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       # taz.de -- Die Wut-Griechen über ihre Krise: Ein Land hat sich ruiniert
       
       > Griechenland ist lahmgelegt. Aber was bedeutet der Bankrott für die
       > Einheimischen? Vier Wut-Griechen erzählen aus ihrem Alltag und erklären,
       > wie es so weit kommen konnte.
       
   IMG Bild: Da braut sich was zusammen: "Wenn wir untergehen, geht ihr mit".
       
       ## "Was soll ich meinen Kindern sagen?"
       
       Eleni S., 52, Bankangestellte, Kykladen: "Soweit ich weiss leben wir hier
       immer noch in einer Demokratie, aber kürz mal meinen Nachnamen ab. Es ist
       ja keiner mit der wirtschaftspolitischen Situation hier zufrieden. Ich bin
       leitende Angestellte in einer Bank, arbeite seit 28 Jahren, habe in
       Griechenland und Deutschland studiert und einen Doktor in
       Wirtschaftswissenschaften.
       
       Ich verdiene 2.100 Euro im Monat. Davon bezahle ich monatlich 400 Euro
       Miete, Strom, Internet, Telefon, Wasser, Heizung, Benzin und im letzten
       Jahr kamen 500 Euro für Privatunterricht hinzu, weil das Schulniveau
       komplett den Lehrern überlassen wird und wenn man Pech hat, die Kinder
       nicht für die weiterführende Schule vorbereitet werden - von Englisch ganz
       zu schweigen. Was da für Lücken entstehen - kein Kind kann diese von
       alleine schliessen. Und in dieser Rechnung sind noch keine
       Lebenshaltungskosten für mich und meine zwei Kinder enthalten.
       
       Eine Putzfrau im Finanzamt verdient locker 2.500 Euro als Anfangsgehalt. Es
       gibt massive Gehaltsunterschiede in Griechenland, protegiert durch beide
       grosse Parteien. Man muss nur einer von beiden zur richtigen Zeit nahe
       stehen oder mit den richtigen Leuten verwandt oder bekannt sein dann kann
       man durch Partei-Protektion sehr viel Geld verdienen, ohne irgendetwas zu
       können oder tun zu müssen. Im vergangenen Jahr war ich noch Chefin der
       Bankfiliale und bekam ein Spitzengehalt von 2.800 Euro - das Bürschchen,
       das jetzt den Posten hat, weiß nicht einmal wie ein Bankauszug aussieht.
       Ich habe das so oft erlebt, dass es mich gar nicht mehr aufregt.
       
       Die Unfähigsten sind an der Spitze und jeder versucht sich dem irgendwie
       anzupassen. Die Ehrlichen sind die Dummen. Was mir bleibt, ist mein Stolz
       und meine Werte. Ich habe gearbeitet wie ein Pferd, nie Steuern hinterzogen
       und ich bin ein gutes Beispiel für meine Kinder. Aber es läuft darauf
       hinaus, dass die jungen, besten, toughesten, gescheitesten Griechen das
       Land verlassen werden. Was soll ich meinen Kindern sagen? Bleibt hier um zu
       arbeiten? Für was? Um den Korruptionsapparat zu stützen?
       
       Wenn jetzt eine Steuererhöhung von zwei Prozent auf das gesamte Einkommen
       erhoben wird, ist das eine Menge, wenn man nicht, wie die meisten,
       hinterzieht. Es wird keine Rcksicht darauf genommen, für wie viele Personen
       das Einkommen reichen muss. Dazu kommt noch ein Solidaritätszuschlagvon 400
       bis 500 Euro und dann diese ominöse, überhaupt nicht durchdachte
       Grund-und-Boden-Steuer?
       
       Über die Stromrechnung soll die eingezogen werden, damit man bei
       Nichtzahlung den Strom abdrehen kann - um Druck aufzubauen. Als Mieter bin
       ich zwar Stromrechnungsempfänger, jedoch nicht der Eigentümer, der die
       Steuer zahlen sollte. Die EDV ist auf das Ganze sowieso überhaupt nicht
       vorbereitet, das wird ein Fiasko. Jedes Schulkind hättte sich die Sache
       sinnvoller überlegt.
       
       Und die ganzen Parlamentsangestellten sind von all den Kürzungen nicht
       betroffen. Die ziehen am Tag wenn's hochkommt eine Kopie und bekommen 16
       große Monatsgehälter - es ist Blödsinn, einfach Blödsinn."
       
       ## "Griechen bekommen immer Rabatt"
       
       A. Tserkezis, 42, Pensionsinhaber, Chalkidiki: "Dieser Staat hat kein
       Steuersystem, zumindest verfügt er nicht über die Möglichkeiten, die Gelder
       einzutreiben oder nachzuvollziehen, wo die fehlenden Gelder geblieben sind.
       Die Regierung ist machtlos gegenüber dem Volk und den Gewerkschaften, die
       jetzt das Land bestreiken. Viele von denen, die jetzt streiken, haben
       jahrelang die guten Gehälter genossen und sind steuermäßig in Ruhe gelassen
       worden, aber jetzt sollen auch sie weniger Geld kriegen, deswegen streiken
       sie und wenden sich gegen die Regierung, die sie zuvor protegiert hat.
       
       Wenn niemand beim Einkaufen oder im Restaurant Belege verlangt, dann kann
       der Staat auch keine Steuern einnehmen. Deswegen müssen wir jetzt Kredite
       aufnehmen. Hier bietet einer eine Bootstour an und verdient bei 50
       Passagieren vielleicht 5 Euro pro Tour. Davon müsste er 23 Prozent Steuern
       zahlen, wenn er es aber nicht angibt, zahlt er auch nichts. So machen das
       60 Prozent der Griechen, würde ich sagen. So entgehen dem Staat Milliarden.
       Und auf jeder Tour fahren fünf gut bezahlte Angestellte mit, einer fürs
       Ankerwerfen, einer für die Leiter, einer fürs Steuerrad, einer fürs
       Kaffeekochen …
       
       Eine von Touristen gut besuchte Taverne macht in der Saison 300.000 Euro.
       Wenn der Staat fragt, was der Laden umsetzt und wie viel Steuern man
       gedenkt zu zahlen, dann sagen die Betreiber vielleicht, sie hätten 100.000
       verdient, und versteuern 10 Prozent. Hast du schon mal nach einem Essen in
       der Taverne eine richtige Rechnung, einen Beleg auf dem Tisch gehabt? Nein?
       Siehste!
       
       Und wenn kontrolliert wird, dann kommen die mit einer Verwarnung davon, und
       das wars. Mein Vater hat hier Anfang der neunziger Jahre illegal gebaut,
       dafür hab ich jetzt 13.000 Euro Strafe gezahlt und 20 Prozent Rabatt
       gekriegt. Weil ich gleich gezahlt habe. In Griechenland kriegt man immer
       Rabatt. Jetzt können wir legal umbauen.
       
       Und wenn einer Bürgermeister werden will, dann kommt er zu mir und sagt,
       wenn ich ihn wähle, dann kriege ich einen Job in der Fabrik. In meiner
       Heimatstadt Drama im Norden war das so. Da hatte die Fabrik, die nur 250
       Mitarbeiter haben durfte, 1.200 Mitarbeiter, deswegen musste sie nach einem
       Jahr wieder schließen."
       
       ## "Ihr geht mit uns unter"
       
       Stavros M. , 49, Tavernenbetreiber, Chalkidiki: "Egal welche Partei, ich
       halte unsere Regierung und den Großteil meiner Landsleute für Vollidioten.
       Seit Jahren verändert sich nichts, es ist völlig egal, welche der beiden
       großen Parteien an der Regierung ist. Die sind nur damit beschäftigt, das
       Leben für sich und ihre Unterstützer so angenehm wie möglich zu gestalten.
       Und das ist jetzt das Ergebnis: Staat pleite, die Reichen reich und die
       Leute, die immer redlich gearbeitet haben, zahlen die Zeche.
       
       Ich bin zwar Kommunist, aber ich spekuliere an der Börse in der Hoffnung,
       das korrupte System mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Das kann auch
       schiefgehen. Auf jeden Fall bin ich nicht so blöd, das Geld dem Staat zu
       geben, ich hab ne Menge Geld auf deutschen Konten. Und wenn wir Griechen
       baden gehen, geht ihr und der Euro mit, so viel ist klar."
       
       ## "Immer absurder"
       
       Konstantina P., 44, Angestellte im Pharma-Konzern, Athen: "Der Streik ist
       für mich die logische Konsequenz aus der Schockstarre, in der sich die
       Stadt in den letzten Wochen befunden hat. Jeden Tag ist alles neu, alles
       anders, es ist von immer neuen absurderen Steuern die Rede, von denen wir
       nicht wissen, wovon wir sie zahlen sollen. Besonders nicht, seit die
       Lebensmittelpreise so drastisch ansteigen, dass ich für einen Grundeinkauf
       plötzlich 160 Euro bezahlen muss und nicht weiß, ob ich morgen noch mein
       Gehalt bekomme. Absurd."
       
       20 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Julia Niemann
       
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