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       # taz.de -- "Tatort" zur Frauen-WM: Fadimes Mörder
       
       > Der SWR hat die Mission angenommen, das Massenpublikum auf die WM
       > einzustimmen. Leider verkommt der Sonntagskrimi damit zum
       > volkspädagogischen Lehrstück.
       
   IMG Bild: Ausziehen ist auch keine Lösung: Fadime Gülüc im Tatort "Im Abseits".
       
       Müsste man einen Krimi anhand seines Titels beurteilen, dieser SWR-"Tatort"
       wäre noch vor dem ersten Mord durchgefallen: "Im Abseits" heißt die Folge,
       und so lange man auch nachdenkt, will einem keine abgeschmacktere
       Fußballphrase einfallen. Macht aber nichts.
       
       Denn hier geht es um mehr als stilistische Petitessen. Denn die Kommissare
       Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) und Mario Kopper (Andreas Hoppe) von der
       Kripo Ludwigshafen haben nicht nur fiktiven Mord aufzuklären, sie haben
       auch eine reale Aufgabe zu erfüllen – und zwar eine von nationalem Rang:
       Eine Woche vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft der Frauen gilt es, ein
       Massenpublikum auf das Ereignis einzustimmen.
       
       Im Mittelpunkt der Folge steht Fadime Gülüc (Filiz Koc), deutsche
       Nationalspielerin türkischer Herkunft, die gut spielt und noch besser
       aussieht und darum zum Star des ambitionierten Provinzclubs FC Eppheim
       avanciert ist. Oder, wie es ihre Trainerin (Susanne-Marie Wrage) larmoyant
       formuliert: "Die hübsche Muslima, die gegen alle Widerstände Fußball
       spielt, das vermarktet sich besser als jede Meisterschaft."
       
       Fadime wird ermordet in der Kabine aufgefunden, und Verdächtige gibt es
       zuhauf: Die verdächtig eifersüchtige Mitspielerin. Der verdächtig biedere
       Verlobte. Die verdächtig muslimischen Eltern. Der verdächtig ehrgeizige
       Clubmanager. Die verdächtig stieselige Trainerin. Der verdächtig knuddelige
       Platzwart. Der verdächtig schmierige Fotograf.
       
       Verdächtig realistisch wiederum sind einige Figuren: Für Fadime stand
       offensichtlich Nationalspielerin Fatmire Bajramaj Modell; für die Figur der
       Trainerin Bernd Schröder, der Trainer von Turbine Potsdam, der für den
       popkulturellen Charakter des Fußballs so viel übrig hat wie ein
       SED-Bezirkskultursekretär für Lady Gaga übrig gehabt hätte.
       
       Hinzu kommt weitere Fußballprominenz: Männer-Bundestrainer Joachim Löw,
       Mannschaftsmanager Oliver Bierhoff, DFB-Präsident Theo Zwanziger,
       WM-Organisationschefin Steffi Jones und Nationalspielerin Celia Okoyino da
       Mbabi, die sich in kleinen Rollen selbst spielen und den Mord an Fadime
       ganz schlimm finden dürfen. Und spätestens da drängt sich die Frage auf:
       Muss man das so machen? So penetrant, so hölzern, so überfrachtet – so gut
       gemeint?
       
       ## Alles ist blöd
       
       Muss man einen Krimi ganz einem Bildungsauftrag unterordnen, und sei es
       dem, Vorurteile zu entkräften? ("Für die meisten Männer sind wir keine
       Frauen, sondern Kampflesben.") Muss man so selbstmitleidig um Gunst des
       Publikums buhlen? ("Selbst vor der WM im eigenen Land, wird der
       Frauenfußball von den meisten belächelt.") Müssen sich, und das nur
       nebenbei, deutsch-türkische Charaktere immerzu um die Gebote des Islam
       sorgen? ("Ein guter Muslim wird in der Erde begraben.") Muss man einen
       "Tatort" zu einem Crashkurs zur Geschichte und Gegenwart des Frauenfußballs
       verwandeln? Muss man schließlich die ermittelnden Kommissare in einen
       klassischen Entwicklungsroman versetzen, an dessen Ende alle
       Geringschätzung für den Frauenfußbball verschwindet?
       
       Bei der ARD und dem DFB ist man offensichtlich der Ansicht: Ja, man muss.
       Und da wir im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind, ist es mit einer
       volkspädagogischen Aufgabe allein – aufklären, informieren, begeistern –
       nicht getan. Man hat es gern noch viel kritischer, weshalb man munter
       weiter thematisiert, problematisiert und diskutiert: Die Gegenwart des
       Frauenfußballs ist unbefriedigend (kein Geld, kein Respekt), aber
       Professionalisierung ist auch nicht schön (Vermarktung, Medienhype,
       Sexualisierung). Das individuelle Karrierestreben ist nicht sympathisch
       (Starallüren, Entfremdung), das altdeutsche Loblied auf Blut, Schweiß und
       Mannschaft auch nicht. Und selbst der antikommerzielle Sicht des Fans
       (Spaß, Vereinstreue) ist keine Lösung.
       
       Alles ist blöd, nur die kindliche Liebe zum Fußball nicht, weshalb immer
       wieder Familienvideos zu sehen sind, die eine junge, fußballbegeisterte
       Fadime zeigen. Wie meistens endet auch hier jemand, der nicht nur Kritik
       üben, sondern dem kritisierten Gegenstand etwas Positives entgegenstellen
       will, im Kitsch.
       
       Eingedenk dessen ist es erstaunlich, dass der Krimi seinen routinierten
       Gang nimmt und der Plot sogar einigermaßen spannend bleibt, bis der Mord
       schließlich, natürlich, aufgeklärt wird. Nicht aufgeklärt bleibt indes die
       Frage, wer da im Abseits herumsteht: Fadime? Die Muslima? Die Frauen? Der
       Fußball? Der Frauenfußball? Egal, irgendwer steht immer im Abseits – sogar
       Profis, die die Abseitsregeln beherrschen.
       
       Tatort "Im Abseits" – So, 20.15 Uhr, ARD
       
       19 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Deniz Yücel
       
       ## TAGS
       
   DIR WM 2011 – Mixed Zone
   DIR WM 2011 – Mixed Zone
       
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