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       # taz.de -- Pressefreiheit in Marokko: "Wir kennen keine Tabus"
       
       > Mit dem Internet die marokkanischen Gerichte austricksen:
       > Demainonline.com bietet einen Mix aus Nachrichten und Satire – zum
       > Missfallen des Königs.
       
   IMG Bild: Karikatur von Ali Lmrabet.
       
       Ali Lmrabet ist zurück, sehr zum Leidwesen des marokkanischen Königshauses.
       "Der einzige Journalist weltweit, dem untersagt wurde, in seinem eigenen
       Land seinen Beruf auszuüben", so [1][Lmrabets Vorstellung auf Facebook],
       gibt eine neue Publikation heraus. [2][Demainonline.com] heißt das Produkt.
       Es ist, wie einst seine gerichtlich verbotene Zeitschrift Demain Magazin
       auch, eine Mischung aus Nachricht und Satire.
       
       "Wir behandeln Themen, die uns am Herzen liegen, und kennen dabei keine
       Tabus", erklärt der 51-jährige Marokkaner aus Tetuán, der zu den Pionieren
       des freien Journalismus im nordafrikanischen Reich von König Mohamed VI.
       gehört. Ob Kritik an der Monarchie, der islamischen Religion oder der
       Besetzung der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara, Lmrabet ignoriert
       die roten Linien bewusst, das hat er oft bewiesen. Als erster arabischer
       Journalist interviewte er einen israelischen Ministerpräsidenten. Als
       erster marokkanischer Reporter reiste er ins algerische Tindouf, um einen
       Bericht über die Flüchtlinge aus der besetzten Westsahara zu schreiben.
       
       Diese Lust an der Pressefreiheit hat dem ehemaligen Diplomaten so manchen
       Ärger eingebracht, seit er 1998 das internationale Parkett mit dem Pult des
       Journalisten tauschte. Er wurde Chefredakteur von Le Journal, der ältesten
       unabhängigen Publikation Marokkos. 2000 gründete er dann mit Demain
       (Morgen) und später Demain Magazine seine eigenen Blätter.
       
       ## Freiheit nach Hungerstreik
       
       Demain Magazine traute sich erstmals in Marokko an politische Satire heran.
       Das ging nicht lange gut. 2003 wurde die Zeitschrift geschlossen und
       Lmrabet wegen verschiedener Artikel über das Königshaus zu drei Jahren Haft
       verurteilt. Nach einem Hungerstreik kam er wieder frei. 2005 wurde von
       einem marokkanischen Gericht ein zehnjähriges Berufsverbot gegen ihn
       verhängt. Auf dieses Urteil spielt Lmrabets Facebook-Eintrag an.
       
       Das Internet soll jetzt helfen, die marokkanischen Gerichte auszutricksen.
       Lmrabet arbeitet vom spanischen Barcelona aus. Zwei Kollegen, deren Namen
       er nicht nennen will, sind in der marokkanischen Wirtschaftsmetropole
       Casablanca, der Server, auf dem die Seite beheimatet ist, in den USA.
       Demainonline hat Erfolg. "Wir bekommen Unmengen Material zugesandt,
       Informationen, fertige Artikel, Karikaturen", berichtet Lmrabet.
       
       "Wir haben Demainonline über ein Jahr lang vorbereitet, bevor wir vor einem
       Monat ins Netz gingen", berichtet der streitbare Journalist. Der Zeitpunkt
       war zufällig und doch der beste Moment. Am 20. Februar gingen auch in
       Marokko erstmals in vielen Städten Jugendliche auf die Straße, um - wie
       ihre Altersgenossen in anderen arabischen Ländern - mehr Demokratie zu
       fordern.
       
       König Mohamed VI. versprach daraufhin eine Verfassungsreform. "Wir werden
       dies kritisch verfolgen", bekräftigt Lmrabet, der nur wenig Hoffnung auf
       eine tatsächliche Öffnung hat. "Ich glaube nicht an einen Übergang zur
       Demokratie von oben. Wir werden all diejenigen unterstützen, die für ein
       modernes Marokko eintreten", sagt er. Das Regime scheint sich dessen
       bewusst. Kein Tag vergeht, an dem Lmrabet nicht irgendwelche Viren und
       Trojaner in seiner Mail entdeckt. Hackerangriffe auf Demainonline habe es
       auch schon gegeben.
       
       24 May 2011
       
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   DIR Reiner Wandler
       
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