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       # taz.de -- Die Höhlen von Matala: Vom Hippie zum Ehrenbürger
       
       > Ein Wiedersehensfest ehemaliger Höhlenbewohner auf der griechischen Insel
       > wurde zum Event auf Kreta. Sie alle suchten den alten Hippie-Spirit.
       
   IMG Bild: Fest-Label: Ein Event-Manager wurde eingestellt, das Hippies Reunion Matala Festival kreiert.
       
       Mit leeren Taschen und großen Träumen kamen in den 60ern und frühen 70ern
       Traveller und Hippies in die verschlafene Fischerbucht in Matala auf Kreta.
       Eine internationale Clique von Europäern, Australiern und US-Amerikanern,
       darunter einige Vietnamkriegsverweigerer. Rasch wurde die Höhlencommunity
       an der Südküste Kretas im globalen Hippie-Universum bekannt und galt als
       europäischer Fixstern, als Stop-over auf dem Trail nach Kathmandu und Goa.
       
       Jetzt kehrten einige Damalige zurück, inzwischen deutlich über 60 und gut
       situiert. Sie wollen noch einmal "The good spirit of Matala" leben, drei
       Tage lang der verlorenen Zeit nachspüren. Gut zwei Dutzend von ihnen nehmen
       am offiziellen Programm teil, stürzen sich - und das hat schon etwas
       Surreales - mit dem offiziellen Hippies-Reunion-VIP-Pass am Bändchen um den
       Hals und Oleanderblüten im Haar ins Festtreiben.
       
       Die Idee für ein Wiedersehensfest stammt vom Bremer Autor Arn Strohmeyer,
       dem Matala seit der ersten Begegnung 1967 Sehnsuchtsort geblieben ist. Er
       hatte Ehemalige angemailt und deren Fotos und Erinnerungstexte zum Buch
       "Mythos Matala" (Verlag Balistier) verarbeitet. Seine Einladung zur
       Buchpräsentation nebst Strandparty in Matala stellte er ins Internet.
       Innerhalb weniger Tage wurde das Treffen Thema in Portalen und Blogs. Maria
       Petrakogiorgi, Bürgermeisterin der Gemeinde Festos, zu der Matala gehört,
       erkannte das Marketingpotenzial. Eine Open-Air-Party, so die Überlegung,
       könnte Matala als Festivalort mit internationaler Ausstrahlung etablieren
       und den Trend sinkender Touristenzahlen umkehren. Waren nicht schon vor 40
       Jahren die Hippies unfreiwillig Pioniere der Tourismusentwicklung gewesen?
       
       ## Das Asphaltgrau wich bunten Blumen
       
       Ein Event-Manager wurde eingestellt, das Hippies Reunion Matala Festival
       kreiert. Das Kalkül ging auf. Die griechischen Medien hatten ihr
       Sommerthema gefunden, Zeitzeugen wurden interviewt, Arn Strohmeyer wurde
       zum "Man behind the Festival".
       
       Mit Shuttlebus, bei freiem Eintritt und kostenlosen Campingmöglichkeiten
       kamen über 40.000 zum Chillen, Baden und Abrocken. Junge Städter aus
       Iraklion und Rethimnon, aber auch Familienclans aus den Bergdörfern des
       Psiloritis und den Tomatendörfern der Messara-Ebene. Alle wollten die
       zurückgekehrten "Chippies" sehen, die den Mythos von Matala ebenso prägen
       wie Göttervater Zeus, der hierher in Stiergestalt die phönizische
       Prinzessin Europe entführte.
       
       Auch das Dorf Matala fieberte. Linda Crast und Katherina Panagaki, vor
       deren Shops "Tipota" und "Prisma" sich die heutige Hippieszene trifft,
       initiierten per Internet eine Straßenmalparty: Das Asphaltgrau wich einem
       bunten Blumen- und Comicteppich. "Als wir am Vorabend durch Matalas
       Gässchen schlenderten, hatten wir das verrückte Gefühl, in das poppige
       Cover von Stg. Peppers Lonly Heart Club Band zu treten", sagten zwei
       Besucher.
       
       Für viele "Ehemalige" gibt es ein Wiedersehen. Erinnerungen werden
       ausgetauscht mit Vangelis von der legendären Taverne Delfini, mit Angeliki,
       die noch heute einen kleinen Laden betreibt. "Es waren gute Leute, aber sie
       waren arm, sie hatten nicht viel Geld, für mich waren sie gute Kinder!",
       erinnert sich die 80-jährige Alexandra, die in den 60ern ihrem Vater
       Manolis Spithomanolis in dessen kleinem Kafenio zur Hand ging.
       
       ## Wir wollten was erleben
       
       Die "Heimkehrer" wollen noch einmal in "ihre" Höhle. Sie halten Ausschau
       nach ihren Appartements, den Feuerstellen, den in Wände eingehauenen
       Schränken, Sitz- und Liegebänken, nach Resten der Bemalung. Suzie Young,
       die abwechselnd in Winchester und in Neuseeland lebt, bettet sich noch
       einmal auf die Steinbank und träumt.
       
       Shirley Read-Jahn, Gartenarchitektin aus San Francisco, und ihre Schwester
       Pam aus Sidney bewohnten 67 Cave No.1, eine der schönsten neben The Globe,
       The Hilton, Hexenküche oder Kazantzakis-Cave. Die Amerikanerin Betsy Braden
       und ihre englische Freundin Liz residierten 69 im "luxuriösen" Globe,
       während aus den Tavernen Beatles-Songs dröhnten wie `Eleanor Rigby oder
       Back in the U.S.S.R." Auch der Österreicher Ludwig Pühringer hat "seine
       Höhle" im dritten Stock anhand alter Fotos wiedergefunden: "Abends haben
       wir Retsina geholt vom Mermaid oder Delphini und sind damit hoch - ich muss
       eine Gazelle gewesen sein." Der Großhandelskaufmann Ludwig landet 1968 in
       Matala. "Ich hab mir gesagt, das kanns nicht sein, bis ans Lebensende
       irgendwem Schrauben oder Eisenblech zu verkaufen. In Österreich war ja nix
       los zu der Zeit. Wir wollten was erleben und haben aus der ganzen Welt dort
       Leute getroffen, das war toll."
       
       Es wird ein mitreißendes Event, Matala ist ausgebucht, die Tavernen und
       Bars sind überfüllt. Beim Abschiedsessen im Restaurant Corali lädt die
       Bürgermeisterin Maria Petrakogiorgi die Ehemaligen vorsorglich ein, im
       nächsten Jahr wiederzukommen als "Ehrenbürger Matalas".
       
       Die Einzigen, die sich langweilten, waren die zwölf Sanitäter. Über 20.000
       tanzende und singende Menschen versetzten bereits Pfingstsamstag die
       erstmals autofreie Bucht von Matala in Schwingungen. Rasch waren die
       letzten Souvlakia verkauft, aber mit griechischer Improvisationskunst
       wurden am Sonntag von irgendwoher 30.000 neue Portionen an den Strandgrill
       gezaubert. Das Programm bot allen etwas: Auf der großen Bühne vor
       grandioser Höhlenkulisse begeistern die Gruppen und Bands mit Hits der 60er
       und 70er, Blues und Soul, aber auch mit traditionellen kretischen Tänzen
       und Lyraspiel. Dazwischen gab es ein Feuerwerk mit leuchtendem
       Friedenszeichen vor dem illuminierten Felsen. Und für die Jungen spielt
       Arrapago Midnight auf, die griechisch-italienische Rockband aus Matala.
       
       Bis tief in die Nacht sitzen dann alle "Ehemaligen" nostalgisch im "Sunset"
       zum gemeinsamen Mahl. Und es gibt unendlich viel zu erzählen, von der
       Hippiehochzeit im Winter 68, von der Bäckersfrau Anthousa Zourithakis, von
       allen Mama genannt, vom Fischer Georgios Germanakis, der noch immer dafür
       sorgt, dass der Spruch "Today is live. Tomorrow never comes" an der
       Kaimauer aufgefrischt wird, von den Lagerfeuernächten, der Musik, der
       Scheißhöhle und, und, und. "Sonntags war Griechentag", erinnert sich Betsy
       Braden, "wir waren der Zoo, sie kamen, um zu gaffen." Jetzt beim Fest
       stehen sie erneut im Fokus, wie Arn, der trotz alledem seine hanseatische
       Gelassenheit bewahrte: "Ich wurde auf der Straße umarmt und abgeküsst, die
       wollten sich mit mir fotografieren lassen, und ich habe über 30 Interviews
       gegeben."
       
       Auch einige Klischees wurden zurechtgerückt: Am Strand fanden keine Orgien
       statt, es wurde nicht einmal nackt gebadet. Matalas "sündige Meile" war der
       Kokkini Ammos (FKK-Strand Red Beach), 20 Minuten entfernt, mit steilem Auf-
       und Abstieg.
       
       ## Für mich war Matala der freie Punkt auf der Welt
       
       Weder Bob Dylan noch Cat Stevens oder Janis Joplin waren in Matala. "Georg
       Danzer, der österreichische Liedermacher, lebte 67 in meiner Nachbarhöhle",
       bezeugt Arn. Auch Joni Mitchell wohnte 69 oder 70 einige Tage hier. Joni
       besingt ihre unglückliche Liebe zu einem der Hippies im Song Carey, in dem
       aber auch ihre Distanz zur Matala-Szene deutlich wird:
       
       "The wind is in from africa / Last night I couldnt sleep / Oh, you know it
       sure is hard to leave here Carey / But its really not my home."
       
       Ausgespart wird in diesen Tagen die Erinnerung an die Vertreibung der
       Blumenkinder aus dem Paradies Anfang der 70er, als immer mehr gedealt
       wurde, regelmäßige Razzien durchgeführt und schließlich die Höhlen zur
       archäologischen Stätte deklariert wurden. Beschworen wird das Gute: die
       großherzige Gastfreundschaft und die erstaunliche Toleranz der Kreter. Das
       friedliche Zusammenleben mit Menschen aus unterschiedlichsten Ländern.
       Matala, glauben alle, habe sie nachhaltig verändert und den weiteren
       Lebensweg mitbestimmt.
       
       Paradoxerweise sagten alle: "Wir sind nie Hippies gewesen. Wir waren
       Traveller, Hitcher oder unternahmen eine ,Grand Tour' durch Europa."
       
       Ante portas, am Ortseingang, hatten die heutigen Hippies der Region Stände
       aufgebaut. Unter ihnen Renate Pfander aus Stuttgart, eine echte
       Umsteigerin, die die Flower-Power-Ideale des friedlichen Umgangs mit Mensch
       und Natur bis heute konsequent lebt. Ihre Schmuckkollektion hat sie selbst
       entworfen und produziert. Nach der kaufmännischen Lehre kam sie in den
       70ern nach Matala. Sie schließt sich den Hippies an und zieht mit ihrem
       Partner mehrmals den Hippie-Trail: Türkei, Iran, Afghanistan, Indien,
       Nepal. "Für mich war Matala der freie Punkt auf der Welt, nicht zu östlich
       oder westlich, und ist meine Heimat geworden."
       
       Über das erfolgreiche Fest freut sie sich mit den Einheimischen, auch wenn
       ihr ein bisschen das alte Feeling fehlt: "Wir haben immer Lagerfeuer
       gehabt. Das offene Feuer und Livemusik ohne Elektronik, dafür mit lauten
       Trommeln habe ich sehr vermisst. Das hat so schön gehallt."
       
       3 Aug 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Rainer Karbe
       
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