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       # taz.de -- Atomkraftwerke werden getestet: Nur kein Stress
       
       > Die EU einigt sich auf Stresstests für AKWs, doch die Stilllegung maroder
       > Reaktoren ist ungewiss. Die Verantwortung bleibt bei den EU-Staaten, die
       > auf Atomkraft setzen.
       
   IMG Bild: Kontrollraum im ungarischen AKW Paks.
       
       BRÜSSEL taz | Der Streit über die Stresstests für Atomkraftwerke in der
       Europäischen Union ist beigelegt. Bereits ab Juni sollen die 143
       europäischen AKWs auf ihre Sicherheit bei Naturkatastrophen,
       Stromausfällen, Flugzeugabstürzen und menschlichem Versagen untersucht
       werden, kündigte EU-Energiekommissar Günther Oettinger in Brüssel an.
       
       Erste Ergebnisse werden im Dezember erwartet. Allerdings werde es keine
       automatische Abschaltung maroder Reaktoren geben, sagte der deutsche
       EU-Kommissar. "Wir stehen nicht als Abschaltautomatismus bereit", betont
       Oettinger. Die Verantwortung bleibe bei den EU-Staaten, die auf Atomkraft
       setzen.
       
       Die Atomaufsicht ist in der EU Ländersache. Mit den Stresstests reagiert
       Brüssel auf die Katastrophe im japanischen AKW Fukushima. Nach einem
       Grundsatzbeschluss beim EU-Gipfel im März war allerdings ein heftiger
       Streit über die Sicherheitsanforderungen entbrannt.
       
       Deutschland und Österreich wollten möglichst alle Risiken überprüfen
       lassen, einschließlich Flugzeugabstürzen und Terroranschlägen. Dem
       widersetzten sich bis zuletzt Großbritannien, Frankreich und Tschechien.
       Terrorrisiken dürften nicht offengelegt werden und seien kein Thema der
       Energiepolitik, hieß es in London. Der Streit kochte so hoch, dass ein
       schon ausgehandelter Kompromiss in letzter Minute zurückgezogen wurde.
       Oettinger gingen die Auflagen nicht weit genug; er wollte den Vorwurf
       vermeiden, er habe einen "Stresstest light" bewilligt. Die Testergebnisse
       müssten auf EU-Ebene überprüft werden, forderte der CDU-Politiker.
       
       ## Unklar, wer für Terror zuständig ist
       
       Nach der gestern vorgelegten Einigung sollen die Stresstests nun in drei
       Phasen verlaufen: Nach einer Vorabprüfung durch die Kraftwerksbetreiber
       sollen die nationalen Regulierungsbehörden einen Bericht vorlegen. Dieser
       wird dann durch internationale Expertenteams überprüft. Die dritte Stufe
       sei die wichtigste, sagte Oettinger: "Wir kontrollieren künftig auf
       europäischer Ebene die nationalen Kontrolleure."
       
       In der Frage der Terrorrisiken musste Oettinger jedoch klein beigeben. Hier
       wird - wie bei unlösbaren Meinungsverschiedenheiten in Brüssel üblich -
       eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die klären soll, wer überhaupt zuständig
       ist.
       
       Auf den ersten Blick hat sich damit London durchgesetzt. Oettinger schloss
       jedoch nicht aus, dass es am Ende auch eine europäische Prüfung möglicher
       Terrorrisiken geben könnte.
       
       So oder so sind die Stresstests freiwillig - und die Ergebnisse sind
       rechtlich nicht verbindlich. Gefährliche Reaktoren können also weiter am
       Netz bleiben, selbst wenn die EU Bedenken hat. Allerdings setzt Brüssel auf
       Transparenz und Öffentlichkeit. Die Ergebnisse der Stresstests sollen
       veröffentlicht werden.
       
       Frankreich hat bereits zugesagt, Reaktoren mit Sicherheitsmängeln
       stillzulegen. Bisher widersetzt sich die Regierung in Paris allerdings der
       Forderung, das umstrittene AKW Fessenheim abzuschalten.
       
       ## Österreich will mehr
       
       Dem bereits AKW-freien Österreich geht der Kompromiss denn auch nicht weit
       genug. Die Stresstests sollten künftig regelmäßig durchgeführt werden,
       sagte Umweltminister Nikolaus Berlakovich in Wien. "Ich halte es für
       sinnvoll, dass wir das zu einer Dauereinrichtung machen", sagte er.
       Zugleich will Österreich im Bündnis mit weiteren EU-Staaten einen
       kompletten Atomausstieg in Europa erreichen.
       
       Dazu habe die Alpenrepublik am Mittwoch mit zehn weiteren Staaten -
       darunter Dänemark, Irland, Portugal und Griechenland - eine
       "Anti-Atom-Allianz" gegründet, erklärte Berlakovich. Auch Länder wie
       Deutschland seien eingeladen, der Gruppe beizutreten. Er betonte: "Das ist
       kein Spaziergang, das ist eine Bergtour mit vielen Höhen und Tiefen, wo es
       Widerstände zu überwinden gibt aus der Atomlobby." Von den 27 Staaten der
       EU gewinnen 14 Energie aus Atomkraft.
       
       Gemischt fielen die Reaktionen im Europaparlament aus. Während der
       Vorsitzende des Industrieausschusses, Herbert Reul (CDU), die Stresstests
       lobte, forderte sein Parteikollege Peter Liese Nachbesserungen. Kritik kam
       von Sozialdemokraten und Grünen. Die grüne Atomexpertin Rebecca Harms
       sprach von einem "schwachen Kompromiss", der die Handschrift der
       Atomindustrie trage.
       
       25 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Gert Stuby
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
       
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