# taz.de -- Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Wildschweinjagd in Stuttgart
> Seit Mai läuft der deutsche Prozess gegen ruandische Hutu-Milizen-Führer.
> Bisher ging es kaum um die Tatvorwürfe. Jetzt ist Sommerpause.
IMG Bild: Vom Krieg Vertriebene nahe Goma, Kongo, im Februar 2009.
STUTTGART taz | Wenn Oberstaatsanwalt Christian Ritscher veranschaulichen
will, welchen Umfang die einzubringenden Beweismittel in Deutschlands
erstem Kriegsverbrecherprozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch haben,
breitet er die Arme aus, als trage er ein ausgewachsenes Wildschwein vor
sich her. Wenn er dann zeigen will, wie weit die Beweisaufnahme nach einem
Vierteljahr gediehen ist, fahren seine Arme zusammen, bis seine Hände nur
noch einen Frischling zu halten scheinen.
Mit unendlicher Geduld und großer Vorsicht verhandelt der Fünfte Strafsenat
des Oberlandesgerichts Stuttgart die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen
Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und Erster Vizepräsident
der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung
Ruandas).
Die FDLR, hervorgegangen aus den Kräften, die 1994 in Ruanda den Völkermord
an über 800.000 Tutsi verübten und dann flohen, gilt als verantwortlich für
grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung in ihren Rückzugsgebieten im
Osten der Demokratischen Republik Kongo. Murwanashyaka und Musoni, wohnhaft
in Baden-Württemberg, sollen diese Verbrechen von Deutschland aus gesteuert
haben. Am 4. Mai begann der Prozess; seit dieser Woche herrscht
Sommerpause.
Der Saal 6 des OLG Stuttgart, ein einst moderner, schmuckloser Zweckbau,
passt in seiner Schlichtheit kaum zu der Dimension der verhandelten
Verbrechen. Zwischen den weißen Wänden und dunklen Büromöbeln fallen
allenfalls die roten Roben der drei Bundesanwälte und manchmal das lila
Hemd des Angeklagten Murwanashyaka auf. Selbst der Vorsitzende Richter
Hettich wirkt so unscheinbar, dass man ihn in der Schlange zum Mittagessen
in der Gerichtskantine glatt übersehen könnte.
Was ein Fehler wäre. Dieser Prozess ist ein Minenfeld, mit jeder Menge
nicht nur juristischer Fallstricke. Die Verteidigung, zwei Anwälte pro
Angeklagter, tritt forsch und frech auf, sie spricht von einem politischen
Prozess, sie wittert in jedem afrikanischen Besucher einen ruandischen
Spion, sie beschimpft Anwesende, sie plaudert Namen gefährdeter Zeugen aus,
sie beklagt ihre Arbeitsbedingungen, sie stellt am laufenden Band
Befangenheitsanträge, sie äußert sich zu allem außer zur Sache. Man muss da
als Richter viel Geduld aufbringen.
## Militärische Befehlshaber
Hettich hat diese Geduld. Er lehnt fast jeden Antrag ab. Dann verlangen die
Rechtsanwälte einen Senatsbeschluss, also von allen Richtern des 5.
Strafsenats. "Das haben wir auch schon vorbereitet", erwidert Hettich dann
augenzwinkernd, guckt kurz seine Kollegen an und sagt: "Die Anordnung des
Vorsitzenden wird aus den zutreffenden Gründen der Entscheidung bestätigt."
Durch solche Rituale wird juristisches Neuland zur vertrauten Routine.
Vergessen scheint, worum es eigentlich geht. Die FDLR rächte sich im
Frühjahr und Sommer 2009 mit blutigen Angriffen auf die ostkongolesische
Zivilbevölkerung für eine gemeinsame ruandisch-kongolesische
Militäroffensive gegen ihre Stellungen im Januar und Februar. Es gab
Massaker, Plünderungen, Entführungen, Vergewaltigungen. Die Anklageschrift
wirft Murwanashyaka und Musoni vor, "es jeweils als militärische
Befehlshaber unterlassen zu haben, ihre Untergebenen daran zu hindern".
Kongolesische Opfer der FDLR wollen durch diesen Prozess Gerechtigkeit
erfahren. Doch diese Anklage braucht zunächst keine Opfer. Sie muss
beweisen, dass die Angeklagten "militärische Befehlshaber" waren und
"Untergebene" an etwas hätten "hindern" können. Das ist der Unterschied
zwischen Wildschwein und Frischling. Es geht viel um FDLR-interne
Kommunikation. Ausgewachsene Kriegsverbrechen kommen später.
So werden tagelang abgehörte Telefongespräche und abgefangene E-Mails der
Angeklagten eingebracht, in denen es um Telefonkosten geht oder darum, ob
man BBC-Journalisten bestechen kann. Aber auch um Militärisches. "Hier ist
die Gesamtbilanz", heißt es in einer E-Mail vom 12. März 2009 aus dem Kongo
an Murwanashyaka: "Aufseiten des Feindes: 65 Tote, darunter Leutnant
Jean-Marie in Miliki, Oberst Moyo in Peti, 23 Verletzte, 2 Ertrunkene.
Unsere Seite: 4 Tote." Erbeutet wurden "40 kleine Gewehre, 3 Trägerraketen,
1 Mörser, 24 Kisten Munition, 1 Solaranlage". In einer Mail vom 11. Mai
steht: "Haben Dorf in Brand gesetzt, zwei FARDC (kongolesische
Regierungsarmee) tot." Der FDLR-Präsident bedankt sich am selben Tag und
schreibt: "Grüße die jungen Männer von mir."
Am 17. Februar 2009 fährt der FDLR-Chef seine Untergebenen im Kongo im
Zusammenhang mit UN-Hubschraubern an: "Habt ihr keine Munition, um die
Hubschrauber abzuschießen?" Am 18. Juni überlegt Murwanashyaka im Gespräch
mit dem FDLR-Militärchef im Kongo, General Sylvestre Mudacumura, wie sich
eine anstehende UN-Untersuchung des Massakers von Busurungi, bei dem die
FDLR in der Nacht zum 10. Mai 2009 mindestens 94 Menschen tötete,
manipulieren ließe. "Wir brauchen ein Team", verlangt Murwanashyaka. "Sie
müssen sich mit den Flüchtlingen treffen, die vorbereitet sind und genau
wissen, was sie sagen sollen." Er findet: "Ein Kommissar kann sich als
Bauer verkleiden und seine Aussage unter falschem Namen machen."
Immerhin konzediert Militärchef Mudacumura, die UN-Untersucher dürften am
Leben bleiben: "Wenn sie mit dem Hubschrauber überfliegen wollen, sollen
wir ihn nicht abschießen."
## Global vernetzte Armee
Das alles erzählt schon ziemlich viel. Den in Deutschland lebenden
FDLR-Führern wurde detailliert Bericht über das Kriegsgeschehen erstattet,
sie äußerten sich dazu, sie gaben Anweisungen. Es ist zugleich das
faszinierende Psychogramm einer global vernetzten afrikanischen
Bürgerkriegsarmee, vom Milizengruß "Sei stark" bis zum Kommentar
Murwanashyakas, FDLR-Deserteure seien "Leute, die nicht beten" und "dem
Alkohol verfallen" seien.
Doch das Gericht verhält sich im Umgang damit zuweilen geradezu
amateurhaft. So werden keine Abschriften der Telefonate in der
Originalsprache angefertigt, sondern die ruandischsprachigen Aufnahmen
werden im Saal vorgespielt und dann Satz für Satz vom bestellten
Dolmetscher übersetzt. Richter, Bundesanwälte und Verteidiger lesen dabei
mit, wie derselbe Dolmetscher das während der Ermittlungen schriftlich
übertragen hatte. Weil es häufig Unterschiede zwischen beiden Versionen
gibt, kommt es oft zum Disput, an dem sich die Angeklagten lustvoll
beteiligen.
Vollends absurd wird es, wenn die Verteidigung darzulegen versucht, das
Swahili-Wort vita (Krieg), das Militärs aller Nationalitäten im Afrika der
Großen Seen routinemäßig benutzen, sei eigentlich Latein und heiße
"Lebensführung". Es fehlt im Gericht die Expertise, um solchem Unsinn
entgegenzutreten.
Die Bundesanwälte ihrerseits schweigen meist. Sie setzen auf die Kraft der
Beweismittel, ohne Kommentar. Der Frischling soll langsam wachsen, von
selbst. Das kann Jahre dauern.
Manchmal drängt sich da der Eindruck auf, die eigentliche Musik spiele
anderswo: beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, wo
FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana in Haft sitzt und auf seinen
Prozess wartet, unter einer Anklage, die mit der in Stuttgart weitgehend
identisch ist. In ihrem Anklagesatz für die Vorverhandlung - die eigentlich
gestern hätte beginnen sollen, aber in letzter Minute wegen fehlender
Übersetzungen verschoben wurde - nehmen die Den Haager Ermittler anders als
die Deutschen direkten Bezug auf den berüchtigten FDLR-Funkspruch vom
Frühjahr 2009, der die Grundlage aller späteren Ermittlungen darstellt.
Darin weist FDLR-Militärchef Mudacumura seine Feldkommandanten an, im
Ostkongo eine "humanitäre Katastrophe" herbeizuführen. Dieser Befehl "kam
ursprünglich von Murwanashyaka", sagen die Den Haager Ankläger:
"Murwanashyaka verkündete die Intentionen der FDLR gegenüber der Truppe; er
sagte, der Kampf der FDLR richte sich ,gegen die ganze Welt' und nehme
,Entwicklungsarbeit' und die Bevölkerung ins Visier".
Man würde gern die Beweise dafür sehen. In Stuttgart.
18 Aug 2011
## AUTOREN
DIR Dominic Johnson
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DIR Schwerpunkt Kongo-Kriegsverbrecherprozess
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