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       # taz.de -- Private Schulden: Der noch größere Schuldenberg
       
       > Die Schulden der privaten Haushalte werden unterschätzt. Italien steht
       > vergleichsweise noch ganz gut da. Schlimm sieht es aber in den
       > Niederlanden aus.
       
   IMG Bild: Bei vielen Privatpersonen ist längst schon nichts mehr zu holen.
       
       HAMBURG taz | Italien ist gar nicht Teil des europäischen Schuldenproblems.
       So sieht es zumindest der noch bis vor kurzem amtierende Außenminister in
       Rom, Franco Frattini, der vergangene Woche im Zuge des Berlusconi-Sturzes
       auch sein Hut genommen hat. "Unsere Staatsschulden sind zwar hoch, aber die
       private Verschuldung liegt 25 Prozentpunkte unter dem europäischen
       Durchschnitt", sagte er in einem Interview.
       
       In einem Punkt hat er tatsächlich recht: Das europäische Schuldenproblem
       ist noch kniffliger, als es ohnehin erscheint. Nicht nur die öffentlichen,
       sondern auch die privaten Schulden spielen darin eine Rolle. Beide steigen
       seit drei Jahrzehnten in den Industrieländern unaufhaltsam kräftig an.
       
       "Die Diskussion wird im Allgemeinen viel zu eng geführt", mahnt Andreas
       Mayert. Es gebe nur ein einziges Land, dessen aktuelle Krisensituation
       allein auf zu hohe Staatsschulden zurückgeführt werden könne: Griechenland.
       
       In anderen Ländern würden Bankschulden oder die Verbindlichkeiten der
       Bürgerinnen und Bürger weit größere Sorgen bereiten. Mayert, der als
       Volkswirt am Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in
       Deutschland (SI) forscht, fordert daher "eine Erweiterung der Diskussion".
       
       Daran hatte sich vor einem Jahr schon einmal der italienische
       Finanzminister und Rechtswissenschaftler Giulio Tremonti versucht. Er
       preschte mit seinem Plan vor, private Schulden in der Eurodiskussion zu
       berücksichtigen.
       
       Dem Mann stand politisch schon seinerzeit das Wasser bis zum Halse.
       Trotzdem verdient sein Kernargument Beachtung: Die weltweite Finanzkrise
       sei 2007 von übergroßen Privatschulden amerikanischer Häuslebauer ausgelöst
       worden. Die großzügige Kreditvergabe durch die Banken taten ihr Übriges.
       
       Aus diesem Blickwinkel sei Italien durchaus solide aufgestellt,
       argumentiert der ehemalige Minister Tremonti. Zwar stehe der italienische
       Staat mit 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) relativ hoch in der
       Kreide.
       
       Doch auf der Apenninhalbinsel seien die Schulden der privaten Haushalte mit
       220 Prozent vergleichsweise niedrig - viel niedriger jedenfalls als in
       Ländern wie Irland (890 Prozent) oder im Nicht-Euroland Großbritannien (460
       Prozent).
       
       Tremonti veröffentlichte in seinem mittelfristigen Finanzplan bis 2013
       sogar erstmals Tabellen über öffentliche plus private Schulden der
       EU-Länder. Nach dieser Statistik kommt Italien auf eine Gesamtsumme der
       Verschuldung von öffentlicher Hand, privaten Haushalten, Unternehmen und
       Banken von 340 Prozent des BIP.
       
       Die scheinbar so soliden Niederlande hingegen schneiden mit 680 Prozent
       geradezu katastrophal ab. Deutschland steht mit rund 290 Prozent des BIP
       noch vergleichsweise solide da.
       
       So rechnet bei ihren Analysen auch die in München ansässige
       Hypovereinsbank, eine Tochtergesellschaft der Mailänder Unicredit-Gruppe,
       die Schulden von Staat, privaten Haushalten und Unternehmen zusammen.
       
       ## Die Schuldenberg wächst
       
       Doch Obacht! Spanien liegt dann gleichauf mit den quasi offiziellen
       Euro-Krisenländern Griechenland, Irland, Portugal. Dagegen ruht Italien im
       gesicherten Mittelfeld der Europäischen Wirtschaftsunion. Frankreich und
       Deutschland schneiden besser ab als der Durchschnitt.
       
       In den vergangenen drei Jahrzehnten sind vor allem in den Industrieländern
       nicht nur die öffentlichen, sondern auch die privaten Schulden scheinbar
       unaufhaltsam und zudem kräftig nach oben geklettert: Im Zeitraum 1980 bis
       2010 von 170 auf 310 Prozent des BIP.
       
       Die in Basel beheimatete Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)
       macht für die steigenden Privatschulden unter anderem die Liberalisierung
       der Finanzmärkte verantwortlich.Banken konnten mit immer neuen Produkten
       dadurch ihren Kunden einen leichteren, wenn nicht leichtsinnigen Zugang zu
       Krediten verschaffen.
       
       "Eine klare Schlussfolgerung lautet", so die BIZ-Analysten, "dass die
       Schuldenprobleme, mit denen sich die Industrienationen auseinanderzusetzen
       haben, noch schlimmer sind als bislang befürchtet."
       
       22 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hermannus Pfeiffer
       
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