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       # taz.de -- 50 Jahre nach erstem Einsatz in Vietnam: Neue Opfer von Agent Orange
       
       > Die USA verwendeten ab 1961 das dioxinhaltige Entlaubungsmittel, um dem
       > Vietcong die Deckung zu nehmen. 150.000 Kinder leiden an den Spätfolgen.
       
   IMG Bild: Im "Dorf der Freundschaft": Nguyen Thi Thao.
       
       BERLIN taz | Viele Wunden aus dem Krieg mit den USA seien verheilt, nicht
       aber die von Agent Orange, sagt Nguyen Van Rinh. Noch täglich fordere das
       im Vietnamkrieg von den USA eingesetzte krebserregende Entlaubungsmittel
       nicht nur Opfer unten denen, die damit zwischen 1961 und 1971 besprüht
       wurden. Sondern auch unter ihren Enkeln werden noch Babys mit schweren
       Behinderungen geboren. In Vietnam leiden 150.000 Kinder unter den
       Spätfolgen.
       
       Rinh leitet Vietnams Vereinigung der Opfer von Agent Orange/Dixoin (Vafa)
       und sprach jetzt auf der 2. Opferkonferenz in Hanoi. Damit gedenkt Vietnam
       des Einsatzbeginns von Agent Orange durch die US-Armee, der sich am
       Mittwoch zum 50. Mal jährt. Mit dem über Südvietnams Dschungeln und Feldern
       versprühten Herbizid sollte dem Vietcong und Nordvietnams Soldaten die
       natürliche Deckung genommen werden.
       
       Der Name des Gifts stammt von den orangefarbenen Banderolen um die sonst
       unmarkierten Chemiefässer. 80 Millionen Liter Herbizide wurden versprüht,
       meist Agent Orange. Dies entsprach 366 Kilogramm Dioxin. Bereits ein
       Milliardstel Gramm gilt als krebserregend.
       
       Auf der Konferenz berichteten auch amerikanische und australische
       Veteranen, die ebenso zu Giftopfern wurden. Auch sie waren damals nicht
       über die Gefahren informiert. Bereits am Sonntag marschierten mehrere
       tausend Vietnamesen um den Thien-Quang-See im Zentrum Hanois, um ihre
       Solidarität mit den Opfern zu zeigen und die USA zu mehr Hilfe zu drängen.
       
       ## 70 Prozent der Opfer leben unter der Armutsgrenze
       
       Laut Vafa-Chef Rhin gibt es in Vietnam mehr als 3 Millionen
       Agent-Orange-Opfer. Aber nur 200.000 bekämen eine kleine staatliche
       Unterstützung. 70 Prozent der Opfer leben unter der Armutsgrenze, ein
       Fünftel der betroffenen Familien zählt drei oder mehr Opfer.
       
       "Wir brauchen dringend die Hilfe internationaler Freunde", sagte
       Gesundheitsministerin Nguyen Thim Kim Tien auf der Konferenz. Landesweit
       gibt es zwölf Rehabilitationszentren für die Opfer, darunter auch das von
       dem deutschen gleichnamigen Verein mitfinanzierte "Dorf der Freundschaft"
       bei Hanoi. Es war von dem früheren GI George Mizo initiiert worden, der
       selbst an Krebs starb.
       
       Seine Witwe Rosemarie Höhn-Mizo berichtete der taz von der Konferenz: "Es
       ist für mich immer ein Riesenunterschied, mich in Deutschland mit diesem
       Thema zu beschäftigen und dann hier direkt konfrontiert zu sein mit dem,
       was es heißen kann, in Vietnam ein schwerbehindertes Kind ohne viel
       Unterstützung großzuziehen. Und es spricht sich anders über das Thema, wenn
       der Blick in der Diskussion hier auf einen Jungen fällt, der - ohne Arme -
       seelenruhig mit seinen Füßen auf einem Laptop mitschreibt."
       
       ## Abgewiesene vietnamesische Klage gegen den USA
       
       2004 hatten vietnamesische Opfer in den USA gegen 32 Chemiefirmen (darunter
       Monsanto und DOW-Chemical) geklagt, die einst Agent Orange hergestellt
       hatten. Die US-Regierung lehnte stets jede Entschädigung ab. Doch während
       sich 30.000 US-Veteranen schon 1984 mit den Chemiekonzernen auf 180
       Millionen Dollar Entschädigung einigten, wurde die vietnamesische Klage
       2009 letztinstanzlich abgewiesen.
       
       Auch in Vietnam dauerte es lange, bis die Regierung eine Klage in den USA
       guthieß. Hanoi versprach sich von der Normalisierung der Beziehungen mit
       den USA mehr als von Entschädigungsklagen. Erst später setzte sich die
       Einsicht durch, dass das eine das andere nicht ausschließen muss. Die
       erfolglose Klage erhöhte zumindest den moralischen Druck.
       
       2007 zahlten die USA erstmals drei Millionen Dollar für Untersuchungen.
       Inzwischen gibt es für dieses und nächstes Jahr 32 Millionen, um am
       Flughafen von Danang, wo die Giftfässer gelagert und verladen worden waren,
       den verseuchten Boden zu reinigen. Für die Opfer selbst sind nur 3
       Millionen vorgesehen. 2010 bezifferte eine bilaterale Arbeitsgruppe einen
       zehnjährigen Aktionsplan mit 300 Millionen Dollar.
       
       "Wir sind nicht so wichtig", lautete im vergangenen November beim Besuch
       einer taz-Leserreise im "Dorf der Freundschaft" der Tenor von Veteranen,
       die an Agent-Orange-Folgen leiden. "Aber wer kümmert sich um unsere
       behinderten Kinder, wenn wir bald sterben?"
       
       10 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sven Hansen
   DIR Sven Hansen
       
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