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       # taz.de -- Deutscher Sieg in Istanbul: Immer wieder Müller
       
       > Das DFB-Team gewinnt mit 3:1 im Hexenkessel von Istanbul - auch dank
       > eines überragenden Torwarts Neuer. Und Müller schafft das Kunststück,
       > sich an allen Toren zu beteiligen.
       
   IMG Bild: Hart umkämpfter Ball: Thomas Mueller gegen Mehemt Aurelio.
       
       ISTANBUL taz | Das erst im März eröffnete Stadion von Galatasaray Istanbul
       steht bereits im Guinessbuch. Es soll, das haben Messungen ergeben, das
       lauteste der Welt sein. Am Freitagabend aber machte es diesem Titel nur
       ganze sieben Minuten lang Ehre.
       
       Diese sieben Minuten begannen mit dem Anschlusstreffer der türkischen
       Nationalmannschaft und endeten mit dem entscheidenden Gegentor, das die
       1:3-Niederlage im EM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland besiegelte. Aber
       immerhin jene sieben Minuten schien es so, als könnten die 50.000 Zuschauer
       den Rekord von 131,76 Dezibel brechen.
       
       Der fehlenden Dezibel sind allerdings das kleinste Problem der Türken.
       Aufgrund der Niederlage und nach dem gleichzeitigen 4:1-Sieg der Belgier
       gegen Kasachstan, sind sie nun auf deutsche Schützenhilfe angewiesen. Die
       DFB-Auswahl darf am Dienstag nicht gegen Belgien verlieren und die Türken
       müssen gegen Aserbeidschan gewinnen: Dann wären immerhin Gruppenplatz 2 und
       ein Platz in den EM-Playoffs gesichert.
       
       Die Niederlage, so Guus Hidink nach dem Spiel, stand eigentlich schon nach
       einer halben Stunde fest. Da stand es zwar noch 0:0, aber, beklagte der
       holländische Trainer der Türken, seine Mannschaft hatte da bereits zwei
       hochkarätige Chancen vergeben. Wäre man da in Führung gegangen, so Hiddink,
       wäre ein Unentschieden drin gewesen.
       
       ## Konzentriert und der eigenen Stärken bewusst
       
       Tatsächlich war es erstaunlich, wie die deutsche Mannschaft auftrat.
       Nämlich einerseits so entspannt, wie es einem Spiel zustand, das für sie
       keine große Bedeutung mehr hatte, weil die
       Europameisterschafts-Qualifikation längst geschafft ist. Andererseits aber
       auch konzentriert in den entscheidenden Momenten und sich der eigenen
       Stärken bewusst.
       
       Dieses Selbstbewusstsein wurde nach dem Spiel deutlich in der Formulierung
       manches eigentlich unscheinbaren Halbsatzes in den Aussagen des
       Bundestrainers. "Nicht ganz so einfach" sei die Aufgabe gewesen, sagte
       Joachim Löw, aber man habe "eine ganz ordentliche Mannschaftsleistung"
       geboten.
       
       Tatsächlich war die deutsche Mannschaft lange nicht so überlegen, wie sie
       hätte sein können. Sie strahlte aber selbst, als sie noch nicht in Führung
       lag, eine erstaunliche Selbstsicherheit aus, die dann, nachdem das Spiel
       entschieden war, schon fast in Arroganz umzukippen drohte. Das Pressing,
       das, so Löw, "in der ersten Halbzeit nicht so funktioniert hatte, wie es
       sollte", funktionierte dann wieder. Die einstudierten Automatismen liefen
       so im Sinne des Bundestrainers, dass sein Gegenüber Hiddink gleich mehrmals
       die "ausgeprägte taktische Disziplin" der Deutschen lobte.
       
       Das lag wohl auch daran, dass Löw, um sich aus Belgien nicht den Vorwurf
       der Wettbewerbsverzerrung anhören zu müssen, auf große personelle Rochaden
       verzichtet hatte. Der Mönchengladbacher Marco Reuß, den viele von Anfang an
       erwartet hatten, blieb erst einmal auf der Bank und kam erst in der 90.
       Minute zu seinem Länderspieldebüt.
       
       ## Klose und Özil auf der Tribüne
       
       Und dank der Innenbandzerrung von Miroslav Klose musste Löw noch nicht
       einmal an seinem bewährten System herumdoktorn. Ursprünglich hatte er
       überlegt, ausnahmsweise mit zwei Spitzen anzutreten, weil sowohl Klose als
       auch sein Konkurrent Mario Gomez zuletzt in so guter Verfassung waren. So
       konnte er wie gewohnt im 4-2-3-1 spielen lassen mit Gomez als einsamer
       Spitze.
       
       Den offensiven Platz hinter Gomez nahm Mario Götze ein. Den dort eigentlich
       gesetzten Mesut Özil platzierte Löw dagegen nicht einmal auf die Bank. Der
       Deutsch-Türke Özil soll zwar angeboten haben, trotz Achillessehnenreizung
       mit einem schmerzstillenden Mittel aufzulaufen. So aber blieb ihm, darüber
       wird er nicht unglücklich gewesen sein, ein Pfeifkonzert wie schon im
       Hinspiel vor fast genau einem Jahr in Berlin erspart.
       
       Özil-Ersatz Götze zeigte denn auch prompt ab und an kleine Kunststückchen
       mit Hacke und Außenrist, fügte sich sonst aber klaglos in das zu Beginn
       gepflegte, aber auch nicht sonderlich aufs gegnerische Tor drängende Spiel
       der Deutschen ein.
       
       Das türkische Spiel wirkte dagegen lange nicht so ausgereift, aber trotzdem
       kamen sie, zumindest zu Beginn, zu jenen Chancen, deren Auslassen Hiddink
       später beklagen sollte: Hamit Altintop scheiterte alleingelasen vor dem
       deutschen Tor an Manuel Neuer (5.Minute) und Selcuk Inan drosch eine
       Direktabnahme aus gut zehn Metern in den Abendhimmel (29.).
       
       Die deutsche Führung in Minute 35 fiel deshalb zwar einigermaßen
       überraschend, in der Entstehung aber folgerichtig: Torhüter Neuer, der eben
       noch einen Ball hatte halten müssen, warf weit ab auf Thomas Müller, der
       wiederum Mario Gomez anspielte. Der vernaschte mal schnell den hüftsteifen
       türkischen Innenverteidiger Servet Cetin und ließ mit einem Schuss ins
       lange Eck Volkan Demirel keine Chance.
       
       Das war eine perfekte Demonstration jenes schnellen Umkehrspiels, das Löw
       predigt, ein perfekt vorgetragene Konter mit mitspielendem Torhüter. Es
       sollte nicht der letzte bleiben. Auch das 0:2 brauchte wieder nur drei
       Stationen: Ein Befreiungsschlag von Neuer landet diesmal bei Götze, der
       Thomas Müller einsetzt, der von der Strafraumkante trocken einschob (66.).
       
       ## Müller bringt Türken zurück ins Spiel
       
       Nun schien das Spiel entschieden. Die Türken schienen zu resignieren, sie
       gaben ihre Ordnung auf, schlampten beim Nachrücken und ließen die Deutschen
       immer wieder hübsch nach vorne kombinieren. Nicht nur der eingewechselte
       Schürrle hätte noch erhöhen können (72.), immer mehr Chancen ergaben sich
       für die Deutschen, die aber oft das Kurzpassspiel in letzter Konsequenz
       übertrieben. So leise war es da in der Arena geworden, dass selbst der
       kleine deutsche Block und dessen "Auf Wiedersehen"-Sprechchöre deutlich zu
       hören waren.
       
       Thomas Müller war schuld daran, dass doch noch ein Lärmrekordversuch
       gestartet wurde. Er war beim Zurücklaufen "ein bisschen faul" gewesen, wie
       er hinterher zugab, und so konnte der völlig frei stehende Hakan Balta eine
       Flanke von Gökhan Gönül volley versenken (79.).
       
       Es folgten die besagten sieben Minuten. Die Türken auf dem Platz und die
       auf den Rängen bekamen die zweite Luft. Bis, wer sonst, Thomas Müller die
       Luft wieder raus ließ. Der Bayern-Profi drang von links in den Strafraum
       ein und ließ sich von Gönül umrennen. Den fälligen Elfmeter verwandelte
       Bastian Schweinsteiger zum Endstand (86.). Augenblicklich war die Arena
       wieder so leise wie zuvor und begann sich merklich zu leeren.
       
       Sie alle aber werden am Dienstag wiederkommen. Und wenn dann ein Sieg gegen
       Aserbaidschan gelingen sollte. Und wenn gleichzeitig Deutschland in
       Düsseldorf gegen Belgien gewinnt. Dann, ja dann, sollte ein neuer
       Lautstärkerekord drin sein im nagelneuen Istanbuler Stadion.
       
       8 Oct 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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