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       # taz.de -- Kritik an den USA aus Afghanistan: Karsais gesammelte Ungereimtheiten
       
       > In einer Rede vor Jugendlichen behauptet der afghanische Präsident, die
       > USA verhandelten ohne ihn mit den Taliban. Und widerspricht sich damit
       > selbst.
       
   IMG Bild: Warnte vor "Verwestlichung": Afghanistans Staatspräsident Hamid Karsai.
       
       KABUL taz | "Friedensgespräche mit den Taliban laufen", sagte Afghanistans
       Staatspräsident Hamid Karsai am Samstag vor einer landesweiten
       Jugendkonferenz, "das ausländische Militär, und vor allem die USA selbst,
       treiben diese Verhandlungen voran." Er ließ durchblicken, dass seine
       Regierung daran nicht beteiligt sei - eine offene Kritik an Washington.
       
       Dass Gesprächskanäle zu den Taliban gesucht werden, ist keine große
       Sensation. Schon Mitte Mai war durchgesickert, dass es den USA unter
       deutscher Mithilfe möglicherweise gelungen sei, einen ersten sinnvollen
       Kontakt zum Umfeld Mullah Muhammad Omar herzustellen. Drei Meetings soll es
       bis dahin gegeben haben, in Deutschland und Qatar. Aber ob dem wirklich so
       ist, kann - außer den Beteiligten - niemand sagen, und die schweigen
       eisern. Die Information kam zunächst aus Karsais Präsidentenpalast. Dann
       bestätigten anonyme US-Regierungsvertreter gegenüber Medien gleich mehrere
       Kontakte.
       
       Die intensive Suche nach dem Kabuler Leck könnte auf die Richtigkeit der
       ursprünglichen Nachricht hindeuten. Das würde aber auch heißen, dass Karsai
       entgegen seinen jüngsten Äußerungen doch im Bilde war. Seine US-Kritik wäre
       reiner innenpolitischer Populismus - so wie die ganze Rede am Samstag.
       
       Darin sagte er, die ausländischen Truppen gefährdeten mit bestimmten
       Bestandteilen ihrer Waffen die Gesundheit der Afghanen und die Umwelt, sein
       früherer Außenminister Rangin Dadfar Spanta habe ihn dazu gezwungen, ihnen
       auch noch andauernd zu danken und er werde die für Dezember in Bonn
       geplante Afghanistan-Konferenz boykottieren, wenn die Taliban nicht daran
       teinehmen würden. Die anwesenden Jugendlichen warnte er vor einer
       "Verwestlichung".
       
       ## Tut sich nicht viel
       
       Derweil ist nach wie vor offen, ob die USA den Taliban gegenüber
       tatsächlich auf eine Gesprächsstrategie umgeschwenkt sind. Zwar wurde eine
       Rede Hillary Clintons im Februar vor akademischem Publikum in New York als
       bisherige Vorbedingungen - Distanzierung von al-Qaida, Niederlegen der
       Waffen und Anerkennung der geltenden Verfassung - zu Zielen von
       Verhandlungen umgedeutet. Beobachter erwarteten, dass die im Juli
       stattfindende Ablösung General David Petraeus' als Oberbefehlshaber aller
       ausländischen Afghanistan-Truppen die Gesprächsfraktion stärken werde. Aber
       er wechselt an die Spitze der CIA, die eigentlich für Geheimgespräche
       zuständig sein müsste.
       
       Auf afghanischer Seite tut sich eigenständig auch nicht viel. Der von
       Karsai vor neun Monaten ins Leben gerufene Hohe Friedensrat beschränkt sich
       auf Reisediplomatie. Aber mehr als Kontakte zu kleineren
       Aufständischengruppen in Pakistan ist bisher nicht herausgekommen. Gelder
       für die Reintegration überlaufender Taliban seien noch in der Pipeline,
       sagen westliche Militärs in Kabul, um zu verhindern, dass sie es nicht in
       korrupte Kanäle fließen.
       
       Schon drohen erste Überläufer an, zu den Taliban zurückzuwechseln. Pakistan
       hält immer noch den Schlüssel für Gespräche in den Händen. Wenn Mullah
       Omars Vertraute im Ausland verhandeln, dürfte das kaum ohne Wissen
       Islamabads geschehen. Und die Familien fast aller Talibanführer leben in
       Pakistan; sie sind faktisch Geiseln.
       
       Angesichts Karsais Unberechenbarkeit verhärten sich die Fronten auch in
       Afghanistan. Die Furcht nimmt zu, er könne einen überraschenden Deal ohne
       Garantien mit den Taliban eingehen und dafür Verfassungsrechte über Bord
       werfen. Deshalb wiesen Vertreter der afghanischen Zivilgesellschaft jetzt
       in einem Offenen Brief an den Bundestag darauf hin, dass man nicht nur mit
       Bewaffneten reden dürfe, wenn man in Afghanistan Frieden schaffen will. Sie
       verlangen eine "angemessene Vertretung" bei der Bonner Konferenz.
       
       19 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Ruttig
       
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