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       # taz.de -- Carlos-Biopic auf Arte: Der Spieler als Spielfigur
       
       > Zwei Abende und 330 Minuten lang zeigt Arte das Leben des Terroristen
       > Carlos. Ein großes Werk über persönliche Eitelkeiten und internationale
       > Zusammenhänge.
       
   IMG Bild: Cool aussehen ist nicht alles: Carlos.
       
       "Revolutionär müsste man sein", diese Bilanz soll der männliche
       Fernsehzuschauer wohl angesichts der Anbandelungskünste des Terroristen
       Carlos ziehen. Ein kurzer Dialog. Eine Handbewegung zwischen die Beine der
       Frau. Dann Sex.
       
       Arte widmet die kommenden zwei Abende dem internationalen Terrorismus und
       strahlt die Filmbiografie "Carlos" von Olivier Assayas aus, ein Jahr
       nachdem sie in den Kinos zu sehen war. Im Gegensatz zur deutschen
       Kinoversion hat Arte aber eine eigene deutsche Synchronfassung mit
       deutschen Untertiteln erstellt, die den multinationalen Sprachsituationen
       des Films viel eher gerecht wird.
       
       Ungewohnt ausführlich – 330 Minuten füllt der ursprünglich als
       Fernsehproduktion entwickelte Stoff – widmet sich der Film dem Lebenswandel
       und -werk des Venezolaners Illich Ramírez Sánchez, der sich Mitte der
       siebziger Jahre international einen Namen als Carlos, der Terrorist,
       gemacht und insbesondere durch die Geiselnahme im Opec-Hauptquartier in
       Wien bekannt wurde.
       
       Das blutige Spiel beginnt mit einer Autobombe, bei der der Verbindungsmann
       der PFLP (Volksfront für die Befreiung Palästinas) Mohamed Boudia in Paris
       ums Leben kommt. Carlos, gespielt von Édgar Ramírez, bekommt das Angebot,
       den Posten zu übernehmen, und tut damit den ersten Schritt auf dem Weg zum
       international gefürchteten Terroristen. An dieser Stelle setzt Olivier
       Assayas in medias res ein.
       
       ## Keine Erklärversuche, keine Vorgeschichte
       
       Sein Terroristen-Epos unternimmt keine Erklärungsversuche, lässt
       Vorgeschichte und Werdegang weg und konzentriert sich auf eine detaillierte
       Schilderung der Geschehnisse mit klarem Anfangs- und Schlusspunkt. Er fügt
       all die Lebensstationen, die politischen Verbindungen, die
       zwischenmenschlichen Kontakte zusammen und erstellt aus der verworrenen
       Vielzahl an Informationen eine chronologische nachvollziehbare Aufreihung
       der Ereignisse, deren Lücken er mit fiktionalen Elementen füllt.
       
       Das Bild, das sich dabei aus den einzelnen Mosaiksteinchen zusammensetzt,
       ist Psychogramm mit Biografischem vermengt. "Glaubst du, dass das alles nur
       ein Spiel ist?", brüllt Carlos, in Rage gestritten, seiner Frau Magdalena
       Knopp (Nora von Waldstätten) entgegen. "Das ist ein Krieg! Und wir sind
       Soldaten!"
       
       In seiner Aufschlüsselung der komplexen internationalen Zusammenhänge, in
       die Carlos immer tiefer verwoben wird, zeigt Regisseur Olivier Assayas,
       dass es eben doch nur ein Spiel ist. Ein ernstes und blutiges zwar, aber
       ein Spiel. Carlos kämpft schon bald nicht mehr für eine revolutionäre Idee,
       sondern für sein eigenes Machtinteresse. Carlos' große Fehleinschätzung ist
       dabei, dass er sich als Spieler wähnt und doch nur eine Spielfigur auf dem
       internationalen Parkett abgibt.
       
       Assayas hat eine spannend erzählte, fast schon klassische Tragödie unserer
       Zeit hervorragend mit filmischen Mitteln umgesetzt. Er betreibt zumeist
       keine Mystifizierung, sondern versucht den Menschen Carlos in seiner
       Komplexität dazustellen. Dass er aber bei manchen Szenen, nicht die gleiche
       Genauigkeit hat walten lassen, wie er es mit den Requisiten aus den 70ern
       handhabt, ist schade.
       
       Ob die Verführungskünste von Carlos tatsächlich derart schablonenhaften
       männlichen Traumvorstellungen entsprochen haben? Und dass beim Überfall auf
       die Opec-Zentrale in Wien mitten im Winter (21.12.1975) die Herren
       Terroristen in luftiger Kleidung unter dem grünen Laubdach der Bäume
       hindurchfahren, grenzt an ein Naturwunder. Bei aller Detailversessenheit
       schmälert das leider ein bisschen das Vertrauen in die Genauigkeit mit der
       Historie. Ein toller Film bleibt es dennoch.
       
       "Carlos", Do./Fr., 20./21. Oktober, jeweils 20.15, Arte
       
       20 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Max Büch
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt 1968
       
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