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       # taz.de -- Dopingkontrollen und Datenschutz: Die perfekte Überwachung
       
       > Deutsche Sportler protestieren gegen das Überwachungssystem der Nada.
       > Auch Datenschützer üben Kritik. Nun beschäftigen sich Politiker mit dem
       > Problem.
       
   IMG Bild: Unangenehme Pflicht: Nicht nur bei Wettkämpfen müssen Sportler Urinproben abgeben.
       
       BERLIN taz | Ein gewöhnlicher Termin war das für Heiko Schaffartzik gewiss
       nicht. Der Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft war am
       Mittwochnachmittag vom Sportausschuss des Bundestages eingeladen worden -
       und dann kam er auch noch zu spät.
       
       "Wir hatten einen so schlechten Saisonstart", entschuldigte sich der
       27-jährige Profi von Alba Berlin, "dass wir jetzt immer länger trainieren
       müssen." Schaffartzik vertrat im Gremium die Interessen der
       Nationalmannschaft sowie der Spielerinitiative der Basketballprofis
       (SP.IN). Thema: Doping und Datenschutz.
       
       Ende vergangenen Jahres hatten sich 150 Athleten, darunter Vertreter von
       SP.IN, an die Datenschutzbehörde des Landes Rheinland-Pfalz gewendet.
       Gegenstand war das Dopingkontrollsystem der Nationalen Antidopingagentur
       (Nada).
       
       Der Vorwurf: Der Schutz der Daten der Sportler und deren Privatsphäre seien
       durch die derzeit gängige Praxis, die eine Erreichbarkeit von bis zu 24
       Stunden an sieben Tagen in der Woche voraussetzt, nicht im Mindesten
       gewährleistet. "Der Kampf gegen Doping ist zweifelsohne sehr wichtig",
       sagte Schaffartzik am Mittwoch, "aber nicht zum Preis der totalen
       Überwachung der Sportler."
       
       Die Nada kontrolliert die Profisportler nach Vorgabe der Welt-
       Antidopingagentur (Wada). Das von der Wada entworfene "Anti-Doping
       Administration and Management System" (Adams) gibt es seit 2005. Dabei
       müssen die Athleten einer Meldepflicht nachkommen: Für einen Zeitraum von
       drei Monaten im Voraus ist der Aufenthaltsort anzugeben ("Whereabouts"),
       damit jederzeit Kontrollen stattfinden können.
       
       In den höchsten Risikoklassen, in die Sportler und Sportarten eingeteilt
       werden, muss sogar täglich ein Ort angegeben werden, an dem man sich zu
       einer bestimmten Stunde aufhält. Kommen die Sportler ihrer Pflicht dreimal
       in 18 Monaten nicht nach, verhängt die Wada Sanktionen bis hin zu einer
       Sperre zwischen ein und zwei Jahren.
       
       ## "Der Kontrolleur sitzt mit am Frühstückstisch"
       
       "Die Wada hat da eine zu starke Rolle inne", sagte der
       nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte Ulrich Lepper, "die müssen
       nicht alles wissen." Demnach würde die Wada viel zu viele Daten von den
       nationalen Agenturen einfordern.
       
       Lars Mortsiefer, Justitiar der Nada, stellte in Aussicht, sich bei der
       Weltdopingagentur "rechtliches Gehör zu verschaffen" und die
       Verhältnismäßigkeit der Kontrollmethoden national wie international zu
       überdenken. Andererseits sagte er aber, die Standards der "international
       hoch angesehenen" Nada im Sinne des Datenschutzes nicht zu weit senken zu
       wollen.
       
       Zum Kreis der von der Nada überprüften Sportlern und Sportlerinnen zählen
       in Deutschland insgesamt 8.000 Athletinnen und Athleten. Konkret kann das
       heißen: "Da kommt also um acht Uhr morgens ein Kontrolleur zu dir nach
       Hause", so Heiko Schaffartzik, "und wenn du gerade nicht pinkeln kannst,
       sitzt der eine Stunde mit dir und deiner Familie am Frühstückstisch."
       
       ## Persönlichkeitsrechte werden missachtet
       
       Die Crux: Einerseits will man ein möglichst perfekt organisiertes
       Dopingkontrollsystem. Dem steht eine Einschränkung der bürgerlichen
       Grundrechte gegenüber, die "wahrscheinlich" als "rechtswidrig" einzustufen
       wäre, so Stefan Brink, Datenschutzbeauftragter des Landes Rheinland-Pfalz.
       
       Ende Juli haben die Datenschutzbeauftragten des Landes Rheinland-Pfalz und
       des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein ein
       Papier vorgelegt, in dem es heißt: "Es ist geradezu unerträglich, dass in
       einem derart sensiblen Bereich die Persönlichkeitsrechte von Sportlern so
       missachtet werden."
       
       Etliche prominente Sportler - hierzulande etwa Handball-Nationaltorwart
       Jogi Bitter oder Fechterin Imke Duplitzer - sehen die Grenze des Zumutbaren
       überschritten. Die Kritik der Athleten richtet sich dabei auch gegen die
       Sichtkontrollen bei den Urinproben. "Das ist eine demütigende Prozedur", so
       Heiko Schaffartzik, "man zieht die Hose runter. Und so steht man vor dem
       Kontrolleur."
       
       Für die unter 16-jährigen Sportler hat die Nada zum Schutz Minderjähriger
       bereits reagiert - auf Antrag wird auf den Beobachter beim Toilettengang
       verzichtet. Soll man doch mehr mit Blutproben arbeiten? Letzteres schließt
       die Nada-Vorsitzende Andrea Gotzmann aus: "Die Urinproben sind
       alternativlos."
       
       20 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jens Uthoff
       
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