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       # taz.de -- Hip-Hop-Kollektiv "Odd Future": Homophobes Tourette-Syndrom
       
       > Die Rapper Odd Future aus Los Angeles sind jung, hyperaktiv und
       > Mittelschicht. "Kill People, burn shit, fuck school" – in ihren Texten
       > leben sie Gewaltfantasien aus.
       
   IMG Bild: Leicht aggressiv sehen durchaus auch die Fans aus, hier auf dem Roskilde-Festival.
       
       BERLIN taz | HipHop musste sich in letzter Zeit des Öfteren gefallen
       lassen, von der Kritik für tot erklärt zu werden. Die Kalifornier Odd
       Future Wolf Gang Kill Them All, auch liebevoll OFWGKTA genannt, sind
       angetreten, das darbende Genre mit frischem Blut zu versorgen, und das
       durchaus im doppelten Sinn.
       
       In ihren Texten wird selten lange gefackelt, wenn es um das verbale
       Ausleben von Gewaltfantasien geht: "Kill People, burn shit, fuck school"
       lautet einer ihrer Slogans. Dabei handelt es sich bei dem Kollektiv aus Los
       Angeles nicht um furchterregende Gangstertypen, sondern eher um hyperaktive
       Mittelschichtschüler.
       
       Der Jüngste, Earl Sweatshirt, zählt gerade einmal 17 Jahre. Tyler, The
       Creator, ihr Kopf, repräsentiert mit seinen 20 Jahren ziemlich genau den
       Altersdurchschnitt. Seit 2008 veröffentlicht die Crew, zu der auch die
       Rapper Hodgy Beats, Mike G und Domo Genesis zählen, unermüdlich Material.
       Bis heute gibt es 13 Alben und Mixtapes, von den Musikern fast vollständig
       zum kostenlosen Download ins Netz gestellt.
       
       ## Tönende Visitenkarten
       
       Mit Mixtapes haben DJs und Rapper traditionell auf sich aufmerksam gemacht.
       Früher wurden diese tönenden Visitenkarten am Straßenrand vertickt. Odd
       Future stechen aus der Masse mit der hohen Produktionsqualität ihrer
       Heimstudio-Veröffentlichungen hervor. Angefangen mit [1]["Bastard"] (2009),
       dem aggressiv-schizophrenen Solodebüt von Tyler, über Earl Sweatshirts
       nicht minder extremen Album "Earl" (2010) bis hin zu "BlackenedWhite"
       (2010), Album Nummer zwei von MellowHype, dem Duo aus Hodgy Beats und
       Produzent Left Brain.
       
       Odd Future bevorzugen in ihren Stücken düstere Synthesizerbässe und Beats,
       die ein ausgefeiltes Verständnis für Reduktion erkennen lassen. Bei Bedarf
       kracht es; an anderer Stelle basteln sie nuancenreiche Elektronikgebilde,
       die daran erinnern, dass die Musik auf R&B oder Soul beruht. Hinzu kommt
       die für sein Alter beunruhigend dunkel kratzende Stimme Tylers, die oft
       genug den Eindruck erweckt, von echtem Leid zu erzählen.
       
       Mit "Goblin", Tylers zweitem Album, ist in diesem Jahr das erste rein
       kommerzielle Album aus dem Odd-Future-Kosmos erschienen, und mit ihm begann
       der Siegeszug der Rapper. [2]["Yonkers"], die Vorabsingle des Albums, bekam
       auf YouTube mehr als vier Millionen Clicks. Das Album setzt die auf
       "Bastard" begonnenen Sessions mit einem imaginären Psychotherapeuten fort,
       in denen nicht nur Tyler, sondern auch sein böses Alter Ego Wolf Haley die
       eine oder andere Unflätigkeit beisteuern. Provokation dient Odd Future als
       probates Mittel zur Kommunikation mit ihrem Publikum.
       
       Bei ihren Konzerten gehört punkiges Stage-Diving zum guten Ton. Doch nicht
       alle haben Spaß an den juvenil-derben Kaliforniern. Musiker wie die
       kanadischen Indie-Rockerschwestern Tegan and Sara kritisieren die
       homophoben Statements und Witze, die Tylers Texte wie ein Tourette-Syndrom
       durchziehen. Unterstützung bekamen die Zwillinge von der GLAAD, der "Gay
       and Lesbian Alliance Against Defamation", die Tyler unverantwortliches
       Verhalten vorwirft.
       
       ## Warnhinweise für Hörer
       
       Tyler ist allerdings nicht ganz so leicht einzuordnen, wie ihm seine
       Kritiker unterstellen. Auf "Goblin" erklärt er seinen Hörern vor einem
       besonders blutrünstigen Stück in bester Pädagogen-Manier: "It's fucking
       fiction!" und sichert sich zusätzlich mit der Warnung ab: "Dont try this at
       home!". Allerdings verliert seine ironische Distanz gerade dadurch, dass er
       immer wieder demonstrativ darauf hinweist, es sei ja alles nicht ernst
       gemeint.
       
       Im Onlinemagazin "New Inquiry" bekamen Odd Future Schützenhilfe vom Autor
       Malcolm Harris, der ihre Texte mit Elfried Jelineks Roman "Die
       Ausgesperrten" verglich. Das dürfte die Mutter von Earl Sweatshirt nur
       geringfügig interessiert haben, als sie ihrem Sohn vergangenes Jahr
       nahelegte, sich von seinen Karriereplänen als Rapper zu verabschieden, und
       ihn in ein Internat auf Samoa steckte.
       
       Es war gar das Gerücht im Umlauf, der Minderjährige sei gegen seinen Willen
       "strafversetzt" worden, nachdem die Mutter von seinen brutalen und obszönen
       Texten erfahren habe. Beunruhigte Fans riefen kurzerhand die "Free
       Earl"-Bewegung ins Leben. In der Zwischenzeit erklärte Earl, der mit
       bürgerlichem Namen Thebe Neruda Kgositsile heißt, gegenüber dem New Yorker,
       dass er freiwillig für ein Jahr nach Samoa gegangen sei.
       
       ## Zweite Generation
       
       Bei dieser Gelegenheit wurde auch bekannt, dass Earl der Sohn des
       südafrikanischen Dichters Keorapetse William Kgositsile ist, der mit einem
       seiner Gedichte die New Yorker Proto-Rapper The Last Poets zu ihrem Namen
       inspirierte. Earl, der talentierteste unter den Rappern aus den Reihen von
       Odd Future, wird aber bis auf Weiteres keine Musik mehr machen.
       
       Frank Ocean, R&B-Sänger und früher Hitschreiber für Justin Bieber oder
       Beyoncé, bekam trotz Vertrag mit dem renommierten Label Def Jam keine
       Chance, seine eigene Musik zu veröffentlichen, bis er entschied, sein Debüt
       "Nostalgia, Ultra" in diesem Frühjahr auf der Odd-Future-Homepage zu
       veröffentlichen. Jetzt bringt Def Jam doch eine Version unter dem Titel
       "Nostalgia Lite" als EP heraus.
       
       Als Nächste in den Startlöchern stehen MellowHype, deren Album
       "BlackenedWhite" zur Wiederveröffentlichung beim Blues-Label Fat Possum
       gelandet ist. Von der ursprünglichen Gratisversion wird ein Titel fehlen:
       "Chordaroy", auf dem die Stimme von Earl zu hören ist. Seine Mutter hat die
       Veröffentlichung untersagt.
       
       Tyler, The Creator: "Goblin" (XL/Beggars Group/Indigo) 
       
       MellowHype: "BlackenedWhite" (Fat Possum/Soulfood) 
       
       Frank Ocean: "Nostalgia Lite" (Def Jam/Universal)
       
       5 Aug 2011
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=ySkvAXN1Jx0
   DIR [2] http://www.youtube.com/watch?v=XSbZidsgMfw
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tim Caspar Boehme
   DIR Tim Caspar Boehme
       
       ## TAGS
       
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   DIR Elektropop
       
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