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       # taz.de -- Zwei Gegner von Merkels Rettungsschirm: Die leisen Euro-Dissidenten
       
       > Sie sind zwei von bis zu 19 Abweichlern in der Koalition. Warum Josef
       > Göppel und Veronika Bellmann der Kanzlerin am Donnerstag die Gefolgschaft
       > verweigern.
       
   IMG Bild: Wird im Bundestag nicht alle Parteifreunde überzeugen können: Kanzlerin Angela Merkel.
       
       BERLIN taz | Er war schon oft in der Minderheit. Josef Göppel war für die
       Abschaltung aller Atomkraftwerke, als das in der Union noch so beliebt war
       wie Fußpilz. Der CSU-Mann hat unter Rot-Grün als Einziger in der
       Unionsfraktion für das Erneuerbare-Energien-Gesetz gestimmt. Weil er
       überzeugt war, dass die Energiewende nötig ist. Jetzt ist Göppel überzeugt,
       dass die Erweiterung des Eurorettungsschirms EFSF falsch ist. Jedenfalls
       so, wie der Bundestag sie am Donnerstagvormittag beschließen wird.
       
       Göppel ist einer von etwa zwölf Unions-Parlamentariern, die heute wohl mit
       Nein stimmen werden. Weitere gibt es in der FDP. Damit riskiert Göppel,
       dass Angela Merkel keine eigene Mehrheit für eines der wichtigsten Gesetze
       ihre Kanzlerschaft haben wird. Das nimmt der Mann aus Nordbayern in Kauf.
       Weil er hofft, dass ihm seine Partei, wie bei der Atomkraft, irgendwann
       folgen wird.
       
       Im Jahr 2008 hat er der Bankenrettung noch zugestimmt, 2010 beim ersten
       Griechenlandpaket hat er sich enthalten. "Damals war ich mir noch nicht
       sicher", sagt er. Das Thema, in fränkischem Idiom "Dehma", sei kompliziert.
       
       "Ich bin nicht gegen Hilfen", so Göppel. Mit Populisten, die meinen, dass
       die Griechen doch die Akropolis verpfänden sollen, hat er nichts am Hut.
       "Bei uns in Franken gibt es keine Anti-Griechenland-Stimmung." Das habe er
       im Sommer in den Bierzelten gespürt. "Das dominierende Gefühl der Leute in
       meinem Wahlkreis ist anders. Es ist Ohnmacht gegenüber einer nicht genau
       fassbaren Macht, die stärker ist als die Politik, stärker als Frau Merkel."
       
       ## Die Finanzmärkte wieder fesseln
       
       Wie man diesen Zauberlehrling wieder einfängt, das treibt Josef Göppel, der
       28 Jahre lang Förster war, um. "Die Politik hat die Entfesselung der
       Finanzmärkte ermöglicht, das begann bei Kohl, Rot-Grün hat dies
       fortgesetzt." Jetzt beherrschen die Märkte die Staaten. Und die Politiker
       haben die Pflicht, den Schaden wiedergutzumachen, den sie selbst
       angerichtet haben. So sieht es Josef Göppel. Eine Art Haftungsprinzip.
       
       Deshalb plädiert er für drei Maßnahmen. Die Ausfallversicherungen für
       Staatsanleihen müssen verboten werden. "Im Grund sind das Wetten, dass ein
       Staat pleite geht." Die persönliche Haftung muss verschärft werden, damit
       das Risikobewusstsein der Finanzmarktakteure wächst. Und die
       Finanztransaktionsteuer muss her, damit der Finanzsektor seine Rettung
       bezahlt, nicht der Steuerzahler.
       
       "Wenn man sich dazu in einem Entschließungsantrag bekennt, würde ich EFSF
       zustimmen." sagt er. Aber so ein Antrag ist chancenlos, weil die FDP bei
       der Finanzmarktregulierung fast alles blockiert. "Es kann nicht sein", sagt
       Göppel, "dass immer der Schwanz mit dem Hund wackelt".
       
       Es ist nichts Leichtfertiges oder Bedeutungsheischendes in seinen Sätzen.
       Sie klingen besonnen, bedacht, fern von vordergründigem Eifer. Das
       taktische, kurzfristige Denken ist seine Sache nicht. Er sucht nicht den
       tagespolitischen Effekt, sondern die große Linie. Er sieht, dass es im
       globalen Finanzsystem zu wenig Regeln gibt. "Wer käme denn auf die Idee, im
       Straßenverkehr einfach alle Ampeln abzuschalten?", fragt er. Lafontaine
       klingt auch nicht viel anders. Ist Göppel vielleicht einfach in der
       falschen Partei? Nein, sagt er bestimmt. "Ich bin ein Konservativer. Immer
       schon gewesen."
       
       ## Warum Frau Bellmann zweifelt
       
       Veronika Bellmann sucht nach den richtigen Worten. Sie lauten "klares
       Prinzip". Das vermisst die sächsische CDU-Abgeordnete bei Merkel. Deshalb
       wird sie sich bei der EFSF-Abstimmung enthalten. Es ist eine Enthaltung,
       die näher am Nein als am Ja ist.
       
       Bellman ist überzeugt, dass Griechenland einen Schuldenschnitt braucht. Das
       werde zwar nicht unbedingt billiger als die Rettungsschirme, aber es folge
       dem "klareren Prinzip". Darum geht es ihr. EFSF, fürchtet sie, ist der
       "schleichende Einstieg in die Transferunion." Von der Transferunion hält
       sie, die zum traditionskonservativen CDU-Flügel zählt, sowieso nichts. Aber
       das Entscheidende ist für sie, dass dies die Einführung der Transferunion
       durch die Hintertür wird: ohne Änderung der EU-Verträge, ohne Beteiligung
       der Bürger, ohne politische und rechtliche Legitimation. Ohne Prinzipien
       eben.
       
       Veronika Bellmann hat 2010 der ersten Griechenlandhilfe zugestimmt. "Das
       war ein Fehler", sagt sie heute. Es war damals schon absehbar, dass man
       noch viel mehr Geld brauchen wird. "Die Rettungsschirme haben die
       Marktgesetze außer Kraft gesetzt und die Tür für Spekulanten geöffnet."
       EFSF schreibe den Grundfehler des Euro fort - "billiges Geld für
       überschuldete Staaten".
       
       ## Sie weiß, wie man sich als Abweichler fühlt
       
       Bellmann war in der DDR Erzieherin. Die akademische Karriere war ihr
       versperrt, aus politischen Gründen. Betriebswirtschaft hat sie erst nach
       1990 studiert. Sie hat Erfahrung damit, Minderheit zu sein. Zumal als
       Katholikin im protestantischen Sachsen. "Das Wort Fraktionsdisziplin ist
       mir daher eher fremd", sagt sie in breitem Sächsisch.
       
       Sie formuliert ihre Zweifel eher tastend und vorsichtig. Es ist "schwierig
       für jemanden, der rhetorisch nicht so übermäßig begabt ist, diese
       komplizierte Materie gut rüberzubringen", sagt sie. Merkels historisches
       Pathos, dass mit dem Euro Europa scheitert, findet sie "überzogen". Die EU
       sei auch "ohne Euro ein Raum von Freiheit, Recht und Demokratie". Die
       Angst, dass, wenn Athen den Euro verlässt, die EU implodiert, hält sie für
       übertrieben. "Man kann das auch herbeireden" – eine Spitze gegen Merkel.
       
       Bellmann fühlt sich vor allem ihrem Wahlkreis in Südsachsen verpflichtet.
       Dreimal hat sie das Direktmandat gewonnen. Von Mittelständlern dort hört
       sie, dass es in der Wirtschaft ein Wort für die Rettungsschirme gibt:
       Konkursverschleppung. Wird sie auch bei ihrer Enthaltung bleiben, wenn es
       Spitz auf Knopf steht, wenn es ihre Stimme ist, die Merkel für ihre
       Mehrheit fehlt? Ja, sagt sie ohne Zögern.
       
       Gibt es Druck von Fraktionschef Volker Kauder? "Als Abweichler muss man bei
       Kauder ein dickes Fell haben", sagt Göppel, der es wissen muss. "Aber die
       Fraktionsführung war immer fair zu mir." Bellmann sieht es ähnlich. Doch
       wer oft widerspricht, so Bellman, "gehört in der Fraktion irgendwann zum
       Edeka-Teil". Edeka? "Ende der Karriere", sagt sie. Wann meine Karriere
       endet, so Veronika Bellmann resolut, "das entscheidet nicht die
       Fraktionsführung, sondern der Wähler".
       
       28 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Stefan Reinecke
       
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