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       # taz.de -- Alltäglicher Rassismus: Und es hört einfach nicht auf
       
       > Dass es jahrelang rechtsextremen Terror gab, entsetzt unsere Autorin.
       > Aber ihr macht mehr zu schaffen, dass sie sich jeden Tag um ihren Bruder
       > sorgen muss.
       
   IMG Bild: Jetzt wird wieder einmal zur Zivilcourage aufgerufen. Und dann - passiert wieder nichts.
       
       Ganz Deutschland wundert sich dieser Tage über die braune Terrorbande, die
       jahrelang Einwanderer ermorderte - es wird analysiert und gemahnt. Ganz
       Deutschland? Nun, ich weniger.
       
       Natürlich macht mich das jetzige Ausmaß des rechten Terrors fassungslos.
       Doch es entsetzt mich mehr als dass es mich überrascht. Denn als dunkler
       Mensch mit schwarzem Haar und einem selbst für langjährige deutsche
       Bekannte offenbar unaussprechlichen Namen muss ich mir seit meiner Kindheit
       im Ruhrgebiet rassistische Vorurteile anhören. Und seither verfestigt sich
       eher der Eindruck, dass mich zu viele Menschen hier nicht wollen.
       
       Ich war 18 Jahre alt und saß im Soziologieunterricht als eine Mitschülerin
       sich meldete und befand, "alle Ausländer haben kriminelles Blut." Weder der
       Lehrer noch andere Schüler sagten etwas dazu, ich verließ als einzige den
       Raum.
       
       Ich erinnere mich auch daran, dass meine Mutter nach einer schweren
       Operation wieder direkt arbeiten ging. Ihr Chef hatte ihr gesagt: "Wenn sie
       einen auf Krank machen, gehen sie zurück in die Türkei."
       
       ## Lebensunwertes Leben
       
       Wir Kinder sollten uns wenigstens wehren können, darum sollten wir lernen,
       lernen, lernen. Und trotz Gymnasium und Studium können wir das nicht immer,
       sind zu oft Gefangene unserer Angst. Mein kleiner Bruder Deniz hat das
       Down-Syndrom. Er ist behindert, schwerhörig und dazu auch noch das, was
       viele Menschen hierzulande immer noch einen Ausländer nennen. Er ist für
       nicht wenige in Deutschland das Allerletzte; lebensunwertes Leben. Seit
       kurzem will er alleine mit dem Bus in die Werkstatt fahren, in der er
       arbeitet. Meine Mutter fährt immer heimlich mit. Zu groß ist unsere Angst,
       jemand könnte ihn beleidigen oder schlimmeres.
       
       Denn eines haben wir in Deutschland gelernt: kaum jemand hilft. Vergangenen
       Winter waren mein Bruder und ich kegeln. Ich fühlte mich sofort unwohl, es
       herrschte eine Biertischstimmung, wir waren die einzigen mit dunkler
       Hautfarbe. Aber was tun? Deniz wollte unbedingt kegeln, mit welcher
       Begründung hätte ich ihm das verwehren sollen? Weil du ein Ausländer bist?
       
       Also kegelten wir, bis eine Gruppe von Kindern anfing meinen Bruder mit
       Affengeräuschen nachzumachen. Ich schaute streng die zwei Erwachsenen an,
       die daneben standen. Sie ignorierten uns. Die Kinder machten immer lautere
       Tiergeräusche, ich versuchte es zu ignorieren. Ich wollte keinen Streit vor
       meinem Bruder anzetteln, er sollte einen schönen Tag haben. Doch die Kinder
       hörten nicht auf, also ging ich zu dem Mann, der wohl der Vater war und bat
       ihn, seine Kinder zum Aufhören zu bewegen. "Mein Bruder ist behindert, so
       etwas macht man nicht", sagte ich hilflos. "Warum, es sind doch nur
       Kinder", war seine Antwort. Und dann stritten wir uns und mein Bruder bekam
       natürlich alles mit. Ich versuchte tapfer zu sein, wir spielten zu Ende.
       
       ## Zu dunkle Haut
       
       Ich habe danach lange geweint. Was wollt Ihr eigentlich von uns? Wer
       schützt meinen Bruder, wenn ich nicht dabei bin?
       
       Als ich kürzlich im Berliner Mauerpark inmitten des alternativen Bezirks
       Prenzlauer Berg auf dem Flohmarkt als Neger beschimpft wurde, schritt
       niemand ein. Ich habe damals Freunde gefragt, ob meine Haut zu dunkel sei?
       Ob ich asiatische Aufhellungscreme verwenden solle? Das ist natürlich
       absurd, aber für eine kurze Zeit habe ich mich tatsächlich gefragt, was
       falsch ist an mir.
       
       So ist das in Deutschland, es ist mein Alltag. Rassistische Stereotype
       haben nicht erst seit Thilo Sarrazin oder den Nazi-Terroristen von Zwickau
       Konjunktur. Sie sind nach meinem Empfinden sogar wieder salonfähiger
       geworden - auch wenn viele Deutsche gerne etwas anderes glauben.
       
       Niemand, der noch nie rassistisch beleidigt wurde, weiss, wie kränkend es
       ist. Wie es sich anfühlt, sich immer wieder für sein Aussehen und Dasein
       rechtfertigen zu müssen. Aber klar, alles Einzelfälle und ich soll mich mal
       nicht so haben.
       
       Um nicht falsch verstanden zu werden, denn natürlich wird mir auch bei
       diesem Text wieder grundloses Jammern unterstellt werden. Der alltägliche
       Rassismus tritt nicht so exzessiv zutage, wie gerade jetzt. Ich will meinen
       Schmerz auch nicht mit dem jener Menschen gleichsetzen, deren Väter
       erschossen wurden. Aber ich will sagen, dass mich die Schikanen im Alltag
       viel mehr betreffen als die abstrakte Gefahr ermordet zu werden. Und es
       hört einfach nicht auf.
       
       Jetzt wird wieder einmal zur Zivilcourage aufgerufen. Die Leitartikler
       mahnen, besser auf seine Mitmenschen zu achten. Und dann? Was wird
       passieren? Wir kennen die Antwort: nichts. Ihr macht mir Angst.
       
       14 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Cigdem Akyol
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Rechter Terror
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