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       # taz.de -- Kika-Prozess: Nichts gesehen, gehört oder getan
       
       > Der Kika-Betrugsprozess zeigt, wie Verantwortliche trotz deutlicher
       > Warnhinweise nicht reagierten und sich bis heute nicht zuständig fühlen.
       
   IMG Bild: Gehört vor Gericht zitiert: Bernd das Brot.
       
       Offiziell endet der Prozess um den Millionenbetrug beim Erfurter
       Kinderkanal (Kika) zwar erst in zwei Wochen. Doch schon am Donnerstag
       sprach ein leitender Mitarbeiter der ZDF-Revisionsabteilung ein
       vernichtendes Urteil: gegen die Kika-Chefs und gegen den für die Aufsicht
       über den Gemeinschaftskanal von ARD und ZDF zuständigen Mitteldeutschen
       Rundfunk (MDR).
       
       "Der Kika-Programmgeschäftsführer kann sich nicht nur auf die Position
       zurückziehen, für die strategische Ausrichtung des Senders zuständig zu
       sein", sagte ZDF-Revisor Alfons Birke, der den Kinderkanal schon 2008
       geprüft und auf erhebliche Schwachstellen bei internen Kontrollvorgängen
       hingewiesen hatte. Auch das Rechnungswesen des MDR "als letzte Instanz
       hätte merken können, dass Zahlungsanweisungen regelmäßig nicht
       ordnungsgemäß abgezeichnet waren", so Birke: "Der MDR hätte aber als beim
       Kika federführende Anstalt für ein wasserdichtes Kontrollsystem sorgen
       müssen."
       
       Der ehemalige Herstellungsleiter des Kika, Marco K., hatte bereits zu
       Prozessbeginn vor zwei Wochen gestanden, zur Finanzierung seiner Spielsucht
       den Sender durch Scheinrechnungen um rund 8,2 Millionen Euro betrogen zu
       haben. Das Geld wurde mit Produktionsfirmen, die diese fingierten
       Rechnungen ausstellten, geteilt.
       
       ## Ladet Bernd das Brot vor
       
       Und weil dort unter anderem absurde Summen für angebliche Schnittarbeiten
       am Nachtprogramm mit Kika-Frontbrot Bernd auftauchten, erwog das Gericht
       mit feiner Ironie, "Bernd das Brot" doch einfach gleich mit vorzuladen.
       
       Doch zu Scherzen besteht wenig Anlass. Denn gerade die Aussage des
       ZDF-Revisors rollt noch einmal die gesamte Problematik eines Falls auf, bei
       dem sich viele mit Hinweis auf die kriminelle Energie des Angeklagten aus
       der Affäre stehlen wollen. Dass der ehemalige Kika-Programmgeschäftsführer
       Frank Beckmann (2002-2008) auf die Kasinobesuche des Angeklagten
       hingewiesen wurde, aber untätig blieb, ist nicht nur für Birke nicht
       nachvollziehbar: Beckmann habe "mindestens zweimal davon Kenntnis
       bekommen", sagt Birke, und natürlich sei dem Kika-Chef die Sonderrolle des
       Herstellungsleiters, der einen Großteil der Finanzen des Senders regelte,
       bewusst gewesen: "Da hätte man eins und eins zusammenzählen und dem
       intensivst nachgehen müssen, das sind Warnsignale erster Güte!", so Birke.
       
       Doch weder Beckmann, aktuell Programmdirektor beim NDR in Hamburg, noch der
       heutige Kika-Chef Steffen Kottkamp hatten den leisesten Zweifel an Marco K.
       Und auch ein Redaktionsleiter, der von einem Mitarbeiter über Jahre
       regelmäßig auf die "Spielleidenschaft" und die hohen Verluste des
       Angeklagten angesprochen wurde, bügelte laut Zeugenaussage alle Hinweise
       ab.
       
       Das Erfurter Gericht wird dem aber nicht weiter nachgehen: Der Angeklagte
       hat gestanden, der Gutachter der Staatsanwaltschaft bestätigte ihm zudem
       krankhafte Spielsucht. Der Fall ist also klar - und die Aufklärung, welche
       Rolle heutige und ehemalige Verantwortliche beim Kika wie beim MDR
       spiel(t)en, nicht Aufgabe dieses Verfahrens.
       
       ## Fragen über Fragen
       
       Doch viel zu viel bleibt offen: Da ging es vor Gericht um beim Kika in
       Erfurt liegende Zahlungsanweisungen über Zehntausende Euro, auf denen nur
       die Unterschrift von Marco K. prangt. Doch auf der Leipziger MDR-Kopie
       hatte plötzlich MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze mit unterschrieben.
       Vietze kassierte bislang eine "Ermahnung" und geht sowieso im Herbst in
       Ruhestand. Der MDR-Verwaltungsdirektor musterte schon im März ab - als
       Bauernopfer. Und ließ erklären, sein Abgang bedeute nicht, dass er an
       irgendetwas schuld sei.
       
       Offiziell gilt beim MDR der Fall schon längst als erledigt: Die Probleme um
       den Kika seien in der Zwischenzeit "weitgehend geklärt", hatte
       MDR-Intendant Udo Reiter schon vor Prozessbeginn Ende Mai verkündet. Und
       dann schob der Mann, der den MDR seit seiner Gründung 1991 geführt hat,
       noch nach, er wolle nun selbst abtreten, auch wenn seine Amtszeit
       eigentlich bis 2015 laufe - der Gesundheit wegen. Und, so muss man wohl
       hinzufügen, weil dann keiner mehr blöde Fragen stellt.
       
       24 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Steffen Grimberg
       
       ## TAGS
       
   DIR NDR
       
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