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       # taz.de -- Griechenland in der Schuldenkrise: Mit dem Rücken zur Wand
       
       > Der IWF verliert die Geduld, die griechische Regierung entlässt und kürzt
       > – immer weiter rein in die Krise. Das Wort "Bankrott" ist tabu, dabei
       > wird er immer wahrscheinlicher.
       
   IMG Bild: War von den staatlichen Kürzungen zunächst, diplomatisch ausgedrückt, enttäuscht: Bob Traa, IWF-Vertreter in Athen.
       
       ATHEN taz | Philipp Rösler, der kürzlich forderte, man müsse über eine
       "geordnete Insolvenz" für Griechenland nachdenken, ist in Athen offiziell
       gar kein Thema. Die Äußerungen des deutschen Wirtschaftsministers und
       FDP-Chefs werden ignoriert. "Deutschland hat drei Regierungsparteien",
       stellt Informationsminister Ilias Mossialos bei einem Gespräch fest. "Wir
       können uns nicht mit jeder Partei einzeln befassen."
       
       Das wird deutlich: Für die griechische Regierung ist nur wichtig, was
       Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble sagen. Der
       Rest der Koalition wird als nachrangig abgetan. Trotzdem ist man in Athen
       verletzt. "Wir respektieren die deutsche Regierung", schiebt Mossialos
       nach, "aber wir erwarten den gleichen Respekt aus Deutschland."
       
       Wie angespannt das Verhältnis zwischen Griechenland und Deutschland ist,
       zeigt sich schon daran, dass dieses Gespräch mit Informationsminister
       Mossialos überhaupt nötig ist. Die Europäische Kommission hat 30 deutsche
       Journalisten nach Athen eingeladen, damit sie sich ein Bild von den
       Sparbemühungen machen. Drei Tage lang wird jeder hochrangige griechische
       Politiker aufgeboten, der nicht gerade in Washington ist, um den nächsten
       Milliardenkredit zu verhandeln. Außer Premierminister Giorgios Papandreou
       und Finanzminister Evangelos Venizelos fehlt niemand.
       
       Es sind entscheidende Tage für Griechenland. Die "Troika" von EU,
       Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) beherrscht
       die Schlagzeilen, denn die Experten sind vorzeitig aus Athen abgereist und
       geben nun per Telefon an Venizelos durch, was sich noch zu ändern habe,
       bevor ein weiterer Rettungskredit von 8 Milliarden Euro bewilligt wird.
       Ohne diese nächste Tranche wäre das Land pleite. 
       
       ## IWF ist treibende Kraft
       
       Vor allem der IWF verliert die Geduld. Er ist die treibende Kraft in Athen,
       so scheint es, während die EU-Institutionen eher ratlos zuschauen. Der
       ständige IWF-Vertreter in Athen, Bob Traa, formuliert es zunächst noch
       diplomatisch: "Wir sind etwas enttäuscht, dass bei den staatlichen Ausgaben
       so wenig gekürzt wird." Doch dann wird der Niederländer deutlicher. "Zwei
       Tabus" müssten durchbrochen werden: Viele der 117 staatlich unterstützten
       Betriebe seien zu schließen, und außerdem müsse die Zahl der Beamten
       deutlich reduziert werden.
       
       Die griechische Regierung hat diese Drohung verstanden. Am
       Mittwochnachmittag gibt sie bekannt, dass sie 30.000 Stellen im
       öffentlichen Dienst streichen wird, der momentan noch eine Million Menschen
       umfasst, wenn alle staatlich gestützten Betriebe mitgezählt werden. Prompt
       kam es am Mittwoch zu den ersten Protesten.
       
       Doch ist es nur ein Grüppchen, das sich neben dem Parlament versammelt. Es
       gibt fast mehr Fernsehkameras als Transparente. "Wir wachsen eben langsam",
       sagt Marina Mantzou, die unbeirrt ein Plakat hochhält und beim staatlichen
       Rundfunk arbeitet, wo ebenfalls gekürzt werden soll. Allerdings ist
       fraglich, ob sie damit rechnen kann, dass sich jene Griechen solidarisch
       zeigen, die in Privatfirmen arbeiten. Das machen ausgerechnet jene Sätze
       deutlich, mit denen Mantzou genau diese Solidarität einfordern will. "Ich
       gehöre nicht zu den Spitzenverdienern im Fernsehen!" Doch gerade die
       Tatsache, dass diese Spitzenverdiener noch immer hunderttausende Euro
       kassieren, lässt das Mitleid der anderen Griechen schrumpfen. Auch für
       Mantzou, die nur 1.250 Euro netto im Monat hat.
       
       Die griechische Regierung wird also weiter sparen - und spart sich immer
       tiefer in die Krise. Am Montag gab der IWF seine neue Prognose bekannt.
       2011 dürfte die griechische Wirtschaft um 5,5 Prozent schrumpfen. Also wird
       das Haushaltsdefizit nicht wie angepeilt 7,6 Prozent der jährlichen
       Wirtschaftsleistung betragen, sondern rund 9,5 Prozent. Während die
       griechische Regierung eigentlich ihre Schulden abbauen will, türmt sie so
       neue Schulden auf.
       
       Diese Zahlen sind bedrohlich, weil die Griechen bereits harte Einschnitte
       hinter sich haben. In privaten Betrieben und im öffentlichen Dienst wurden
       die Gehälter oft um 30 Prozent gekürzt. "In Deutschland wäre längst eine
       Revolution ausgebrochen", mokieren sich die Troika-Vertreter über die
       ewigen Besserwisser aus dem Norden.
       
       Doch radikale Einschnitte allein reichen nicht, wie die Schuldenspirale
       offenbart. Daher denkt die internationale Politik längst über einen
       Bankrott nach. Die Herald Tribune etwa titelte in dieser Woche, dass "ein
       Konkurs nicht das Schlimmste für Griechenland" wäre.
       
       Diese US-Zeitung hängt im Athener Zentrum an jedem Kiosk, und dennoch wird
       die internationale Diskussion von den Griechen systematisch ignoriert.
       Worte wie Bankrott oder Schuldenschnitt sind mit tabu. "Diese Gerüchte sind
       überhaupt nicht hilfreich und eine Attacke auf unser Land", erregt sich
       Minister Michalis Chrysochoidis, der für die wirtschaftliche Entwicklung
       zuständig ist.
       
       Denn in der griechischen Regierung wächst die Sorge, dass die
       Insolvenzdebatte doch noch das zweite Rettungspaket torpedieren könnten,
       über das gerade in den nationalen Parlamenten der Euroländer abgestimmt
       wird. "Es ist ein sehr gutes Paket für Griechenland", lobt der ehemalige
       Finanzminister Giorgos Papakonstantinou. Denn die Zinsen für die
       Rettungskredite sinken, und die Laufzeiten werden deutlich verlängert.
       Insgesamt können die Griechen neue Hilfen von 109 Milliarden Euro erwarten.
       Das soll nicht gefährdet werden, indem vorzeitig über eine Insolvenz
       geredet wird.
       
       Die sozialistische Pasok-Regierung ist inzwischen extrem unbeliebt - aber
       beim Thema Bankrott trifft sie die Stimmung der Wähler. Eine "geordnete
       Insolvenz" will niemand. Denn die Griechen fürchten, dass dann auch die
       Drachme wiederkehren könnte, was ihre gesamten Ersparnisse entwerten würde.
       
       Schon jetzt schaffen die Griechen ihr Finanzvermögen ins Euro-Ausland, wie
       eine Zahl deutlich macht. Die Einlagen bei den griechischen Banken sind um
       50 Milliarden Euro geschrumpft - ein Minus von 20 Prozent.
       
       ## Sturm auf die Banken
       
       Die griechischen Banken stehen kurz vor dem Absturz, wie sich an einem Satz
       zeigt, der eigentlich als gute Nachricht gemeint war. "In dieser Woche
       hatten wir keinen Ansturm auf die Banken", freut sich Vassilios Rapanos,
       der die griechische Nationalbank leitet. Umgekehrt bedeutet das eben auch,
       dass jederzeit ein Kundenansturm zu erwarten ist, der die Banken in die
       Zahlungsunfähigkeit treiben würde. Finanzminister Venizelos verkündete
       diese Woche daher in seiner Not, dass die Finanzämter jede
       Auslandsüberweisung überprüfen würden, die 100.000 Euro übersteigt. "Damit
       soll verhindert werden, dass auch noch das letzte Geld abfließt", erklärt
       der Journalist Tassos Telloglou.
       
       Die Drohung mit den Finanzämtern dürfte kaum schrecken, denn die Behörden
       sind bekannt für Langsamkeit. Nicht einmal die Immobiliensteuerbescheide
       für das Jahr 2009 wurden bisher verschickt, was fast allen Griechen schon
       deswegen auffallen muss, weil 80 Prozent ein eigenes Haus besitzen.
       
       Mit ihrem Bummelstreik protestieren die Finanzbeamten dagegen, dass ihnen
       Zulagen gestrichen werden sollen. "Diese Obstruktion werden wir nicht
       akzeptieren", droht Informationsminister Mossialos. Schon in den nächsten
       zwei Wochen soll ein Sondergesetz durchs Parlament gepeitscht werden.
       Allerdings bleibt offen, wer das neue Strafgesetz für die Beamten umsetzen
       soll. Etwa die Beamten?
       
       22 Sep 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Herrmann
       
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