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       # taz.de -- Strategiepapier zu inklusiver Bildung: Der weite Weg zur Regelschule
       
       > Die Kultusminister verabschieden ihre Empfehlungen zu inklusiver Bildung.
       > Doch die Bedürfnisse behinderter Kinder spielen keine große Rolle.
       
   IMG Bild: Dürfen selten gemeinsam lernen: Kinder mit und ohne Beeinträchtigung.
       
       In die Schule um die Ecke gehen? Für Max Klemm aus Karlsruhe ist das nicht
       möglich, obwohl die Schulleiterin der Grundschule in seinem Einzugsgebiet
       ihn gerne angenommen hätte. Denn für den jungen Autisten Max ist in seinem
       Bundesland Baden-Württemberg keine spezielle pädagogische Förderung
       vorgesehen. Deshalb geht der Siebenjährige jetzt auf eine private
       Grundschule, die eine eigene Sonderpädagogin beschäftigt. "Die Kosten für
       Anfahrt und Betreuung tragen wir selbst", sagt seine Mutter Sabine Klemm.
       
       Eigentlich ein Unding. Denn seit über zwei Jahren gilt auch in Deutschland
       die UN-Konvention, nach der behinderte Kinder das Recht und die Möglichkeit
       haben, eine Regelschule zu besuchen. De facto besucht die Mehrheit der
       Kinder mit einem sonderpädagogischen Förderbedarf nach wie vor eine
       separate Sonderschule, je nach Bundesland sind es zwischen 93 und 60
       Prozent.
       
       Immerhin haben die Kultusminister der Länder in langen Beratungen ein
       gemeinsames Strategiepapier für inklusive Bildung entwickelt und dieses am
       Donnerstag auf ihrer Konferenz in Berlin verabschiedet. Obwohl sich die
       Kultusministerkonferenz (KMK) vage zum "gleichberechtigten Zugang zu
       Bildung für alle" bekennt, stellt sie die Interessen der Bundesländer über
       die der betroffenen Kinder. So kann jedes Land weiterhin seine eigene
       Strategie in Sachen Inklusion verfolgen und an unterschiedlichen
       Schulformen für Kinder mit und ohne Behinderung festhalten.
       
       In den Augen des Deutschen Behindertenrats und betroffener Eltern sind die
       bloßen Empfehlungen deshalb "eine Enttäuschung". "Es muss konkretisiert
       werden, dass man sich von dem Strauß von Förder- und Sonderschulen
       verabschiedet", fordert Barbara Vieweg vom Deutschen Behindertenrat. Denn
       dieser "Strauß" zementiere die bestehende Ausgrenzung. So würde Geld
       gebunden, das für den Umbau der Regelschulen nötig wäre.
       
       ## "Einige Anmerkungen wurden aufgenommen"
       
       Sibylle Hausmann von der Bundesarbeitsgemeinschaft "Gemeinsam leben -
       gemeinsam lernen" kritisiert, dass Kinder weiterhin nach Schulformen
       einsortiert werden, je nachdem, welcher Förderbedarf bei ihnen
       diagnostiziert werde. "Dabei schaut man nicht nach dem Kind und dessen
       Bedürfnissen", sagt Hausmann. Denn in diesem Fall müssten sich nämlich die
       Schulen vor Ort auf die Besonderheiten der Schüler einstellen.
       
       Das ist in der Realität anders. In Baden-Württemberg gilt Autismus
       beispielweise nicht als Förderschwerpunkt, eine reguläre Schule bekommt
       keinen Sonderpädagogen speziell für Max Klemm zugewiesen. "Dafür müsste ich
       ihn als geistig behindert deklarieren - das ist er aber nicht", sagt Sabine
       Klemm. Der Blondschopf kann sprechen, möchte sich aber nicht gegenüber
       allen Leuten äußern. Stattdessen kann er in der Schule gut mit Bildkarten
       kommunizieren. Seine private Schule hat aus ihrem eigenen Budget eine
       Sonderpädagogin angestellt. Der Anteil behinderter Kinder beträgt dort
       insgesamt zehn Prozent.
       
       Edda Schliepack vom Sozialverband Deutschland erklärte am Donnerstag, man
       werde gemeinsam mit den Behindertenverbänden weiter für die Rechte
       behinderter Kinder kämpfen. Die Kultusministerkonferenz sieht ihren Auftrag
       hingegen als erledigt an. Eine Sprecherin sagte auf Anfrage: "Einige
       Anmerkungen der Verbände wurden aufgenommen und damit ist der Prozess nun
       abgeschlossen."
       
       20 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR K. Grass
   DIR T. Reuter
       
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