch, bedauerlich, / ein bisschen Kabarett. // Nehmt
       ihn nicht ernst! Er ist doch gut, / und er bemüht sich redlich. / Er ist
       ein Wiener und ein Jud, / zusammen ist das tödlich." Georg Kreisler war
       eine Ausnahmeerscheinung.
       
       Seit rund zehn Jahren sah man Georg Kreisler in der Öffentlichkeit nicht
       mehr am Klavier. Am Klavier hatte man ihn zuvor rund fünfzig Jahre gesehen,
       als Interpreten seiner eigenen Lieder, und nie sah er beim Spielen auf die
       Tastatur. Doch dann zog er sich von seinem Instrument zurück. Warum?
       
       "Ich setze mich nicht mehr ans Klavier und singe meine Lieder, aber nicht,
       weil ich das nicht könnte, sondern weil ich es falsch fände", sagte er. "Es
       passt einfach nicht zu einem alten Mann wie mir. Ich habe in meinen
       jüngeren Jahren öfter erlebt, wie alte Männer ihre Lieder noch selbst
       gesungen haben, und es hat mir jedes Mal missfallen. Bei einem Lied kommt
       es ja auch auf den Text an, und worüber soll ein alter Mann singen? Über
       die Liebe? Lächerlich! Über seine Träume? Wen interessiert das? Wenn er
       seine Träume sein ganzes Leben lang nicht verwirklichen konnte, soll er es
       bleiben lassen! Über Politik? Er hat doch keine Zukunft mehr. Über den Tod?
       Peinlich!"
       
       ## Wieder auf Tour
       
       Infolge dieser Entscheidung war es zunächst ruhiger um Kreisler geworden.
       Aber er blieb nicht untätig und wurde wieder erstaunlich präsent. 2009
       publizierte er seine Autobiografie "Letzte Lieder", seine zweite Oper, "Das
       Aquarium oder die Stimme der Vernunft" wurde mit großem Erfolg
       uraufgeführt. Ein Jahr darauf veröffentlichte er den Gedichtband "Zufällig
       in San Francisco" und den Satireband "Anfänge", und ging - mit 88 Jahren! -
       noch einmal gemeinsam mit seiner Frau Barbara Peters auf eine große
       Lesetournee.
       
       Die Stadt Bad Homburg verlieh ihm den Hölderlin-Preis für sein lyrisches
       Lebenswerk. In diesem Herbst erschienen die Bände "Wien: Die einzige Stadt
       der Welt, in der ich geboren bin" und die vollständig überarbeitete
       Neuausgabe seines Debütromans "Ein Prophet ohne Zukunft".
       
       Georg Kreisler wurde, wie er selbst konstatierte, im Alter immer radikaler.
       "Wir leben in einer prärevolutionären Zeit", sagte er im August dieses
       Jahres auf einem Podium. "Ich glaube, dass wir auf einem Pulverfass
       sitzen." Das gefiel ihm.
       
       Seit den sechziger Jahren tourte er durch den deutschsprachigen Raum, seit
       Ende der siebziger Jahre gemeinsam mit Barbara Peters. Die frühen Programme
       waren gekennzeichnet durch milden schwarzen Humor. "Schatz, das Wetter ist
       wunderschön / Da leid ichs net länger zu Haus / Heute muss man ins Grüne
       gehn / In den bunten Frühling hinaus / Jeder Bursch und sein Mädel / Mit
       einem Fresspaketerl / Sitzen heute im grünen Klee / Schatz, ich hab eine
       Idee / Schau, die Sonne ist warm und die Lüfte sind lau / Geh mer Tauben
       vergiften im Park!"
       
       ## Die Bürde des Erfolgs
       
       Das "Frühlingslied" von 1958 war sein größter Hit. Und die größte Bürde.
       Damals galt er als Kabarettist. Er litt darunter, denn ein Kabarettist kann
       nichts als Kabarett, Kreisler aber schrieb Gedichte, Stücke, Romane, Opern.
       Stets war er ein Künstler, der mit Schiller sagte: Ästhetik wirkt stärker
       als Parolen. Doch sein Publikum wollte nur unterhalten werden. Und wollte
       ihn nur als Unterhalter.
       
       Georg Kreisler wurde 1922 in Wien geboren und musste bald lernen, ein Jude
       zu sein. 1938 emigrierte seine Familie in die USA. Er wurde, blutjung, in
       Hollywood tätig. Auf Vermittlung eines Verwandten kam er beim Film unter,
       arbeitete Charlie Chaplin zu und lernte Friedrich Hollaender kennen.
       Zwischenzeitlich kam er nach Deutschland.
       
       Als Übersetzer nahm er an den Nürnberger Prozessen teil, erlebte etwa
       Julius Streicher, den der Verlust der Macht zu einem halbsenilen alten
       Teufel gemacht hatte. Zurück in den USA wurde Kreisler, der inzwischen
       Bürger der USA geworden war, zum perfekten Entertainer. Doch leider galten
       seine Lieder als anstößig.
       
       Daher ging er zurück nach Europa, um neu anzufangen. In Wien feierte er mit
       seinen "Everblacks", wie er seine sinistren Chansons selbst nannte, große
       Erfolge. Doch bald schlug er einen schärferen Ton an. Dies verstörte
       weniger sein Publikum als vielmehr seine Auftraggeber in Deutschland,
       Österreich und der Schweiz. Auftragsstücke wurden nicht aufgeführt,
       erfolgreiche Inszenierungen urplötzlich abgesetzt, Radio- und
       Fernsehsendungen im letzten Augenblick abgesagt.
       
       Und das Land Österreich, das sich mit Kreisler schmückte, kam nicht auf die
       Idee, dem Vertriebenen die Staatsbürgerschaft zurückzugeben. Kreisler
       verbat sich daher in den letzten Lebensjahren jede offizielle Ehrung
       vonseiten des Staates Österreich.
       
       Am Dienstag starb er in Salzburg. Sein Lebenswerk ist unsterblich.
       
       23 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jörg Sundermeier
       
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   DIR Theater
       
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