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       # taz.de -- Fundamentalismus in Europa: Im Geiste Draculas
       
       > Der Attentäter von Norwegen wähnt sich als Retter des Abendlandes. Seine
       > Vorbilder findet er in der mittelalterlichen Ideologie.
       
   IMG Bild: Er sieht sich selbst als "Tempelritter" und posiert gern in Uniform: Anders Behring Breivik.
       
       BERLIN taz | Der Anschlag von Anders Behring Breivik kam zwar unerwartet,
       aber keinesfalls aus dem Nichts. Die veränderte geopolitische Lage nach dem
       Untergang des Kommunismus in Osteuropa trug wesentlich zu einer
       Umorientierung der rechtsextremen Szene in Westeuropa bei. Das Internet als
       propagandistisches Forum, organisatorisches Hilfsmittel und
       Vernetzungswerkzeug erleichterte die Kommunikation und schuf die
       Voraussetzungen eines schnellen Gedankenaustausches.
       
       Das Internet mutierte nicht nur zu einem Massenmedium, sondern auch zu
       einer virtuellen Inspirationsquelle potenzieller Einzeltäter, die sich ihre
       eigene eklektische Weltanschauung aus Versatzstücken zimmern.
       
       In dem kruden Weltanschauungsmanifest von Anders Behring Breivik tauchen
       nicht zufällig gerade all jene Stereotype auf, die in verschiedenen
       Varianten den ideologischen Gärstoff rechtskonservativer Kreise,
       neofaschistischer Debattierklubs, rechtsradikaler Parteien und klerikaler,
       populistischer und esoterischer Vereinigungen bilden. Die Palette ist weit
       gefächert und enthält immer eine Kampfansage. Bei Breivik ist es der
       "Kulturmarxismus", die multikulturelle Gesellschaft, die Globalisierung und
       der Islam. Diese Phänomene sollen bekämpft werden, denn sie bedrohen das
       christliche Abendland.
       
       Und das Abendland muss um jeden Preis gerettet werden. Mit seiner
       wahnwitzigen Tat wollte Breivik ein Fanal setzen und stützte sich auf
       Vorbilder aus der Geschichte. Er handelte in der Nachfolge der um 1118
       gegründeten Tempelritter, die sich "Arme Ritterschaft Christi und des
       salomonischen Tempels zu Jerusalem" nannten und die Geburtsstätte Jesu mit
       Waffengewalt verteidigten.
       
       ## Er bewundert Vlad Tepes – Dracula
       
       In seinem Manifest gibt er sich auch als Bewunderer des mittelalterlichen
       rumänischen Fürsten Vlad Tepes zu erkennen. Tepes war im 15. Jahrhundert
       Herrscher der Walachei, hatte im Namen des Christentums mehrere
       erfolgreiche Kriege gegen die osmanische Expansion geführt und ging in die
       Geschichte als "der Pfähler" ein: Er ließ seine Gegner grausam aufspießen,
       indem ihnen ein gespitzter Holzpfahl in den After gerammt wurde.
       
       Die Biografie des Fürsten inspirierte im 19. Jahrhundert den englischen
       Autor Bram Stoker zu seiner Romanfigur Dracula, die heute als Sinnbild
       eines blutrünstigen Monsters gilt und die Fantasie zahlreicher Filmemacher
       entzündet hatte.
       
       Die postumen Verehrer von Vlad Tepes erblicken in ihm einen christlichen
       Patrioten und makellosen Verteidiger des christlichen Abendlandes. Kein
       Wunder also, dass Vlad Tepes in den Augen des norwegischen "Templers"
       Anders Behring Breivik ein durchaus nachahmenswertes Modell in seinem Kampf
       gegen die vermeintliche Bedrohung durch den Islam und die von den Marxisten
       geförderte multikulturelle Überfremdung der europäischen Nationalstaaten
       ist.
       
       Mit ähnliche Bedrohungsszenarien hausierten in den letzten zwanzig Jahren
       immer wieder die unterschiedlichsten Gruppierungen, aber auch Autoren wie
       Thilo Sarrazin, die den schleichenden Untergang Deutschlands und der
       abendländischen Kultur und Zivilisation beschwören.
       
       ## Schwülstiger Sakralstil
       
       Propheten des Untergangs haben sich nach 1990 von Moskau bis Dublin auf den
       Weg gemacht und stießen nicht nur in den Reihen dumpfer Stammtischbesucher
       auf positiven Widerhall. Wie empfänglich die Öffentlichkeit in einzelnen
       europäischen Ländern für populistische Parolen, fremdenfeindliche
       Einstellungen und nationalistische Bekenntnisse ist, zeigt nicht zuletzt
       die jüngste Entwicklung in Ungarn.
       
       Hier hat sich die Regierungspartei Fidesz ein "nationales
       Glaubensbekenntnis" als Verfassungspräambel einfallen lassen. Der
       schwülstige Sakralstil dieses Textes soll die Erinnerung an die glorreiche
       tausendjährige christliche Geschichte Ungarns wachhalten, aber auch die
       nationale Geisteshaltung längst vergangener Zeiten erwecken.
       
       Der Rekurs auf die Geschichte und auf kompromittierte historische Vorbilder
       gehört überall zur ideologischen Grundausstattung sämtlicher
       rechtsnationaler Bewegungen, die im postkommunistischen Europa fröhliche
       Urständ feiern. Der russische Nationalbolschewist Alexandr Dugin verneint
       in seinem Manifest der Arktogaeja ("Nordisches Land") "das apokalyptische
       Reich der Gegenwart", das als ein Imperium des Antichristen und des
       liberal-kapitalistischen und atlantischen Übels abgestempelt wird.
       
       Dugin beruft sich in seinen Abhandlungen auf die orthodoxe Religion, die
       Konservative Revolution, die Neue Rechte und ließ sich auch von den
       Schriften des italienischen Faschisten Julius Evola inspirieren, der in den
       letzten Jahren zum ideologischen Vorbild zahlreicher Rechtsextremisten in
       Ost und West geworden ist.
       
       Gegen den nivellierenden Kosmopolitismus und Internationalismus, die
       Freimaurer und den materialistischen Atheismus plädiert auch der
       moldauische Mönch Savatie Bastovoi in seinen als Science-Fiction-Romanen
       getarnten Büchern, in denen die westlichen Wertvorstellungen, der
       Multikulturalismus und die Ökumene angegriffen werden. Nur ein christlicher
       Nationalismus kann, laut Bastovoi, kämpferisch auftreten und sich gegen die
       nivellierende Globalisierung zur Wehr setzen. Ohne die Bücher von Bastovoi
       gelesen zu haben, die teilweise ebenfalls aus dem im Internet
       zirkulierenden braunen Gedankenmüll zusammengestochert sind, hat der
       Norweger Breivik diese Forderung eingelöst, indem er zur Waffe griff.
       
       26 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR William Totok
       
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