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       # taz.de -- Deutschland nach dem Sieg gegen Nigeria: Zwischen Lethargie und Ekstase
       
       > „Kopfprobleme“, sagt die Trainerin, „Konzentrationsschwäche“, sagen die
       > Spielerinnen. Auf der Suche nach der Ursache für die Probleme im
       > deutschen Lager.
       
   IMG Bild: Ist trotz Sieg unzufrieden: Kim Kulig
       
       FRANKFURT taz | Mit hängendem Kopf und etwas missmutigem Gesichtsausdruck
       bestieg Kim Kulig das Podium. Einen Tag nachdem sich das deutsche Team mit
       einem 1:0-Erfolg gegen Nigeria vorzeitig für das Viertelfinale qualifiziert
       hatte. So sehen Siegerinnen höchst selten aus!
       
       Zumal doch Pressechef Ralf Köttker kurz zuvor wieder fantastische Zahlen
       verlesen hatte. Mehr als 16 Millionen Zuschauer saßen am Donnerstagabend
       vor den TV-Geräten. So viele wie noch nie bei einem Spiel der deutschen
       Frauen. Oder anders gewendet: noch mehr als am vergangenen Sonntag bei der
       WM-Auftaktbegegnung. Wieder ein neuer Rekord!
       
       Die ansonsten wegen ihrer ansteckenden Fröhlichkeit allseits so geschätzte
       Kulig konnte sich an diesem Morgen jedoch selten zu einem Lächeln
       durchringen. Mit dem Abstand von einer Nacht stellte sie stocknüchtern
       fest: „Es ist immer noch so, dass wir kein gutes Spiel gezeigt haben. Da
       ärgert man sich schon ein bisschen.“ Auch die Stimmung ihrer Teamgefährtin
       Simone Laudehr, die den einzigen Treffer erzielt hatte, war eher gedämpft.
       Auf die Frage, ob man sich nach dem Spiel im Hotel nicht auch über das
       Weiterkommen im Turnier gefreut habe, sagte sie: „Gestern war es zu spät.
       Aber wir wissen jetzt, dass wir im Finale sind.“ Im Finale? Ein Versprecher
       zur Unzeit. Nimmt man das Spiel gegen Nigeria zum Maßstab, war das deutsche
       Team vom Finale noch nie so weit entfernt wie jetzt.
       
       Dennoch wurde das Team in der Frankfurter Arena nach dem Schlusspfiff
       euphorisch gefeiert. Ob die Spielerinnen wollten oder nicht, um eine
       Ehrenrunde kamen sie nicht umhin. Und schlussendlich jubelten sie
       ebenfalls. Geradezu ekstatisch hatte das zuvor so lethargische Team während
       der Partie den Führungstreffer von Laudehr gefeiert. Alle Spielerinnen
       bestürmten die in Siegerpose kniende Laudehr. Seltsam schizophren wirkt
       diese derzeitige emotionale Gemengelage aus Freude und Enttäuschung.
       
       ## Kopfproblem
       
       Warum das deutsche Spiel nicht ins Rollen kommen will, konnten Kulig und
       Laudehr auch nicht so recht sagen. Den von ihrer Trainerin propagierten
       Erklärungsansatz, dass das Team wohl ein „Kopfproblem“ habe, stellten beide
       in Abrede. Neid hatte daran erinnert, dass ihre Spielerinnen vor der WM
       doch „federleicht“ gewesen seien, nun seien sie vor 50.000 Zuschauern
       plötzlich nicht in der Lage, den mitgenommenen Ball präzise weiterzuleiten.
       Kulig entgegnete: „Ich glaube nicht, dass die Menschenmasse etwas mit
       unserem Spiel zu tun hat.“
       
       Einer anderen momentan gehandelten These, die Deutschen seien von der
       robusten Gangart ihrer Gegnerinnen überrascht worden, stimmten beide auch
       nicht zu. „Das war uns klar, dass alle mit allen Mitteln versuchen werden,
       den zweimaligen Weltmeister und Titelverteidiger zu stürzen“, sagte
       Laudehr. „Da muss man sich reinkämpfen.“
       
       Die eigenen Erklärungsversuche für die mangelhafte Spieleröffnung, die zu
       einem zentralen Aufgabenbereich der defensiven Mittelfeldspielerinnen
       Laudehr und Kulig gehört, fielen hingegen etwas lapidar aus. Kulig meinte:
       „Das war wohl Unkonzentriertheit. Oftmals sind Bälle nicht angekommen, weil
       wir überhastet agiert haben. Dann kommt so etwas zustande.“
       
       ## Übrig bleibt Selbstkritik
       
       Während die gute Stimmung in den Stadien rund um das deutsche Team ein
       Selbstläufer zu sein scheint und nur die Gegnerinnen und
       Schiedsrichterinnen niedergepfiffen werden, üben sich die
       Nationalspielerinnen in Selbstkritik. Es bleibt ihnen kaum etwas anderes
       übrig.
       
       In den Journalistenrunden werden den deutschen Spielerinnen derzeit fast
       ausnahmslos kritische Fragen gestellt. Auch das ist eine neue Erfahrung, an
       die sich alle erst noch gewöhnen müssen, die aber zur Normalisierung des
       Frauenfußballs beiträgt. Die bis dahin gepflegte einhellig positive
       Berichterstattung erfüllte oftmals fast den Tatbestand der positiven
       Diskriminierung.
       
       Die Hoffnung wird wie so oft im Fußball auf das nächste Spiel gerichtet.
       „Bislang“, sagte Kim Kulig, „haben wir nur gegen sehr tief stehende
       Gegnerinnen gespielt. Gegen Frankreich haben wir sicher mehr Räume, weil
       die mitspielen wollen.“
       
       1 Jul 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Johannes Kopp
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