URI: 
       # taz.de -- Gefangenenaustausch in Nahost: Israelischer Soldat Schalit kommt frei
       
       > Israels Regierung stimmt einem Austausch Gilad Schalits mit 1.027
       > palästinensischen Gefangenen zu. Die Bevölkerung steht dahinter. Und im
       > Gazastreifen feiert die Hamas.
       
   IMG Bild: Gilad Schalit ist mittlerweile zum omnipräsenten Gesicht auf israelischen Hausmauern geworden.
       
       JERUSALEM taz | "Die Freude ist unbeschreiblich", kommentierte Aviva
       Schalit, die Mutter des entführten Soldaten Gilad Schalit, den
       Regierungsbeschluss über einen Geiselaustausch. Nach fast 2.000 Tagen in
       den Händen der Hamas soll der heute 25-Jährige vielleicht schon bald auf
       freien Fuß kommen, im Gegenzug zu 1.027 Palästinensern. Israels
       Verteidigungsminister Ehud Barak überbrachte die Nachricht des
       Kabinettsbeschlusses am Mittwoch in den frühen Morgenstunden der Familie
       Schalit. Mutter und Vater sowie die beiden Geschwister reagierten so, wie
       man sie in den vergangenen fünf Jahren beobachten konnten: gefasst.
       
       Obschon die Liste der palästinensischen Häftlinge, die im Zuge des
       Geiselhandels entlassen werden sollen, noch nicht veröffentlicht ist,
       feierten Palästinenser bereits die baldige Rückkehr ihrer Freunde und
       Verwandten. "Ich bin der glücklichste Mann", sagte der Vater eines seit
       über zwanzig Jahren inhaftierten Palästinensers vor Journalisten im
       Gazastreifen. "Ich wünsche der Familie Gilad Schalits alles Gute und hoffe,
       dass alle palästinensischen Häftlinge bald auf freien Fuß kommen." Aus den
       Lautsprechern der Moscheen tönten Lobesrufe auf die Führung. Bewaffnete
       Männer feuerten Schüsse in die Luft.
       
       Die Einigung zwischen Israel und der Hamas unterscheidet sich kaum von
       einem Vertragsentwurf, der schon wenige Monate nach der Entführung Schalits
       auf dem Verhandlungstisch lag. Vor zwei Jahren schien eine Einigung nah,
       die dann aber an den rund 100 Namen von Personen scheiterte, die "Blut an
       den Händen" haben. Erst seit Juli sollen sich laut Informationen des
       Inlandsnachrichtendienstes Schin Beth, beide Seite kompromissbereiter
       gegeben haben.
       
       Israel stimmte der Rückführung einiger hundert zu lebenslanger Haftstrafe
       verurteilten Palästinensern zu. Die Hamas ließ von ihrer anfänglichen
       Forderung, eine Reihe besonders gefährlicher Attentäter zu entlassen, ab.
       Weder der zur fünfmal lebenslangler Haft verurteilte Fatah-Führer Marwan
       Barghuti steht auf der Anmestie-Liste, noch Ahmad Saadat, Chef der
       Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP).
       
       ## "Terror lohnt sich"
       
       Die Bereitschaft zu Zugeständnissen wuchs bei der Hamas mit ihrer sinkenden
       Popularität auch im Gazastreifen. Machtlos musste Ismail Hanijeh,
       Premierminister der Hamas, zusehen, wie sein politischer Gegenspieler,
       Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, nach New York zog, um dort vor der UNO
       die Anerkennung und Vollmitgliedschaft "Palästinas" zu beantragen. Mit der
       Rückführung von über tausend Häftlingen stellt die Hamas die Fatah auf
       innenpolitischer Bühne nun wieder in den Schatten.
       
       In Jerusalem brachte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu vor den Ministern
       seine Sorge zum Ausdruck, dass die Zeit für einen Geiselhandel ausläuft. So
       unverhältnismäßig der Handel von eins zu über tausend sein mag - ein
       Schlüssel, der selbst in der Geschichte Israels unübertroffen bleibt - so
       sehr wird die Regierungsentscheidung vom Volk gestützt.
       
       Das Bild des gefangenen Soldaten, von dem im September 2009 ein kurzes
       Video veröffentlicht wurde, ist über die vergangenen fünf Jahre hinweg in
       den Medien und auf Straßenplakaten präsent gewesen. Die Familie Schalits
       sorgte hartnäckig dafür, dass ihr Sohn nicht in Vergessenheit gerät. So
       verbrachten seine Eltern über ein Jahr in einem Protestzelt unweit von
       Netanjahus Amtssitz. Matan Wilnai, Minister für den Schutz der
       Zivilbevölkerung, kommentierte die Einigung als Beweis, dass "jeder
       einzelne Soldat eine Welt für sich ist. Wir werden die höchsten
       Anstrengungen unternehmen, ihn nach Hause zu bringen."
       
       Nur drei der insgesamt 29 Minister stimmten gegen den Gefangenenaustausch,
       darunter Außenminister Avigdor Lieberman und Usi Landau, Minister für
       Nationale Infrastruktur. "Die Botschaft des Gefangenenhandels ist, dass
       sich Terror lohnt", mahnte Landau. "Dies ist ein großer Erfolg für die
       Hamas."
       
       Joram Cohen, Chef des Schin Beth, rechnet damit, dass schon Mitte nächster
       Woche die erste Stufe der Vereinbarung umgesetzt wird. Demnach würden
       zunächst 450 Palästinenser entlassen werden, davon 40 in Drittländer. Gilad
       Schalit selbst soll zuerst nach Ägypten gebracht werden.
       
       ##
       
       12 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Knaul
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Gefangenentausch Israel-Palästina: Agent mit Lizenz zum Tauschen
       
       Gerhard Conrad, BND-Agent, hat den Gefangenentausch zwischen Israel und der
       Hamas ausgehandelt. Er gilt als fairer Vermittler, doch wie er aussieht,
       bleibt geheim.
       
   DIR Gefangenenaustausch in Israel: Soldat Schalit freigelassen
       
       Der Israeli Gilad Shalit ist am Dienstag am Grenzübergang Rafah
       freigelassen worden. Bis kurz vorher verhandelt der Oberste Gerichtshof
       noch über Einsprüche der Opfer.
       
   DIR Geiselaustausch zwischen Israel und Hamas: Aktion beginnt wohl nicht vor Dienstag
       
       Gefängnisbehörden befürchten Unruhen von Häftlingen, die nicht amnestiert
       werden. Die Öffentlichkeit kann Einspruch gegen das Abkommen einlegen.
       
   DIR Kommentar Gefangenentausch Nahost: Zwei strahlende Sieger
       
       Die Befreiung Gilad Schalits dürfte der größte politische Triumpf des
       israelischen Premiers Netanjahu sein. Aber auch die Hamas wird feiern: Sie
       hat unnachgiebig verhandelt.
       
   DIR Skeptische Solidarität in Ramallah: "Mit Seele und Blut für dich, Palästina"
       
       Die Fatah demonstriert im Westjordanland Solidarität mit PLO-Chef Abbas,
       der die Uno-Mitgliedschaft beantragen wird. Es gibt aber auch skeptische
       Stimmen in Palästina.
       
   DIR Soziale Protestbewegung in Israel: Flaute vor dem Marsch der Millionen
       
       Am Samstag beteiligen sich nur 15.000 Menschen an der Demo der sozialen
       Protestbewegung. Doch die verbleibenden Aktivisten mobilisieren
       unverdrossen weiter.
       
   DIR Übergabe von getöteten Palästinensern: Leichen als Verhandlungsmasse
       
       Israels Verteidigungsminister Barak stoppt die Übergabe von 84 getöteten
       Palästinensern. Die Leichen dienen als Pfand für einen entführten
       israelischen Soldaten.