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       # taz.de -- Anti-Atom-Bewegung in Göttingen: Aktivisten im Stress
       
       > Für manche Atomkraft-Gegner ist der Protest zur Dauerbeschäftigung
       > geworden. Ein Stimmungsbericht aus der Göttinger Szene vor dem großen
       > Aktions-Samstag.
       
   IMG Bild: e.off: Anti-Atom-Demo in Göttingen.
       
       GÖTTINGEN taz | Es ist wieder spät geworden. Erschöpft trottet ein gutes
       Dutzend Göttinger Anti-AKW-AktivistInnen aus dem Versammlungsraum in der
       Ver.di.-Zentrale auf die Straße.
       
       Bis weit nach 23 Uhr hat die Sitzung gedauert, für die meisten war es schon
       der dritte Abendtermin in dieser Woche. Göttingen ist eine von 21 Städten,
       in denen an diesem Wochenende Großdemonstrationen gegen Atomkraft
       stattfinden.
       
       "Es gibt unglaublich viel zu bedenken und zu machen", sagt Pit Naumann*,
       einer der AKW-Gegner. Die Demo-Route muss ausgewählt, die Presse
       informiert, Redner und Bands für die Kundgebung müssen angefragt werden -
       Jutta Ditfurth hat abgesagt, dafür spricht nun Elmar Altvater. Flugblätter
       verteilen, Plakate kleben, Termine mit den Leuten von Ordnungsamt und den
       Anwälten abstimmen.
       
       Wo sollen die Klo-Häuschen aufgestellt werden, wie kommen wir an Strom,
       welche Bio-Höfe betreiben die Essen- und Getränkestände, wer organisiert
       das Catering für die Musikgruppen? "Wir sind fünf Musiker. Drei davon sind
       Vegetarier und einer davon isst nichts mit Sahne", haben die für die
       Kundgebung gebuchten Speed-Folker der "Transsylvanians" den Göttinger
       Demo-Organisatoren in einer Email mitgeteilt.
       
       Die Göttinger Anti-Atom-Leute haben also reichlich Stress - und sind doch
       in einem Stimmungshoch, beflügelt von den eigenen Erfolgen. Noch vor
       wenigen Monaten stand die Anti-AKW-Bewegung etwas ratlos da, wie ein
       Verlierer.
       
       Die Bundesregierung hatte längere AKW-Laufzeiten beschlossen. Die
       Atomkonzerne rieben sich die Hände - alle Großdemonstrationen und
       Kampagnen, so schien es, hatten nichts genutzt.
       
       Dann schwappte in Japan die große Welle über das Atomkraftwerk Fukushima.
       Über Wochen beherrschte der schleichende Super-GAU die Berichterstattung,
       in Deutschland Hunderttausende zogen auf die Straßen und Plätze und
       forderten lautstark die sofortige und endgültige Stilllegung der AKWs.
       
       Wie in anderen Orten entstanden auch in Göttingen neue
       Anti-Atom-Initiativen, eine uralte aus den 1970er Jahren, der Arbeitskreis
       gegen Atomenergie, wurde wieder belebt.
       
       Hunderte Haushalte haben in den vergangenen Wochen den Stromanbieter
       gewechselt. Bei einem vom AKW-Betreiber "e.on" gesponserten Radrennen
       protestierten Dutzende mit "e.off"-T-Shirts und Transparenten.
       
       1.000 Göttinger kamen nach dem Unfall in Japan zu einer ersten Kundgebung
       auf den Marktplatz, einige hundert fuhren Ostermontag mit Fahrrädern,
       Traktoren oder dem Zug zur Demo nach Grohnde. Montagabends versammeln sich
       immer noch 200 bis 300 Demonstranten am Gänseliesel-Brunnen. Für diesen
       Samstag wollen die Aktivisten 5.000 Demonstranten zusammenbringen - das
       wäre eine Rekordzahl für die Stadt.
       
       Tobias Darge verteilt auf dem Campus der Universität Flugblätter, die für
       die Demo werben. Auch er ist seit Wochen im anti-atomaren Dauereinsatz. In
       der Bundesregierung gebe es immer deutlichere Absetzbewegungen von einem
       Atomausstieg, sagt er. "Wenn wir am Samstag bundesweit noch einmal mehr als
       hunderttausend Leute auf die Straße bringen, ist das ein Signal, das sie
       nicht übersehen können."
       
       Auf dem Göttinger Wochenmarkt steht am Donnerstagmorgen der Bio-Bauer
       Ludwig Pape aus dem Eichsfeld. Neben Gemüse und Schweinefleisch von seinem
       Hof hat er Anti-Atom-Plakate gelegt. Obwohl Erntezeit ist und viel zu tun
       im Betrieb, hat auch Pape zuletzt in jeder Woche mehrere Abende bei
       Anti-Atom-Treffen und Konferenzen in Göttingen zugebracht.
       
       "Als allermindestes müssen wir durchsetzen, dass die abgeschalteten AKW
       nicht mehr ans Netz gehen", sagt er. "Dahinter darf es kein Zurück geben."
       Zur Demo am Samstag will Landwirt Pape mit dem Traktor anrollen. Den
       lukrativen Verkaufsstand auf dem Markt lässt er dafür sausen.
       
       27 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reimar Paul
       
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   DIR Schwerpunkt Atomkraft
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