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       # taz.de -- 27./28. Tag Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Die gescheiterte Vermittlung
       
       > FDLR-Präsident Murwanashyaka zeigte kein Interesse an einem Ende des
       > militärischen Kampfes der ruandischen Miliz. Das sagt ein Unterhändler
       > aus.
       
   IMG Bild: Drei FDLR-Soldaten, die sich in der Nord-Kivu-Provinz ergeben haben (Archivbild vom 29.4.2004).
       
       STUTTGART taz | Jahrelange Versuche, zwischen der Regierung der
       Demokratischen Republik Kongo und der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz
       FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) zu vermitteln, waren am
       21. und 26. September Thema einer ausführlichen Zeugenbefragung beim
       Stuttgarter Prozess gegen die FDLR-Führer Ignace Murwanashyaka und Straton
       Musoni, die sich über zwei Tage hinzog.
       
       Karel Lode, kirchlicher Unterhändler aus Norwegen, schilderte vor Gericht
       seine Kontakte zu FDLR-Führungsmitgliedern und Einzelheiten mehrerer
       gescheiterter Versuche, FDLR-Kämpfer aus dem Ostkongo entweder zur
       Demobilisierung und Repatriierung nach Ruanda zu bewegen oder zur
       Verlagerung in andere Landesteile des Kongo und damit weg von der Grenze zu
       Ruanda, dessen Regierung die FDLR stürzen will. Dies hätte dazu beitragen
       können, die Miliz in eine lediglich politische Vertretung ruandischer
       Hutu-Flüchtlinge im Kongo umzuwandeln.
       
       Doch obwohl FDLR-Führungsmitglieder einsichtig gewesen wären, dass ein
       militärischer Sieg gegen Ruandas Regierung unmöglich sei und man
       stattdessen auf politischen Wandel setzen solle, seien diese Versuche
       erfolglos geblieben. FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka habe kein
       Interesse an einer friedlichen Lösung gezeigt, und zwar als einziger aus
       der FDLR-Führungsriege.
       
       Noch im Mai 2008 hatte die FDLR-Abspaltung RUD (Sammlung für Einheit und
       Demokratie) auf einem Treffen mit Kongos Regierung und internationalen
       Diplomaten und Vermittlern eine Demobilisierung zugesagt. Es war eine Zeit,
       in der ein gewisser Optimismus im Ostkongo herrschte: Im Januar 2008 hatte
       eine Friedenskonferenz für die Kivu-Provinzen in Goma einen politischen
       Prozess zwischen den lokalen ostkongolesischen Kriegsparteien in Gang
       gesetzt.
       
       ## Freiwillige Demobilisierung
       
       Diese Dynamik sollte unter anderem die ruandischen Milizen isolieren und
       zur Demobilisierung ermutigen. Darauf arbeiteten kongolesische Regierungs-
       und Kirchenvertreter hin, beispielsweise Bischof Kuye von der
       protestantischen Kirche in Bukavu. Es gab ein Treffen mit der
       FDLR-Abspaltung RUD in Rom am 9. Mai 2008 und ein weiteres in Kisangani am
       26. Mai. Auf letzterem wurde im Beisein internationaler Diplomaten ein
       Zeitplan zur freiwilligen Demobilisierung verabschiedet.
       
       Die FDLR hatte sich damals nicht an diesem Prozess beteiligt, aus dem
       schließlich sowieso nichts wurde, und lehnte ihn ausdrücklich ab. Im
       Januar-Februar 2009 rückte Ruandas Armee im Ostkongo ein, um gemeinsam mit
       Kongos Armee die FDLR zu bekämpfen. Die Hutu-Miliz wurde zunächst
       empfindlich geschwächt.
       
       Während sie mit Angriffen gegen die ostkongolesische Zivilbevölkerung
       antwortete, wofür Murwanashyaka und Musoni jetzt in Stuttgart vor Gericht
       stehen, starteten die kirchlichen Unterhändler einen erneuten Versuch, die
       Miliz in einen politischen Prozess einzubinden.
       
       ## Ein Treffen abgelehnt
       
       Für März 2009 wurde ein Treffen in Paris geplant, eingefädelt vom
       kongolesischen Bischof Kuye. Aus diesem Treffen sei nichts geworden, weil,
       so Lode, Ignace Murwanashyaka das ablehnte. Der FDLR-Präsident wollte nicht
       über die protestantische ECC-Kirche im Kongo und in Norwegen verhandeln,
       sondern allein über die katholische Gemeinde Sant'Egidio in Italien - die
       bereits 2005 ein erstes Treffen zwischen der FDLR und Kongos Regierung
       organisiert hatte.
       
       In mehreren schriftlichen Notizen habe die FDLR-Führung jetzt erklärt, nur
       Sant'Egidio würde als Vermittler akzeptiert. ECC, so Lode, arbeite viel
       intensiver auf Gemeindeebene, während Sant'Egidio sich auf die oberste
       Führungsebene beschränkt, was für letztere natürlich attraktiver ist.
       
       Organisator des Pariser Treffens war der ruandische Politiker Hyacinthe
       Nsengiyumva, alias Rafiki. Er war während des Völkermords in Ruanda 1994
       Minister für öffentliche Arbeiten und danach im Exil FDLR-Mitgründer.
       Später überwarf er sich mit der FDLR-Führung und gründete die als
       gemäßigter geltende Abspaltung RUD. Rafiki habe eine Strategie gesucht für
       beide Organisationen, um den bewaffneten Kampf zu beenden, so Karel Lode.
       
       ## In Frankreich verhaftet
       
       Rafiki war auch eine treibende Kraft hinter der Kisangani-Konferenz vom Mai
       2008 sowie bei weiteren Treffen in Europa. Er ist seit August 2011 in
       Frankreich unter Verdacht der Teilnahme am Völkermord in Ruanda in Haft,
       womit er als Vermittler ausfällt.
       
       Es gab im Laufe des Jahres 2009 und auch danach weitere Versuche, mit der
       FDLR ins Gespräch zu kommen. Bei all diesen Treffen war Murwanashyaka nie
       dabei, und es wurde aus ihnen auch nichts. Ein Grund für die Zurückhaltung
       der FDLR war und ist das Misstrauen der ruandischen Miliz gegenüber der
       UNO, auf deren Transporthubschrauber Milizenführer und Unterhändler
       angewiesen sind, um sich im Ostkongo treffen zu können.
       
       Aus FDLR-Sicht, so Lode, sei die Demobilisierungsabteilung der UN-Mission
       im Kongo einseitig parteiisch zugunsten der Regierung Ruandas. Die FDLR
       "trauen der internationalen Gemeinschaft als neutraler Zeuge und Beobachter
       nicht", so Lode. Andererseits will er gehört haben, dass die FDLR unter
       anderem Waffen von der UNO bekomme, mit Hubschraubern geliefert.
       
       ## Kindersoldaten
       
       Ein zentrales Thema für Lode und insgesamt für die internationalen
       Bemühungen im Ostkongo war und ist das Schicksal der Kindersoldaten der
       FDLR und anderer bewaffneter Gruppen. Lode hat nach eigenen Angaben über
       die Jahre hinweg Hunderte von Kindersoldaten interviewt. Kindersoldaten
       gäbe es vor allem bei den kongolesischen Mai-Mai-Milizen, bei Kongos Armee
       FARDC und bei den FDLR, bei letzteren aber nicht so dominant.
       
       Mädchen würden als Kindersoldaten und auch als Sexsklaven missbraucht,
       wobei sie oft nicht nur einem Mann zu Diensten stehen. "Dies gehört zu den
       schlimmsten Sachen, die ich je erlebt habe", so Lode.
       
       Mädchen würden Opfer systematischer sexualisierter Gewalt, wobei
       Vergewaltigung da noch die "leichte Version" sei. Er habe bisher kein
       Mädchen im Kongo getroffen, welches nicht Opfer sexualisierter Gewalt
       geworden sei. Zwar gehe es allen Gruppen auch um den Schutz der
       Zivilbevölkerung - zumindest Teile davon - doch seien alle Gruppen
       gewalttätig.
       
       Die Frage, ob ihm konkrete Fälle von Minderjährigen unter 15 Jahren in der
       FDLR bekannt seien, konnte Lode nicht beantworten, da er Kindersoldaten als
       Kämpfer unter 18 definiert. "Als ich mit ihnen sprach, gab es einige, die
       waren weit unter 18", sagte er. Nach seinen Erkenntnissen meldeten sich 90
       Prozent der Jungs und 70 Prozent der Mädchen freiwillig. Warum? "Kämpfen
       für ein Ziel, und manche aus finanziellen Gründen".
       
       (Redaktion: Dominic Johnson)
       
       28 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bianca Schmolze
   DIR Simone Schlindwein
       
       ## TAGS
       
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