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       # taz.de -- Neues vom Kollektiv Weilheim: Alles ist Teil von allem
       
       > Markus und Micha Acher haben das Prinzip der Band für sich
       > perfektioniert. Ob mit The Notwist, 13 & God oder Tied & Tickled Trio.
       
   IMG Bild: Tied & Tickled Trio: "Es ist immer die Konstellation, in der jeder Beteiligte etwas Besonderes beiträgt"
       
       Markus und Micha Acher sitzen im Baader Café im ehemals alternativen
       Münchner Glockenbachviertel. Sie trinken Tee und blicken in die Ferne.
       Micha, der Jüngere, ist wie immer dunkel gekleidet, im eleganten Hemd und
       rasiert. Sein Bruder trägt einen braunen, bequemen Trainingsanzug,
       Bartstoppeln kräuseln sich auf seinen Wangen.
       
       "Bei euch passt alles?", fragt die Bedienung und Markus sagt einfach nur
       "Ja". Dann sitzen sie wieder da, schweigen und ihre Blicke schweifen ins
       Weite, auf die gleiche, man muss wohl sagen Achersche, Art abwesend.
       "Vollblutphlegmatiker" hat die Süddeutsche Zeitung die Geschwister aus dem
       oberbayerischen Weilheim einmal genannt.
       
       Schon die kleinste Einheit im Acherschen Musikkosmos, die Brüder selbst,
       funktioniert als Kollektiv mit einer Stimme. Denn im Gedanken des
       Kollektivs liegt neben allem musikalischen Können die große Stärke von
       Markus und Micha Acher: Dass sie es immer wieder schaffen, ihren Projekten
       im richtigen Moment das richtige Element hinzuzufügen, und dass sie dabei
       nie das Bedürfnis haben, selbst im Vordergrund zu stehen.
       
       Schon bei The Notwist, der Band mit der sie bekannt wurden, war das von
       Anfang an der Fall. Sie begannen als Punk-geerdete Grungeband, bis 1995
       Martin Gretschmann - unter dem Pseudonym Console als Elektroniktüftler
       bekannt - festes Bandmitglied wurde. Mit Console entwickelten die Achers
       den typischen Notwist-Sound, einen mit elektronischen Einsprengseln und
       Beats angereicherten Pop, der die Bezeichnung Indie gar nicht braucht, weil
       unabhängiges Arbeiten für die Achers selbstverständlich ist.
       
       Auch beim letzten Album "The Devil, You + Me" verzichteten sie nicht auf
       Input von außen. Die Berliner Bigband Andromeda Mega Express Orchestra
       unterstützte die Band bei einem Großteil der Aufnahmen. The Notwist ist
       jedoch bei Weitem nicht das einzige Projekt von Markus und Micha Acher.
       Dazu kommen - und das ist schon eine Auswahl -- noch Ms. John Soda, Lali
       Puna, 13 & God und das Tied & Tickled Trio. Mit den letzten beiden Bands
       haben sie gerade neue Alben herausgebracht - und natürlich haben die Achers
       damit genau das getan, was sie am besten können: Hier und da an der
       Zusammenstellung der Musiker schrauben und ihren musikalischen und
       kompositorischen Teil zum Ganzen beitragen.
       
       ## Vornehme Zurückhaltung
       
       "Es ist immer die Konstellation, in der jeder Beteiligte etwas Besonderes
       beiträgt", sagt Markus Acher über die Zusammenarbeit mit anderen Musikern.
       "Mal nimmt sich einer mehr und der andere weniger zurück." Hier ist wieder
       die vornehme Achersche Zurückhaltung. Man müsste sich nicht wundern, wenn
       eines Tages ein Notwist-Album aufgenommen wird, auf der sie Markus
       charakteristische Stimme einfach durch den Gesang von jemand anderem
       ersetzt haben, gerade weil verkaufsfördernde Kategorien wie der
       Wiedererkennungswert einer Stimme ihnen völlig fremd sind.
       
       Aktuell gehen sie aber noch nicht so weit - nur fast. Sie haben sich für
       ihr neues Werk mit dem Tied & Tickled Trio, "La Place Demon" mit dem
       Schlagzeuger Billy Hart zusammengetan. Hart hat mit allen Jazzgrößen von
       Miles Davis bis Herbie Hancock aufgenommen und sein Oeuvre zählt fast 600
       Aufnahmen. "Der hat das, was er macht, erfunden", sagt Micha Acher über
       ihn. Da das Tied & Tickled Trio sowieso mit jedem Album die Besetzung
       wechselt, passt es ins Konzept, dass diesmal einfach Billy Hart mitspielt.
       
       Er harmoniert gut mit den Weilheimern. Star-Allüren sind ihm fremd. Wie die
       Achers stellt auch er sein Spiel in den Dienst der Band, auch wenn es ein
       Nebenprojekt von bayerischen Indie-Musikern ist und nicht die Combo von Joe
       Zawinul. Er reagiere genau auf seine Mitspieler, erzählt Micha Acher. Das
       merkt man den Stücken auf "La Place Demon" an, Hart drängt sich nicht in
       den Vordergrund, sondern zeigt einfach im richtigen Moment Präsenz. Von
       "Violent Collaborations", wie ein zweiteiliges Stück auf "La Place Demon"
       heißt, keine Spur.
       
       Überhaupt wurde das Tied & Tickled Trio - ursprünglich war es tatsächlich
       ein Trio - für "La Place Demon" wieder mit mehr Personal ausgestattet.
       Waren es auf dem Vorgänger "Aelita" nur fünf Musiker, ganz ohne Bläser,
       beteiligten sich jetzt 14 Leute an den Aufnahmen im Weilheimer
       Alien-Research-Studio. Darunter alte Bekannte wie der Saxofonist Johannes
       Enders, über den sich überhaupt erst die Möglichkeit ergab, mit Hart zu
       spielen.
       
       Enders gibt auf "La Place Demon" den Gegenpol zu Hart. Allein durch den Ton
       seines Saxofons mehr im Vordergrund stehend, meistert er jede Situation
       souverän. Im ersten Teil von "Violent Collaborations" beispielsweise
       begleitet er die Rhythmussektion zunächst mit dezenter Zurückhaltung, um
       dann ganz locker zu einem fast verspielten Solo überzugehen. Zwischen den
       Fluchtpunkten Enders und Hart bewegt sich der Rest der Band - Electronica,
       Streicher, Bläser und Glockenspiel - durch fein ausgetüftelte Arrangements:
       ein Sound zwischen Indie-typischer Melancholie und Jazz-Coolness.
       
       Die Achse Weilheim-USA ist nicht nur auf "La Place Demon" eine
       erfolgversprechende Verbindung. Auch das zweite aktuelle Album unter
       Beteiligung der Gebrüder Acher ist in transatlantischer Zusammenarbeit
       zwischen Oberbayern und Kalifornien entstanden. "Own Your Ghost" verdankt
       sich einer erneuten Kollaboration zwischen der amerikanischen HipHop-Crew
       Themselves und The Notwist unter dem Namen 13 & God. In Themselves haben
       die Achers verwandte Seelen gefunden, Rapper, die ebenso erpicht auf
       Kollaborationen und Jamsessions sind wie sie selbst. Nicht nur deswegen
       sagt Markus Acher über Adam "Doseone" Drucker und Dax Pierson: "Die wissen
       sofort, um was es geht."
       
       Im Gegensatz zum Debütalbum "13 & God", dessen Entstehung sich dem
       Austausch von Sounddateien per E-Mail verdankte, sind The Notwist für "Own
       Your Ghost" eigens in die USA gereist und haben in einem Studio in Oakland
       aufgenommen. Das wurde vor allem wegen Dax Pierson so gelöst. Pierson sitzt
       seit einem Unfall im Rollstuhl und konnte auf diese Weise besser an den
       Aufnahmen mitwirken.
       
       ## Gitarre ausgeliehen
       
       "Own Your Ghost" handelt vom Älterwerden, von bedrohlichen Krankheiten und
       Todesängsten. Auf dem von Adam Drucker designten Cover ist ein Skelett zu
       sehen. Dass die Vergänglichkeit allen Lebens die Tracks des Albums
       dominiert, macht die Musik aber keineswegs todernst oder tieftraurig.
       Gerade nach seinem Unfall hat sich Pierson den grundsätzlichen Fragen des
       Lebens zugewandt, um so abstrakte wie experimentelle Raps darüber zu
       schreiben.
       
       Markus Acher, bei The Notwist Texter und Sänger, hat sich auf "Own Your
       Ghost" zurückgehalten. Aus dem Steinbruch von Piersons Texten hat er sich
       einzelne Zeilen genommen und neu kombiniert. Meist überlässt er Druckers
       nasaler Geisterstimme das Wort, um lediglich den Refrains noch einmal
       Nachdruck zu verleihen. Eine wirkliche Zusammenarbeit ist das nicht immer:
       "Its Own Sun" oder "Beat On Us" würden auch jedes Notwist-Album zieren, für
       "Sure As Debt" hätten Themselves nur eine Gitarre von ihren oberbayerischen
       Kollegen auszuleihen brauchen.
       
       Dennoch birgt "Own Your Ghost" auch Beispiele, wie eine experimentelle
       HipHop-Crew und eine Elektro-Pop-Band ihre Kräfte bündeln können - zum
       Beispiel "Janu Are". Hier scheinen Markus Acher und Doseone wirklich zu
       kommunizieren, anstatt sich nur gegenseitig den Background-Sänger zu geben,
       der Song ist mit Genauigkeit und Gefühl arrangiert und wird von tausend
       kleinen Klangideen, von Streicherfitzeln über Holzbläser bis zu digitalen
       Störgeräuschen, vollendet. In solchen Momenten harmoniert das Kollektiv.
       
       Abgesehen von den Gesangsspuren ist ein Großteil des Albums live
       entstanden, was man jedoch ob der vielen Samples und elektronischen Beats
       kaum wahrnimmt. Das Zusammenspiel bei den Aufnahmen hat den Achers
       entsprochen. Zeit zum Luftholen gönnen sie sich kaum, sie machen einfach
       weiter das, was sie am besten können: Musik, in immer neuen
       Konstellationen. Ragt da The Notwist heraus? "Musikmachen mit Notwist ist
       schon etwas Besonderes", sagt Micha Acher. "Aber", so fügt er hinzu, "es
       ist auch nur Teil von allem." Dann schweigen sie und blicken wieder in die
       Ferne.
       
       ## Tied & Tickled Trio: "La Place Demon" (Morr/Indigo); 13 & God: "Own Your
       Ghost" (Alien Transistor/Indigo); live: 30. 5., München, 31. 5., Mannheim,
       1. 6., Leipzig, 2. 6., Berlin
       
       26 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Elias Kreuzmair
       
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