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       # taz.de -- Überschwemmung in Thailand: "Wir haben der Natur viel angetan"
       
       > Bangkoks Schutz geht auf ihre Kosten, beklagen die Anwohner der
       > Außenbezirke. Die Innenstadt wurde so weitgehend von den Fluten
       > verschont. Ein Ortstermin.
       
   IMG Bild: Andauernde Überflutung: Die nördlichen Vororte Bangkoks stehen seit Wochen unter Wasser.
       
       BANGKOK taz | Die braune Brühe schwappt über die Bordsteine an der
       Charansanitwong, einer langen Verkehrsader im Westen Bangkoks. In den
       Seitenstraßen steht das Wasser noch höher.
       
       "Ich wohne in der Soi 72. Mein Haus steht fast einen Meter unter Wasser",
       sagt Udomlaek und weist die überflutete Straße hinunter. Sie lächelt, doch
       der Stress ist ihr anzusehen. Kein Wunder: Die Mittfünzigerin wartet auf
       einen Ambulanzwagen, der ihre gebrechliche Mutter ins Krankenhaus bringen
       soll. In einer Wanne haben Nachbarn und Helfer diese in Sicherheit auf
       ansteigendes Gelände gebracht.
       
       In Scharen verlassen die Anwohner die überschwemmte Straße. Mit
       selbstgebauten Booten, auf einem Militärtruck oder zu Fuß. Wer das Glück
       hat, auf einem Pick-up oder Lastwagen mitfahren zu können, hat den halben
       Hausstand im Gepäck, Reiskocher und Kühlschrank inklusive. Viele andere
       haben nur wenige Habseligkeiten dabei, die sie in zwei Plastiktüten mit
       sich schleppen.
       
       Seit die Überschwemmungen auch Bangkok erreicht haben, stehen etliche
       Abschnitte großer Verkehrsadern unter Wasser. Vor allem im Norden und
       Westen der Zwölf-Millionen-Metropole sind mehrere Bezirke überflutet
       wurden. Die meisten Areale im Herzen der Hauptstadt sind dagegen dank hoher
       Flutmauern und Dämme bisher trocken geblieben; dort schlendern oder hetzen
       die Menschen wie gehabt durch die Straßen.
       
       Von den Überschwemmungen besonders heftig betroffen ist Zentralthailand mit
       den an Bangkok grenzenden Provinzen Nonthaburi, Pathum Thani und Ayutthaya.
       Hier wurden nicht nur ganze Dörfer und Städte überflutet, sondern auch
       große Industrieparks, in denen hunderttausende Menschen arbeiteten.
       
       Den Betroffenen blieb nur die Flucht. Wer nicht bei Verwandten oder
       Freunden unterkam, landete in einer Notunterkunft. Eines dieser
       Evakuierungszentren ist das Rajamangala Stadium im Osten Bangkoks. Die
       Sporträume rund um die Arena beherbergen bis zu 1.500 Menschen.
       
       ## Von einer Notunterkunft in die nächste
       
       Die Schlafstätten, dunkelblaue Matratzen, liegen eng gedrängt, Privatsphäre
       gibt es nicht. Die Menschen sind sehr still. Erschöpft von den Strapazen
       der letzten Wochen, können viele immer noch nicht fassen, dass sie alles
       verloren haben.
       
       Chamrong und Chaikanit Bhosit aus Pathum Thani haben eine kleine Odyssee
       hinter sich. Chamrong ist ein dünner, fast ausgemergelter Mann mit dunkler
       Haut und silbergrauem Haar, man sieht, dass er sein Leben lang schwer
       gearbeitet hat. Der 50-Jährige war Fahrer im öffentlichen Transportwesen,
       seine zehn Jahre ältere Frau ist halbseitig gelähmt. Das Wasser hat ihr
       Zuhause komplett geflutet. Sie konnten nur wenig retten.
       
       Ein Minibus hat das Paar zum Rangsit-Campus der Thammasat-Universität
       gebracht, der zeitweilig als Notunterkunft für etwa 3.800 Flutopfer diente.
       "Wir haben Essen, Kleidung und einen Platz zum Schlafen bekommen", sagt
       Chamrong Bhosit.
       
       "Doch dann wurde der Campus ebenfalls überschwemmt und man hat uns hierher
       ins Rajamangala-Stadion gebracht." Trotz aller widrigen Umstände beklagen
       sich die beiden nicht: "Man kümmert sich gut um uns", sagen sie.
       
       Die Überschwemmungen sind die schwersten in Thailand seit 50 Jahren,
       mindestens 381 Menschen starben bisher. 110.000 Menschen mussten aus ihren
       Häusern fliehen, davon 10.000 in Bangkok. Zivile Helfer, Soldaten und
       Mönche sind teils rund um die Uhr im Einsatz.
       
       ## Krisenmanagement in der Kritik
       
       Das Ausmaß der Katastrophe dürfte jede Regierung überfordern, nicht nur die
       erst seit etwas mehr als zwei Monaten amtierende Administration unter der
       politisch unerfahrenen Yingluck Shinawatra. Mehrfach zeigte sich die
       44-jährige Premierministerin sichtlich emotionalisiert und bat alle Seiten
       darum, sie zu unterstützen: "Ich kann all diese Probleme nicht allein
       lösen."
       
       Dennoch beweist die einstige Geschäftsfrau Durchhaltevermögen. Und das
       braucht sie auch. Denn Krisenmanagement und Informationspolitik der
       Regierung stehen zunehmend in die Kritik.
       
       Die Flut ist für Yingluck eine politische Bewährungsprobe: Viele Menschen
       sind sauer wegen der oft widersprüchlichen Angaben von Behördenseite.
       Wiederholt kam es in den vergangenen Wochen zu schweren Pannen:
       Evakuierungsaufrufe, die zurückgenommen werden mussten; ein Durcheinander
       von Warnungen, Entwarnungen und Beruhigungsmanövern; schlechte
       Informationspolitik. Bei einer Umfrage erklärten 87 Prozent der Befragten,
       sie trauten den Angaben des von der Regierung etablierten "Flood Relief
       Operations Center" (Froc) nicht.
       
       ## "Bangkoks Schutz geht auf unsere Kosten"
       
       Und noch etwas schürt den Frust - vor allem bei den kleinen Leuten in den
       Provinzen und Vororten Bangkoks: die Beteuerungen offizieller Stellen, man
       werde alles tun, um die Geschäfts- und Touristenviertel im Herzen der
       Hauptstadt vor den Fluten zu schützen.
       
       Wütende Anwohner machen sich daran, Sperren oder Deiche zu zerstören, die
       verhindern sollen, dass das Wasser aus ihren überschwemmten Gebieten
       abfließt. "Bangkoks Schutz geht auf unsere Kosten", kritisieren sie, "wir
       haben schon genug gelitten."
       
       Dabei scheinen viele zu vergessen, dass eine Überschwemmung der Innenstadt
       auch Angehörige der eigenen sozialen Schicht treffen würde: einfache
       Arbeiter und Angestellte, Tagelöhner und Garküchenbetreiber, die in der
       Hauptstadt ihr Dasein fristen. Premierministerin Yingluck, deren
       Wählerschaft überwiegend aus den Ärmeren der thailändischen Gesellschaft
       besteht, machte sich zuletzt selbst auf, um mit grummelnden Anwohnern zu
       verhandeln - mit Erfolg.
       
       Offener Streit mit dem politischen Gegner verkompliziert die ohnehin
       chaotische Lage weiter: Bangkoks Gouverneur Sukhumbhand Paribatra suchte
       die Kritik am Krisenmanagement der Regierung für sich zu nutzen.
       Sukhumbhand, zur Opposition gehörend, rief die Bewohner Bangkoks dazu auf,
       sie sollten ausschließlich auf ihn hören.
       
       Das brachte ihm einen Rüffel der beiden großen englischsprachigen
       Tageszeitungen in Thailand ein, die ansonsten eher dafür bekannt sind, an
       der jetzigen Regierung kein gutes Haar zu lassen. Bangkok sei nicht
       Sukhumbhands persönliches Spielzeug, hieß es süffisant.
       
       Oppositionsführer Abhisit Vejjajiva, der bei den Wahlen im Juli haushoch
       gegen Yingluck verloren hatte, forderte seinerseits die Regierung dazu auf,
       den Notstand zu verhängen. Dieser würde der Armee weitreichende Kompetenzen
       verleihen, um die Flutkatastrophe effektiver zu bekämpfen, lautete seine
       Begründung. Das aber lehnte die Premierministerin ab: Schließlich war es
       das Militär, das Yinglucks Bruder Thaksin im September 2006 aus dem Amt
       geputscht hat. Und zwischen ihrer Regierung und der Armeespitze herrscht
       ohnehin ein gespanntes Verhältnis.
       
       Es gibt erste vorsichtige Anzeichen dafür, dass der Scheitelpunkt der Flut
       überschritten ist. Aber noch hält der Kampf dagegen an. Die Debatte über
       die Ursachen der Flut steht so lange im Hintergrund. Wer öffentlich darüber
       diskutiert, ist Chaiyuth Sukhsri, Chef der Abteilung für Wasservorkommen
       und -nutzung an der Bangkoker Chulalongkorn-Universität.
       
       ## Fehler der Vergangenheit holen das Land ein
       
       Er erklärt, dass in diesem Jahr, in dem besonders heftiger Monsunregen
       bereits ganze Landstriche verwüstet hat, mehrere unglückliche Umstände
       zusammentreffen. Wegen einer Dürre im vergangenen Jahr sei in den großen
       Reservoirs flussaufwärts Wasser in großen Mengen gespeichert worden. Dieses
       sei jedoch viel zu spät wieder abgelassen worden, nämlich erst dann, als
       Teile des Landes bereits unter Wasser standen.
       
       Auch die Auswirkungen des Klimawandels und die zunehmende Zerstörung der
       Wälder spielen für Beobachter eine Rolle. Wichit Chantanusornsiri von der
       Tageszeitung Bangkok Post sieht vor allem die Politik in der Verantwortung.
       "Überschwemmungen sind nichts Neues für Thailand", kommentiert er.
       
       "Die letzten Regierungen waren sich einig über die Notwendigkeit,
       Milliarden in die Wasserwirtschaft zu stecken, um Bauern zu helfen und
       Fluten abzuschwächen." Doch habe man versagt darin, den politischen Willen
       auch in die Tat umzusetzen. "Das Zögern und die Untätigkeit der
       Vergangenheit holen Thailand jetzt ein."
       
       Viele Thailänder sind angesichts der Flutkatastrophe nachdenklich geworden.
       "Wir haben der Natur viel angetan", sagt ein Helfer in einem der
       Evakuierungszentren, "jetzt rächt sie sich an uns." Andere hingegen sehen
       die Krise fatalistisch, so wie Wang Onn aus Ayutthaya.
       
       Die 64-Jährige sitzt auf einer Matratze im Evakuierungszentrum und
       schaukelt ihr Enkelkind. Sie sagt: "Niemand kann für solch eine Situation
       verantwortlich gemacht werden, man muss versuchen, damit zu leben."
       
       Auch Wang Onns Zuhause in Ayutthaya wurde bis unters Dach überschwemmt.
       Früher hat sie Essen verkauft, damit ist es vorerst vorbei. Wann sie nach
       Hause zurück kann, weiß sie nicht.
       
       30 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nicola Glass
       
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