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       # taz.de -- Neubesetztes Haus geräumt: Das Geschäft mit dem geschenkten Haus
       
       > Nach der Räumung eines besetzten Hauses im Wrangelkiez will
       > Grünen-Bürgermeister über Einzug der Besetzer verhandeln. Das Haus war
       > 1993 vom Land an die GSW verschenkt worden. Die hat es nun verkauft.
       
   IMG Bild: Polizisten und Besetzer in dem Haus an der Schlesischen Straße in Kreuzberg
       
       Nach der Räumung eines am Montag in Kreuzberg besetzten Hauses will
       Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) den Besetzern am
       Verhandlungstisch einen Einzug ermöglichen. Sollten die Protestierer
       ernsthaft Interesse an einem Einzug haben, werde er sich bei den
       Eigentümern für einen Mietvertragsabschluss einsetzen, sagte Schulz am
       Dienstag.
       
       Mehrere Dutzend Linke hatten am Montagnachmittag ein fast leerstehendes,
       vierstöckiges Wohnhaus der GSW in der Schlesischen Straße 25 im Wrangelkiez
       besetzt. An die Balkone knüpften sie Transparente, im Erdgeschoss hängten
       sie Ringelshirts und kurze Hosen auf eine Wäscheleine als provisorischen
       "Umsonstladen". Besetzer und Schaulustige inspizierten die großen,
       baufälligen Räume, öffneten Flügeltüren, fotografierten staubige
       Klo-Fliesen und durchgelatschte Dielen. Vor der Tür wurden Flugblätter auf
       deutsch und türkisch verteilt - für "gutes und billiges Wohnen". Am Ende
       tummelten sich rund 400 Menschen im und vorm Haus. Es herrschte
       ausgelassene Stimmung. Hoffnungsvoll gespannt, ob die Berliner Linie - die
       Räumung besetzter Häuser innerhalb von 24 Stunden - erstmals seit Jahren
       gebrochen wird.
       
       Sie wurde nicht. Bis zum Abend hielt sich die Polizei zurück, dann drängte
       sie rabiat die Besetzer vom Hauseingang fort, nahm acht Personen wegen
       Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und versuchter
       Gefangenenbefreiung fest. Im Haus traf sie auf zehn Frauen und acht Männer,
       auch sie landeten vorübergehend wegen Hausfriedensbruch in Gewahrsam. An
       einer anschließenden Spontandemonstration durch den Wrangelkiez nahmen etwa
       450 Personen teil. "Die letzte Schlacht gewinnen wir", sangen sie einen
       Song von "Ton Steine Scherben".
       
       "Bezahlbare Wohnungen, einen Umsonstladen und einen sozialen
       Kieztreffpunkt" hatte man in dem Haus geplant, sagte Mitbesetzer Franz
       Volker. "Luxusmodernisierte Häuser mit hohen Mieten gibt's ja im
       Wrangelkiez genug." Bürgermeister Schulz, Montagabend vor Ort, unterstützte
       die Besetzung als "berechtigt". Berlin erlebe eine "absolute Verknappung
       von bezahlbarem Wohnraum", der Senat habe in den letzten Jahren faktisch
       keine Wohnungspolitik betrieben. Dass das GSW-Haus jahrelang fast leer
       stand, sei "zusätzlich provokant".
       
       1993 hatte das Land mehrere bezirkseigene Häuser an seine landeseigenen
       Wohnungsunternehmen übergeben. In Kreuzberg gingen dabei nach
       Bezirksangaben 27 Häuser an die Gewobag, 8 an die Bewoge und 23 an die GSW,
       darunter auch die Schlesische Straße 25. Auflage laut damaligem Vertrag:
       Instandsetzung innerhalb von zehn Jahren und "wohnungswirtschaftlich
       vertretbare Mieten". Als die GSW 2004 für 400 Millionen Euro vom Land an
       eine Investmentgruppe verkauft wurde, nahm sie die Häuser mit. In der
       Schlesischen 25 wollte sie 2008 nach eigenen Angaben ein Sozialprojekt
       realisieren. Alle Mieter - bis auf zwei - zogen daraufhin in
       Ersatzwohnungen. Allein: Das Projekt scheiterte, das Haus blieb leer.
       
       Für Verhandlungen mit den Besetzern sei man nicht mehr zuständig, sagte
       GSW-Sprecher Thomas Rücker am Dienstag. "Das Haus ist seit einigen Tagen an
       eine private Verwaltungsgesellschaft verkauft und wird am Mittwoch
       übergeben." Nach Auskünften von Schulz ist der Neueigentümer aber bereit,
       über einzelne Wohnungen oder einen Einzug in ein Alternativgebäude zu
       verhandeln. Ob die Besetzer darauf eingehen, ist noch offen.
       
       Robert Hölz, einer der letzten beiden Mieter, begrüßte die Besetzung.
       "Überall in der Gegend steigen die Mieten immens." Die GSW habe sich nie um
       das Haus gekümmert, obwohl sie dazu seit 1993 verpflichtet war. Die 2008
       angekündigte Modernisierung hätte dreifach gestiegene Mieten bedeutet, so
       Hölz. Aber auch danach sei nichts saniert worden. "Und jetzt verkauft sie
       das ihr einst geschenkte Haus auf Kosten der Steuerzahler weiter." Auch
       Bürgermeister Schulz sieht hier "Aufklärungsbedarf". Laut Vertrag hätte die
       GSW einen Weiterverkauf nur mit Zustimmung des Landes vollziehen können.
       "Uns hat aber keiner von der GSW gefragt", so Schulz.
       
       GSW-Sprecher Rücker erwiderte, derartiges sei ihm nicht bekannt. Dafür
       verkündete er: Die im April an die Börse gegangene GSW habe im ersten
       Jahresquartal ihre Einnahmen um 9 Prozent auf 34,8 Millionen gesteigert.
       Gleichzeitig sei der Leerstand im letzten Jahr von 18 aus 3,7 Prozent
       gefallen.
       
       31 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Konrad Litschko
       
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