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       # taz.de -- Hommage an Kraftwerk: Sing den Bundestrojaner
       
       > Es mag komisch klingen: Die berühmteste elektronische Popband der Welt
       > Kraftwerk wird mit einer Ausstellung geehrt und gibt mehrere umjubelte
       > Konzerte in München.
       
   IMG Bild: 3D-Videoinstallation ihrer selbst: Kraftwerk.
       
       Jetzt ist es so weit: Kraftwerk darf ins Museum. Das fühlt sich seltsam an,
       selbst für die berühmteste Elektronik-Popband der Welt. Bevor Kraftwerk,
       beziehungsweise eine 3-D-Videoinstallation ihrer selbst, wirklich in dem
       zum Münchner Lenbachhaus gehörigen unterirdischen Kunstbau ausgestellt ist,
       spielten die Musikarbeiter, wie sie sich nennen, drei ausverkaufte Konzerte
       in der Alten Kongresshalle.
       
       Zu hören gab es dort nichts Neues. Aber zu sehen: Die gesamte Videoshow -
       nicht umsonst ist Video Operator Stefan Pfaffe seit 2008 fester Bestandteil
       der Band - war in 3-D projiziert. Man darf nicht vergessen, dass das
       Erscheinungsbild immer schon wichtiger Aspekt der Inszenierung von
       Kraftwerk war. Da waren zunächst die Anzüge, die Krawatten und die kurz
       geschnittenen Haare, die die Kraftwerk-Musiker trugen - erst als Abgrenzung
       zu den Hippies, dann zu den Punks -, die schließlich in der immer weiter
       vorangetriebenen Idee gipfelte, die Band durch Roboter zu ersetzen.
       
       Da waren die Plattencover, die Videos und die von Mal zu Mal perfekter
       choreografierten Liveauftritte. Kraftwerk hat konsequent die Idee verfolgt,
       die Band zu einem Gesamtkunstwerk zu machen. Oder besser: Sie waren keine
       Band in dem Sinne, in dem Andy Warhol kein Maler war.
       
       ## Vereinnahmung in 3-D
       
       Bei den Konzerten in München ist man per 3-D-Videos wieder einen Schritt
       weiter. Die Animationen erscheinen direkt über dem Publikum. Dadurch ist es
       noch mehr vereinnahmt, noch ein Stück näher daran, wird Bestandteil der
       Mensch-Maschine. So wie die Band hinter ihren Steuerungspulten mit ihren
       Synthesizer- und Bassmaschinen eine Einheit bilden, wird das Publikum, wenn
       auch auf passive Weise, in die Videos eingebunden.
       
       Mit was für einer großen Geste die Show beginnt! Die Maschine erweckt den
       Menschen. Kraftwerk eröffnet am Mittwochabend mit "Die Roboter", und die
       vom russischen Avantgardisten El Lissitzky inspirierten Humanoiden vom
       Cover ihres Albums "Die Mensch-Maschine" führen ihren steifen Tanz auf.
       Fast wie auf Michelangelo Buonarottis "Erschaffung Adams" greifen ihre
       Hände zum Publikum.
       
       Dann laufen die menschengesteuerten Maschinen, sprich: Synthesizer, und das
       Publikum wippt mit, jubelt begeistert vor und nach jedem Song, einige
       versuchen sogar mitzuklatschen. In ihren schwarzen Polyester-Jacken spielen
       Kraftwerk "Autobahn" und "Das Modell", "Radio-Aktivität" und
       "Trans-Europa-Express", "Tour de France" und "Techno Pop", zwei Stunden
       lang, von den Hits fehlt nur noch "Taschenrechner". Bei "Nummern" fliegen
       die Ziffern von eins bis acht über den Köpfen des Publikums, bei "Vitamin"
       die Pillen und Tabletten, bei "Autobahn" sitzen die Zuschauer mit der Band
       im Auto.
       
       Auch die Schwarz-Weiß-Aufnahmen, die "Das Modell" und "Tour de France"
       illustrieren, haben jetzt einen leichten 3-D-Effekt. Eine Innovation ist
       das in Zeiten, in denen jeder Blockbuster mit einer 3-D-Version aufwartet,
       zwar nicht. Aber in den 3-D-Projektionen steckt die Idee Kraftwerk, wieder
       ein Stück konsequent weitergedacht.
       
       Zu hören sind auch "Die Mensch-Maschine" und "Computerwelt", und hier zeigt
       sich noch einmal die politische Dimension von Kraftwerk: Auf den Alben und
       in den Songs der Band sind schon immer die Zeichen eines kosmopolitischen
       Europäertums zu finden, die Mensch-Maschine, der Cyborg, ist ein immer
       realer werdendes Traumbild der technischen Entwicklung - und apropos
       Technologie: "Interpol und Deutsche Bank / FBI und Scotland Yard /
       Flensburg und das BKA / haben unsre Daten da / Nummern, Zahlen, Handel,
       Leute" heißt es in "Computerwelt". Das hört sich fast an, als besingen
       Kraftwerk den sogenannten Bundestrojaner. Das Lied jedoch wurde bereits
       1981 veröffentlicht. Nicht nur musikalisch waren Kraftwerk damals ihrer
       Zeit weit voraus.
       
       Keine Frage also, Kraftwerk haben sich ihren Platz im Museum verdient.
       Durch ihre musikhistorischen Verdienste von Elektro-Pop bis Techno, durch
       ihr von kunsthistorischen Referenzen gespicktes visuelles Werk - das reicht
       von den Film-Expressionisten wie Fritz Lang bis zu Warhol - und durch ihre
       politische Relevanz. Konkret sieht das dann so aus: Die vier
       Kraftwerk-Roboter stehen in aufrechten Sarkophagen an der Wand, hin und
       wieder bewegen sie sich und starren die Betrachter ausdruckslos an. Sie
       tragen nicht mehr rote Hemden und schwarze Krawatten, sondern den gleichen
       Polyester-Anzug, den die Band bei den Konzerten trug. Nur leuchtet auf
       ihren Anzügen ein neongrünes Gitter, wie es 3-D-Grafiker zur Erfassung von
       Formen verwenden.
       
       Dass die Roboter so beiseite stehen, hat sein Gutes. Auf den Konzerten
       stört die Präsenz der Musiker und ihrer Pulte oft die einwandfreie
       Darstellung der 3-D-Projektionen. Nur von wenigen Plätzen in der Alten
       Kongresshalle hatte man einwandfreie Sicht. Das ist bei der
       Videoinstallation anders. Kraftwerk hat sie für den Kunstbau geschaffen, es
       gibt drei große Leinwänden mit Projektionen, hin und wieder werden auch
       noch andere Elemente des Raums mit einbezogen. Jetzt kann man sich die
       perfekte Position suchen, damit der 3-D-Effekt auch ungestört wirken kann.
       
       ## Roboter in Rot
       
       Gezeigt werden die Visuals, die auch auf den Konzerten zu den Songs laufen.
       In dieser Präsentationsweise kann man sich vollends der audiovisuellen
       Überwältigung ergeben. Für die Videopräsentation wurde sogar eigens im
       Kunstbau gedreht. So stehen die Roboter - jetzt wieder in Rot-Schwarz -
       plötzlich da, wo eigentlich der Betrachter steht.
       
       Als man sie von der Ausstellung zu überzeugen versuchte, so erzählt es
       Kurator Matthias Mühling, habe man mit allerhand zeitgenössischen Künstlern
       argumentiert, die bereits ausgestellt hätten. Die Antwort von Kraftwerk:
       "Ach, wir finden Kandinsky und Mondrian viel besser." Da ist das
       Lenbachhaus mit seinem Bezug zum Blauen Reiter genau der richtige Ort.
       
       Andererseits böten sich für Kraftwerk noch ganz andere Möglichkeiten an:
       Schon früher fantasierte die Band darüber, wie es wäre, vom Studio aus in
       ihrem Studio eine Tournee zu simulieren. Wäre es da nicht naheliegend,
       Konzerte einfach ins Internet zu verlegen? Trotz zeitloser Musik ist auch
       Kraftwerk-Lenker Ralf Hütter älter geworden: Er gilt als Skeptiker in Bezug
       auf die neuen Kommunikationsmedien. Dann doch lieber ins Museum.
       
       14 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elias Kreuzmair
       
       ## TAGS
       
   DIR Krautrock
   DIR Düsseldorf
       
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