# taz.de -- Niederschlagung des Aufstands in Syrien: Riskante Offensive in Deir el Sur
> Die Armee geht konzentriert gegen die Stadt Deir el Sur im Osten des
> Landes vor – eine weitere Hochburg des Protests gegen das Regime.
IMG Bild: Amateurbilder zeigen Demonstranten in Deir el Sur im Osten Syriens.
BEIRUT taz | Am Sonntag hat die syrische Armee zu einer weiteren, groß
angelegten Offensive gegen die Protestbewegung angesetzt. Diesmal
konzentriert sich das Militär auf die Stadt Deir el Sur im Osten des
Landes. Doch damit geht das Regime ein hohes Risiko ein. Denn die Stämme in
dieser entlegenen Region gelten als weitgehend unabhängig - und als
bewaffnet.
Es war früh am Abend, als aus allen Richtungen Panzer und Bulldozer in Deir
el Sur einrückten. "Wir hörten von überall her Explosionen und Schüsse,
Helikopter gaben den Panzern Deckung, während sie mit Maschinengewehren und
schwerer Infanterie auf die Wohnsiedlungen gefeuert haben", berichtet Rami,
Journalist aus Deir el Sur, am Telefon. "Die Leute reagierten, indem sie
"Allahu Akbar!" von den Minaretten der Moscheen riefen. Damit wollen wir
den friedlichen Charakter unserer Revolution unterstreichen."
Der Sturm auf die Stadt im Osten des Landes begann genau eine Woche nach
dem Beginn einer groß angelegten militärischen Offensive im
zentralsyrischen Hama. Beide Städte gelten als Hochburgen des Protests
gegen Präsident Baschar al-Assad - und beide stellen für das Regime auf
ihre jeweils eigene Art schwierige Herausforderungen dar: Hama war im Jahr
1982 Schauplatz eines der schlimmsten Massaker in der modernen Geschichte
des Nahen Ostens: Der ehemalige Präsident Hafis al-Assad, der Vater des
gegenwärtigen Staatschefs, ließ die 800.000-Einwohner-Stadt bombardieren,
um einen Aufstand der Muslimbrüder niederzuschlagen. 10.000 bis 20.000
Menschen starben damals in den Trümmern. Jede Form von militärischer Gewalt
in Hama ist daher besonders heikel.
Die ölreiche Stadt Deir el Sur dagegen liegt in einer entlegenen,
stammesgeprägten Region nahe der irakischen Grenze. Die Stämme gelten als
weitgehend unabhängig von der Zentralregierung - und sind teilweise
bewaffnet. Denn wegen der geografischen Lage blüht dort der
Waffenschmuggel. Im Internet kursiert seit vergangener Woche ein Video, das
ein Treffen von Stammesangehörigen zeigt. Dutzende Männer, alte und junge,
haben sich versammelt. Sie wirken aufgebracht, sie rufen und gestikulieren.
## "Dies ist ein Dschihad"
"Vor einigen Tagen hat sich eine Gruppe von uns zu Verhandlungen mit der
Armee getroffen. Wir verlangen die Freilassung aller politischen Gefangenen
und den Abzug der Armee", sagt ein Scheich; ein jüngeres Stammesmitglied
meint: "Dies ist ein Dschihad, und wir sind eine dschihadistische
Gesellschaft. Wir müssen eine neue Generation von Dschihadisten
erschaffen."
Die Echtheit des Videos lässt sich nicht prüfen. Seit Beginn der Unruhen im
März dürfen so gut wie keine Journalisten mehr nach Syrien einreisen.
Beobachter schätzen den Clip jedoch als authentisch ein. Mit der neuen
Offensive in Deir el Sur wächst daher die Gefahr, dass der bislang
überwiegend friedliche Protest in einen bewaffneten Aufstand umschlägt.
Bislang scheinen sich die Bewohner der Stadt nicht mit Gewalt zur Wehr zu
setzen, allerdings berichten Anwohner von schweren Kämpfen zwischen
desertierten und regimetreuen Armee-Einheiten.
Allein am Sonntag sind nach Angaben von Aktivisten in Deir el Sur 78
Menschen getötet worden. Am Montag führte die Armee ihre Angriffe fort;
gleichzeitig setzte an mehreren Orten eine Verhaftungswelle ein: In Homs im
Westen sollen rund 1.500 Menschen verhaftet worden sein. Deir el Sur steht
bereits seit über einer Woche unter Belagerung; allerdings drang die Armee
bislang nicht ins Zentrum der Stadt vor. Vor einigen Tagen wuchsen die
Spannungen, als der prominente Stammesführer Scheikh Nawaf al-Baschir
festgenommen wurde. Nun hat das Regime deutlich gemacht, dass es fest
entschlossen ist, die Stadt unter Kontrolle zu bringen.
Wegen der anhaltenden Belagerung ist die humanitäre Lage zunehmend
kritisch: "Sie haben alle privaten Krankenhäuser geschlossen, und in den
staatlichen verhaften Sicherheitskräfte die Verletzten", sagt Fadi, ein
Zahnarzt. "Zudem geht uns die Nahrung aus - und das im Ramadan, wo wir uns
normalerweise jeden Abend zu Festessen treffen! Wir versuchen, einander zu
helfen. Doch die Straßen sind lebensgefährlich."
8 Aug 2011
## AUTOREN
DIR Gabriela Keller
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Syrische Aktivisten im Libanon: Unsichere Zuflucht
Vom Libanon aus organisieren syrische Aktivisten ihren Kampf gegen das
Regime. Doch auch hier ist der Arm des syrischen Geheimdienstes zu spüren.
DIR Niederschlagung des Aufstands in Syrien: Armee stürmt zwei Städte
Mit Panzern ist die syrische Armee in die Städte Sakreb und Kusair
eingedrungen. Vor dem UN-Sicherheitrat wird von "schockierenden"
Menschenrechtsverletzungen berichtet.
DIR Aufstand in Syrien: Sicherheitsrat erwägt mehr Härte
Vier Staaten im UN-Sicherheitsrat fordern "weitergehende Schritte" gegen
das Regime Assads. Der syrische UN-Botschafter zieht Parallelen zu den
Krawallen in Großbritannien.
DIR Deutsche Syrien-Politik: Mehr Druck auf Assad gefordert
Die Opposition findet den Syrien-Kurs der Bundesregierung zu lasch. SPD und
Grüne fordern ein Ölembargo. Auch müsse der Botschafter abgezogen werden.
DIR Kämpfe in Syrien: "Krieg? Können Sie haben!"
Der türkische Außenminister überreichte Syriens Präsident Assad eine
"letzte Warnung" seiner Regierung. Der reagierte ungehalten. Sein Land ist
auch in der arabischen Welt zunehmend isoliert.
DIR Türkei geht Geduld mit Syrien aus: "Assad könnte wie Saddam enden"
Nach dem blutigen Wochenende in Syrien kommt Kritik aus Saudi-Arabien. Der
türkische Außenminister will bei seinem Besuch in Damaskus eine letzte
Warnung aussprechen.
DIR Gewalt in Syrien: "Die Stadt ist total paralysiert"
Trotz eines UN-Appells rollen Panzer in Deir Essor und weitere Städte ein.
Menschenrechtler sprechen von zahlreichen Toten. Der türkische
Außenminister reist nach Damaskus
DIR Debatte Arabische Revolution: Nach dem Frühling
Der Westen hat in der arabischen Welt stark an Einfluss verloren. Mit
Militärhilfen und alten Allianzen versucht er, seine Interessen zu wahren.
DIR UN-Erklärung zu Syrien: Die gescheiterte Resolution
Der UN-Sicherheitsrat kann sich nur auf eine "Präsidialerklärung" gegen die
Gewalt des syrischen Regimes einigen. Auch die Opposition wird darin
ermahnt.
DIR Kommentar UN-Sicherheitsrat zu Syrien: Assads letzte Freunde
Die Mächtigen in West und Ost sind feige. Die syrischen Oppositionellen
wissen, dass sie allein sind.
DIR Aufstand in Syrien: Exekutionen auf offener Straße
Syriens Sicherheitskräfte haben die Stadt Hama offensichtlich wieder unter
Kontrolle. Der Überlegenheit des Regimes hatten die Bewohner nichts zu
entgegnen.