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       # taz.de -- Debatte G-20-Gipfel: Club der Rückwärtsdenker
       
       > Es nehmen nun mehr Schwellenländer am Gipfel teil. Trotzdem bleiben weite
       > Regionen der Welt unterrepräsentiert und der Club agiert vollkommen
       > intransparent.
       
   IMG Bild: Keine demokratische Legitimität: Proteste gegen G20.
       
       Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der G 20 am 3. und 4. November in
       Cannes zu ihrem sechsten Gipfeltreffen versammeln, stehen sie unter
       erheblichem Legitimationsdruck. Was rechtfertigt die Existenz eines
       Staatenclubs mit beschränkter Mitgliedschaft, der intransparent unter
       Ausschluss der Öffentlichkeit agiert und sich bislang nicht auf Maßnahmen
       zur dauerhaften Überwindung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise
       einigen konnte?
       
       Die Mitgliedsländer der G 20 stellen rund zwei Drittel der Weltbevölkerung
       und erwirtschaften knapp 90 Prozent des weltweiten
       Bruttonationaleinkommens. Die Gruppe ist damit zweifellos repräsentativer
       als die anachronistische G 7/8. Die Selbsternennung der G 20 zum "führenden
       Forum internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit" ist dennoch in
       dreifacher Hinsicht problematisch.
       
       ## Unter Ausschluss der Öffentlichkeit
       
       Erstens handelt es sich bei der G 20 trotz erweiterter Mitgliedschaft um
       einen exklusiven Club, in dem weite Regionen der Welt unterrepräsentiert
       bleiben. Von den 54 Ländern Afrikas ist lediglich Südafrika vertreten, von
       den 35 Ländern Lateinamerikas und der Karibik sind es mit Argentinien,
       Brasilien und Mexiko lediglich 3. Dies wäre nicht problematisch, wenn sich
       die G 20 nur mit Problemen befassen würde, die sich auf das Territorium
       ihrer Mitglieder beschränkten. Aber dies ist nicht der Fall. Die
       Entscheidungen, die die G 20 fällt, haben auch auf Länder Auswirkungen, die
       nicht am Tisch der Mächtigen sitzen.
       
       Besonders eklatant zeigt sich das Missverhältnis in der Arbeitsgruppe für
       Entwicklung, die die G 20 im vergangenen Jahr eingerichtet hat. Sie hat
       einen umfangreichen Aktionsplan beschlossen, der von der
       Infrastrukturfinanzierung über Ernährungssicherheit bis zur Förderung von
       Privatinvestitionen reicht. Vertreten sind in der Arbeitsgruppe die
       Mitglieder der G 20 sowie internationale Organisationen und
       Regionalbündnisse. Die eigentlich betroffenen Länder Afrikas, Asiens und
       Lateinamerikas bleiben weitgehend ausgeschlossen.
       
       Zweitens vollziehen sich die Verhandlungs- und Entscheidungsprozesse der G
       20 vollständig unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Wenn Informationen nach
       außen dringen, ist dies der Gutwilligkeit einzelner
       RegierungsvertreterInnen zu verdanken. Medien, Zivilgesellschaft,
       Parlamente und die Länder, die nicht Mitglied im Club sind, erfahren von
       den diskutierten Themen und den Entscheidungen meist erst im Nachhinein,
       wenn das Gipfelkommuniqué präsentiert wird. Selbst IWF und Weltbank sind
       wesentlich transparenter als die G 20.
       
       ## Nützlichkeit ist kein Kriterium
       
       Drittens schließlich mangelt es der G 20 an dem, was Politikwissenschaftler
       "Output-Legitimation" nennen, das heißt der Legitimation über die
       Nützlichkeit der Ergebnisse des gemeinsamen Agierens für die betroffenen
       Menschen. Die Beschlüsse der G 20 zur Bekämpfung des Schattenbankensystems
       und des weltweiten Netzes von Steueroasen blieben ineffektiv, die
       Regelungen für Hedgefonds haben eher kosmetischen Charakter, gegen die
       globalen Ungleichgewichte in den Handelsbilanzen von Exportweltmeistern und
       Defizitländern war ein konzertiertes Vorgehen bisher nicht möglich, und die
       Spekulation auf den Agrarmärkten soll nach dem G-20-Aktionsplan zur
       Preisvolatilität bei Nahrungsmitteln vor allem durch mehr Markttransparenz
       eingedämmt werden. Dem Ausmaß der globalen Krisen und ihren strukturellen
       Ursachen wurde man also nicht gerecht.
       
       Als Patentrezept für Entwicklung setzen die Regierungen der G 20 auf
       ungebremstes Wirtschaftswachstum. Selbst die Armutsbekämpfung dient laut
       ihres Entwicklungskonsenses von Seoul dem übergeordneten Ziel, dauerhaftes
       Wachstum zu sichern. Von den intensiven Debatten über alternative
       Wohlstandsmodelle und neue Maße gesellschaftlichen Fortschritts, die
       zurzeit überall auf der Welt geführt werden, zeigt sich die G 20
       unbeeindruckt. Auch der Klimawandel ist für sie nur ein Randthema. Zentrale
       Bedeutung misst sie dagegen dem Ausbau der Infrastruktur bei.
       
       Ein von der G 20 zu diesem Thema eingesetztes Panel hochrangiger
       VertreterInnen von Unternehmen und Banken wird dem G-20-Gipfel in Cannes
       vorschlagen, elf Megaprojekte zu unterstützen, vom
       europäisch-nordafrikanischen Solarprojekt Desertec bis zum
       Inga-Großstaudammprojekt in der Demokratischen Republik Kongo. Deutsche und
       chinesische Baukonzerne wird es freuen.
       
       ## Und gegenüber die Bänker
       
       Die Nähe der G 20 zu den Interessen der Privatwirtschaft zeigt sich nicht
       nur in ihren Aktionsplänen. Es genügt ein Blick auf die offizielle Website
       der französischen G-20-Präsidentschaft. Dort finden sich wie auf einem
       Formel 1-Wagen die Logos von über 30 offiziellen Partnern und Sponsoren des
       Gipfels, darunter auch Banken wie die Société Générale, um deren
       Regulierung es beim Gipfel eigentlich gehen soll. Mehr als symbolisch ist
       auch die Nähe des Businessgipfels, den Unternehmens- und Bankenlobbyisten
       in Cannes veranstalten. Die als B 20 titulierte Veranstaltung findet in
       einem Nobelhotel in Sichtweite des Palais des Festivals, Ort des
       G-20-Gipfels, statt.
       
       Für die weltweite "Occupy"-Bewegung ist das demonstrative Miteinander von G
       20 und B 20 Wasser auf die Mühlen. Die Legitimation der G 20 fördert es
       sicherlich nicht. Mehr Legitimation würde die G 20 allenfalls dadurch
       erlangen, dass sie konsequente Transparenz über ihre Diskussions- und
       Entscheidungsprozesse herstellt, ihren Charakter als "Members only"-Club
       überwindet und sich für ein breiteres Spektrum von Ländern öffnet und vor
       allem effektive Maßnahmen zur Bewältigung der globalen Krisen vereinbart.
       Von hoher Symbolkraft wäre dabei die Entscheidung für die
       Finanztransaktionsteuer.
       
       Aber selbst eine derart gewandelte G 20 ist kein Ersatz für
       repräsentativere Entscheidungsgremien auf globaler Ebene. Bundeskanzlerin
       Merkel betont immer wieder, dass die G 20 lediglich der Vorbereitung von
       Beschlüssen diene. Die Legitimation für Entscheidungen resultiert nach
       ihren Worten "dann überhaupt erst aus Beschlüssen der Vereinten Nationen".
       Recht hat sie.
       
       2 Nov 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Martens
       
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