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       # taz.de -- Grafiker, Dichter und gewaltige Trinker
       
       > DRUCKKUNST In den 60ern waren sie umschwärmt wie kleine Popstars – für
       > die Grafiker der Werkstatt Rixdorfer Drucke machte erst die Dichtung ihre
       > Bilder zu einem Ganzen. Eine Ausstellung blickt nicht nur zurück
       
       VON JÖRG SUNDERMEIER
       
       1966 berichtete der Spiegel erstaunt über die Karriere von „fünf Bohemiens,
       die lieber schluckten als druckten“. Es waren dies: „Uwe Bremer, 25, Günter
       Bruno Fuchs, 37, Ali Schindehütte, 26, Johannes Vennekamp, 30, Arno
       Waldschmidt, 29“. Zusammen bildeten sie die Werkstatt Rixdorfer Drucke, die
       damals bereits seit drei Jahren und mit wachsendem Erfolg existierte. Dies
       allerdings nie in Rixdorf, die Adresse der Druckwerkstatt war Oranienstraße
       20 in Kreuzberg, man firmierte dort als „Hoflieferant“.
       
       Zuvor war der schwärmerische Grafiker und Dichter und gewaltige Trinker
       Günter Bruno Fuchs, der 1977 allzu jung verstarb und dessen Werk dringend
       wiederentdeckt werden müsste, ein paar Häuser weiter in der „zinke Galerie“
       tätig, die er gemeinsam mit Günter Anlauf und Robert Wolfgang Schnell in
       wenigen Jahren zu einem der einflussreichsten Westberliner Kulturzentren
       werden ließ. Doch Erfolg war Fuchs’ Sache nicht, daher zog er mit den
       wesentlich jüngeren Kollegen weiter, und 1970, als alle fünf inzwischen
       ebenfalls sehr erfolgreich waren, verließ der Gründervater die Werkstatt
       Rixdorfer Drucke – die verbliebenen vier machten weiter.
       
       Die Werkstatt hatte mit alten, billig und gebraucht aufgekauften
       Druckmaschinen und Setzkästen begonnen. Der in Drucksachen erfahrene Fuchs
       prägte die Arbeitsweise der Rixdorfer, sie setzen den Holzstock für den
       Holzschnitt zugleich mit der auf derselben Ebene angesetzten Typografie
       ein, so entstand ein harmonisches Ganzes, Text und Bild flossen ineinander
       und bedingten sich gegenseitig.
       
       Und das nicht ohne Grund – denn die Rixdorfer waren und sind „Die
       Druckwerkstatt der Dichter“, wie das soeben zum 50. Geburtstag der
       Werkstatt erschienene Buch treffend heißt (Die Andere Bibliothek, Berlin
       2013, 448 Seiten, 79 €). Und in dem Buch heißt es, ebenso treffend über die
       66 Autorinnen und Autoren, mit denen die Rixdorfer zusammengearbeitet
       haben, dass diese „die Dichter der Rixdorfer“ waren. Unter ihnen H. C.
       Artmann, Peter Bichsel, Elfriede Gerstl, Rolf Haufs, Sarah Kirsch, Uwe
       Kolbe, Oskar Pastior, Gerhard Rühm, Peter Rühmkorf, Johannes Schenk und
       Horst Tomayer. Die Experimentierenden hatten es den Rixdorfern angetan,
       denn schließlich experimentierten sie selbst. Humor war ebenfalls
       entscheidend – und ein bisschen Pop kam dazu.
       
       1967 veröffentlichten sie als „Dr Carl Hansers ff Rixdorfer
       Tiegeldruckhandpressenbuecher“ den von Vennekamp, Waldschmidt, Schindehütte
       und Bremer illustrierten Beatles-Text „All you need is love“. 2003 folgte
       ein „Rixdorfer Bilderbogen“ zu dem Lied „Johnny Tannhaus“ von Udo
       Lindenberg. Ein Foto zeigt den Popstar mit den Künstlern, die alle vier als
       Solokünstler wie als Gemeinschaftsarbeiter inzwischen sehr begehrt, wenn
       auch nicht mehr so umschwärmt wie in den 60er und 70er Jahren, als sie
       selbst noch kleine Popstars waren.
       
       ## Schwanz auf Tanz
       
       Dennoch blieben die Rixdorfer, deren Werkstatt 1974 aus dem umkämpften,
       aber auch muffiger werdenden Westberlin ins beschauliche wendländische
       Gümse verlegt wurde, „ihren Dichtern“ treu und diese blieben es ihnen. So
       veröffentlichte Reinhard Lettau 1993 unter dem Titel „Deutschland!“
       herrliche „Ausrufe“ gegen Nationalismus. 2008 sinnierte der zu dem
       Zeitpunkt schon gegen den Krebs ankämpfende Peter O. Chotjewitz
       außerordentlich humorvoll darüber in „Was tun, wenn der Tod …“, und zum
       vergangenen Jahreswechsel schrieb Otto Jägersberg den Druckkünstlern und
       sich einen selbstironischen „Rixdorfer Totentanz“: „Totentanzreimer: Ich
       gab mein Bestes ganz / und reimte Schwanz auf Tanz / Tod: Heraus kam immer
       Firlefanz.“ Und Bremer, Schindehütte, Vennekamp und Waldschmitt machen
       selbstironisch mit, indem sie sich selbst etwa als Totentänzer
       porträtieren.
       
       Das Haus am Lützowplatz präsentiert nun, 48 Jahre nach der ersten großen
       Ausstellung der Rixdorfer dort, deren Werk erneut, und diese Ausstellung
       ist mehr als eine Retrospektive, mehr als ein Rückblick auf ein
       untergegangenes Westberlin und auf eine Zeit, in der Dichtung und Kunst
       enger in eins gingen als heute. Es ist auch ein Ausblick – denn die
       Rixdorfer haben noch nicht ausgedruckt!
       
       28 Feb 2013
       
       ## AUTOREN
       
   DIR JÖRG SUNDERMEIER
       
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