# taz.de -- Ausstellung "Der Naumburger Meister": Ein europäisches Gesamtkunstwerk
> Die Ausstellung in Naumburg setzt dem über Jahrzehnte beschworenen
> deutschen Charakter des Naumburger Doms eine europäische Perspektive
> entgegen.
IMG Bild: Die berühmten Stifterfiguren Ekkehard und Uta im Naumburger Dom.
BERLIN taz | Ihr internationaler Ruhm kam spät, und ausgerechnet Hollywood
soll hierbei tatkräftig mitgeholfen haben. Will man dem Florentiner
Philosophen Stefano Poggi Glauben schenken, dann war es die sieben
Jahrhunderte alte Skulptur der Uta von Naumburg, die Walt Disney für seine
Figur der bösen Königin in "Schneewittchen und die sieben Zwerge"
inspirierte. Poggis These ist verführerisch: eine vorgereckte Schulter, der
hochgeschlagene, vor das Kinn gezogene Mantelkragen, ihr undurchdringlicher
Blick - äußerlich ähneln sich die Markgräfin aus den Tiefen des
Mittelalters und die kalifornische Zeichentrickfigur tatsächlich
verblüffend.
Und doch konnten die beiden Frauengestalten im Jahr 1937, als Disney seinen
Film in die Kinos brachte, kaum gegensätzlicher sein: Während die Königin
als das Prinzip des Bösen auf der Kinoleinwand ihrer Stieftochter mit
vergifteten Äpfeln und bestochenen Jägern nachstellte, feierte die
Naumburger Uta gerade rauschende Bühnenerfolge als die Inkarnation der
edlen, wehrhaften deutschen Frau.
Felix Dhünens Schauspiel "Uta von Naumburg", das 1934 in Gera uraufgeführt
wurde, um schon bald an allen wichtigen deutschen Bühnen gespielt zu
werden, war kaum mehr als der nächste bizarre Höhepunkt eines Uta-Kultes,
der sich von historischen Informationen gar nicht erst beeindrucken ließ.
Interessanterweise hat das Ende des "Dritten Reichs" diesem Kult keinen
Abbruch getan, sondern ihn einzig in harmlosere Richtungen gelenkt: Im
Westen Deutschlands war sie fortan die Symbol gewordene Erinnerung an ein
geeintes Deutschland. Im Osten wiederum konnte man ihr in Rosemarie
Schuders Bestseller "Der Ketzer von Naumburg" begegnen.
Wer also heute den Westchor des Naumburger Doms betritt, wo Uta ihren Platz
neben elf weiteren Stifterfiguren hat, wird es schwerhaben, durch solche
Schichten der Rezeption kurzerhand hindurchzuschauen und nichts anderes als
ein berückendes Meisterwerk deutscher Gotik zu betrachten. Indes: deutscher
Gotik? Schon mit dieser beiläufig gestellten Frage verfängt man sich im
ideologischen Gewirr kunsthistorischer Debatten, die seit wenigstens einem
Jahrhundert keineswegs nur am Rande geführt werden.
"Der Naumburger Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen"
heißt die diesjährige Landesausstellung von Sachsen-Anhalt. Und bereits in
ihrem Titel zeigt sie deutlich an, in welche Richtung ein Ausweg aus diesem
unübersichtlichen Gelände weisen könnte: Dem über Jahrzehnte beschworenen
deutschen Charakter des Naumburger Doms wird hier eine ausdrücklich
europäische Perspektive entgegengesetzt.
## Zwei dicke Bücher
##
Man sollte sich unbedingt viel Zeit nehmen, um die in Naumburg ausgerollte
Landkarte kunsthistorischer Deutungsarbeit eingehend zu lesen. Denn die
Kuratoren machen es hier kaum besser als jene von so manch anderer
Landesausstellung auch: Sie geben der Neigung nach, alles zum Gegenstand
Wesentliche erzählen zu wollen und in jeden noch so kleinen Winkel zu
leuchten.
Nachlesen kann man all dies schließlich in den zwei Bänden des
Ausstellungskatalogs. Die insgesamt 1.568 Seiten wiegen zusammen 6,8 Kilo.
Unweigerlich reißen die mitgegebenen Plastiktüten noch am Ausgang des
Museumsshops.
Gewichtig ist diese Landesausstellung jedoch vor allem im übertragenen
Sinn: Die Qualität der Leihgaben, die man sich sichern konnte, ist
staunenswert. Und nicht zuletzt dann, wenn man bedenkt, dass sich
mittelalterliche Skulpturen und insbesondere Architektur nicht so
leichtfüßig ausleihen lassen, wie dies für Gemälde oder Zeichnungen gelten
mag.
Klugerweise hat man sich in besonders heiklen Fällen mit Abgüssen,
Rekonstruktionen und Modellen ausgeholfen. Dauerhaft bleiben wird von
dieser Ausstellung aber vor allem zweierlei: zum einen die Ergebnisse eines
umfassenden denkmalpflegerischen Programms, das allerorten in der
Saalestadt sichtbar wird. Und zum anderen eine kunsthistorische These über
die Herkunft dieses Naumburger Gesamtkunstwerks, für die hier mit allem
Nachdruck argumentiert wird.
## Goethe ging gleich wieder
Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts war der Naumburger Dom weit davon
entfernt, eine nennenswerte Attraktion für Kunstinteressierte zu sein.
Goethe etwa, der in Weimar ja nur einen Steinwurf entfernt lebte, huschte
gerade ein einziges Mal für wenige Minuten durch den Dom.
Er empfand ihn als muffig und ließ charakteristischerweise ausgerechnet die
Hauptattraktion dieses Kirchenbaus, den Westchor, links liegen. Novalis
wiederum, der die Idee vom Mittelalter beschwor und ebenfalls in
unmittelbarer Nachbarschaft lebte, mied die Stadt sogar ganz.
Es war der Berliner Bildhauer Johann Gottfried Schadow, der auf
unübertroffen prägnante Weise die Schlüsselfragen zum Naumburger Dom
formulierte. Und zugleich gibt er in den Nachrichten von seinem Besuch, den
er 1802 dem Dom abstattete, einen wichtigen Hinweis, warum dieser für so
lange Zeit nicht die ihm gebührende Beachtung gefunden hatte. Der Westchor
war als Lager für ausgedientes Kirchenmobiliar und sogar als Ort für
Marktbuden zweckentfremdet worden.
## Wer war der Meister?
Immerhin aber beobachtete Schadow mit dem geübten Auge des Künstlers: "Die
großen Statuen sind durch Natürlichkeit und den einfachen Faltenwurf
merkwürdig, ganz abweichend von dem papiernen Brüchenstyl jener Zeit, was
die Frage erweckt wie, wann und wo und wer jener Meister."
Wie, wann, wo und wer: Dies sind vier Fragen auf einmal. Und die
Landesausstellung antwortet hierauf unisono: Es war der Naumburger Meister.
Man mag vorschnell entgegnen: Ja, wer auch sonst?
Doch stehen hinter solchen Notnamen, zu denen Kunstgeschichte immer dann
greift, wenn die Quellenlage keine besseren Auskünfte gestattet, handfeste
Vorannahmen, die weit weniger selbstverständlich sind, als es auf den
ersten Blick scheinen mag.
## Der andere Meister
Von einem "Naumburger Meister" - ausdrücklich im Singular - zu sprechen,
ist bereits für sich genommen eine folgenreiche und nicht unproblematische
These. Im programmatischen Eröffnungstext des Katalogs wird deutlich genug
darauf verwiesen, dass es aber gerade nicht darum gehe, sich von der Idee
eines singulären Künstler-Baumeisters vollständig zu verabschieden, sondern
vielmehr für "einen anderen Naumburger Meister" zu argumentieren.
Der Sache nach sind mittelalterliche Kathedralen vom Bau einer ägyptischen
Pyramide nicht allzu weit entfernt. Stets handelt es sich um ein
Generationenprojekt, das ein reibungsloses Ineinander vielfältiger
Kompetenzen voraussetzt, um auch nur eine Chance auf Vollendung zu haben.
Was zuletzt wie aus einem Guss geschaffen wirken mag, ist tatsächlich auf
eine fortgesetzte und mühevolle Arbeit am Detail angewiesen. Gerade deshalb
aber gewinnt Naumburg im Kontext des europäischen Kathedralenbaus der Gotik
einen so herausragenden Rang: Es handelt sich um ein Bauwerk von hoher
architektonischer Stringenz.
Und insbesondere der Westchor tritt hierbei als ein Gesamtkunstwerk aus
Architektur, Skulptur und Glasmalerei auf, das den Gedanken an einen
dahinter wirksamen singulären Meister überaus nahelegt.
## Durch halb Mitteleuropa
Für die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts aber, als der Naumburger Dom in
seiner heutigen Gestalt errichtet worden ist, nach einem solchen Namen zu
fragen, ist eine anachronistische Idee, die allzu sehr von einer modernen
Ordnung der bildenden Künste her gedacht scheint. Und so muss leider
unverständlich bleiben, wieso die Kuratoren der Naumburger
Landesausstellung weiterhin dieser ziellosen Suche anhängen.
Es ist daher zuletzt vor allem das Andere des so ausgerufenen "anderen
Naumburger Meisters", das Beachtung verdient. Denn gegen alle
nationalistischen Vereinnahmungen des 19. und 20. Jahrhunderts holt die
Landesausstellung zu einem weiten Vergleich aus, um in sich von Reims über
Mainz und Naumburg bis nach Meißen halb Mitteleuropa einzuschließen.
Die einstmals als Ausdruck eines deutschen Genies gefeierte künstlerische
Qualität, die sich in verschiedenen Bauten des frühen und mittleren 13.
Jahrhunderts verkörpert findet, würde sich dann einem innereuropäischen
Kulturtransfer verdanken, der direkt von den französischen Bauhütten bis an
Saale und Elbe führte. Und dies lange bevor Disney die unterkühlte
Schönheit der Naumburger Uta auch für Amerika entdeckten sollte.
Die [1][Landesausstellung „Der Naumburger Meister – Bildhauer und Architekt
im Europa der Kathedralen“] ist noch bis zum 2. November 2011 an
verschiedenen Orten in Naumburg zu sehen. Der umfangreiche Katalog dazu ist
im Michael Imhoff Verlag erschienen, 69,99 Euro.
23 Aug 2011
## LINKS
DIR [1] http://naumburgermeister.eu
## AUTOREN
DIR Steffen Siegel
## TAGS
DIR Kirche
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