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       # taz.de -- Schlingensief in Venedig geehrt: Kirche der Angst
       
       > Die Jury verleiht dem Deutschen Schlingensief-Pavillon der Kunstbiennale
       > in Venedig den Goldenen Löwen - das geht in Ordnung.
       
   IMG Bild: Der Schlingensief-Pavillion in Venedig.
       
       Gehören Form und Inhalt zusammen? Muss Form nicht immer mehr sein als bloß
       Form, nämlich Form von etwas sein, also von Inhalt? Vor dieser
       unentrinnbaren Dialektik der Kunst wird die Frage nach der Qualität von
       Christoph Schlingensiefs Arbeit "Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in
       mir" auch nach der Entscheidung der Großen Jury der 54. Kunstbiennale in
       Venedig, der Präsentation im Deutschen Pavillon den Goldenen Löwen zu
       verleihen, weitergehen.
       
       Keine Frage: Die Arbeit mit dem Altar in der Mitte besticht durch
       kompositorische Geschlossenheit. "Genial", murmelten nicht wenige Besucher,
       als sie das Gebäude verließen. Der Verdacht drängt sich also auf, dass es
       diese formale Qualität war, für die mit renommierten Kunsthistorikern und
       Museumsleuten besetzte, internationale Jury dem Schlingensief-Germania am
       Ende den Löwen zuerkannte.
       
       Trotzdem bleibt die Frage berechtigt, ob die grandiose Bühne für das Modell
       eines deutschen Selbstexorzismus, das Schlingensief 2008 schuf, unbedingt
       einen religiösen Rahmen haben muss. Und ob ausgerechnet diese
       Requiem-Kulisse für einen toten Künstler in der Mini-Nazi-Walhalla, die der
       Deutsche Pavillon in Venedig nun einmal immer noch darstellt, am richtigen
       Ort steht.
       
       Das Risiko, dass Susanne Gaensheimer, die diesjährige Kuratorin des
       deutschen Beitrags, einging, war ungleich höher als das von Nicolaus
       Schafhauen, der sich vor zwei Jahren entschied, zum ersten Mal einen
       britischen Künstler in den Deutschen Pavillon einzuladen. Doch Kunst lebt
       vom Experiment und der Regelverletzung. Schon allein für den Mut, ein Werk
       mit einem so schillernden Assoziationsfeld in einen Kontext zu überführen,
       der alles, was sich ihm nähert, in historische Geiselhaft nimmt, gebührt
       ihr eine Auszeichnung.
       
       Und bei allen Bauchschmerzen mit dem mythenträchtigen Auftritt war dann
       dort die erstaunliche Erfahrung zu machen, dass sich die Arbeit in ein
       interdisziplinäres Kunstwerk verwandelte, das fast unabhängig von dem Zweck
       bestehen konnte, für das es einst geschaffen worden war: Inhalt verwandelte
       sich in Form. Misst man den deutschen Beitrag auch noch an dem bescheidenen
       Angebot an sonst überzeugenden Länderpavillons, geht die Entscheidung also
       voll in Ordnung.
       
       6 Jun 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ingo Arend
       
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