URI: 
       # taz.de -- Debatte China und der Westen: Von China lernen
       
       > Oft zeigt Pekings Führung ihr hässliches Gesicht. Trotzdem kann der
       > Westen lernen: So profitiert China von seiner Abschottung vor fremden
       > Einfluss, wie etwa den Finanzmärkten.
       
   IMG Bild: Abschottung von fremden Mächten: Schon der erste chinesische Kaiser schützte sich noch im Tod vor fremden Übergriffen – durch die Terrakotta-Armee.
       
       China zeigt sich seit einigen Monaten von seiner besonders düsteren Seite.
       Aus Furcht vor Demokratiebestrebungen wie in den arabischen Ländern geht
       die Führung so rabiat gegen Dissidenten vor wie seit Jahren nicht mehr.
       
       Sogar der Künstler und Regimekritiker Ai Weiwei wurde festgenommen, der
       bislang zumindest einen gewissen Schutz genoss, weil er berühmt ist und
       Sohn eines auch von der Kommunistischen Partei geschätzten Dichters. Ai
       Weiwei ist seit Ende März verschwunden.
       
       So autoritär sich die Führung geriert – das Allgemeinwohl der Chinesen hat
       sie nicht aus dem Auge verloren. Wirtschafts- und sozialpolitisch läuft in
       China derzeit sogar einiges sehr viel besser als im Westen. Sicherlich,
       auch das dient dem Machterhalt. Und dennoch verdient es eine genaue
       Betrachtung.
       
       ## Menschen aus der Armut geholt
       
       Mit einem Wirtschaftswachstum von kontinuierlich 9 Prozent ist es der
       Kommunistischen Partei in den vergangenen 20 Jahren gelungen, mehr als eine
       halbe Milliarde Menschen aus der Armut zu holen. Rund eine Viertelmilliarde
       Menschen können sich heute einen Lebensstil leisten, der dem des Westens
       nahekommt. Allein China wird es zu verdanken sein, dass die Welt die im
       Jahr 2000 vereinbarten Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut
       bis 2015 erreichen wird. Diese Zahlen beeindrucken nicht zuletzt deshalb,
       weil es keinem anderen Entwicklungsland in diesem Zeitraum gelungen ist,
       auch nur annähernd Ähnliches zu stemmen.
       
       Aber auch für Industrieländer ist Chinas Wirtschaftspolitik lehrreich. Die
       von den USA ausgehende Finanzkrise hatte 2008 auch die Chinesen mit voller
       Wucht getroffen. Obwohl sie für die Finanzkrise keine Schuld tragen, weil
       es ihnen gar nicht erlaubt ist, sich an waghalsigen Finanzgeschäften zu
       beteiligen, hatte der weltweite Wirtschaftseinbruch China zeitweilig sogar
       heftiger getroffen als Europa oder die USA. Umso bemerkenswerter, dass es
       keinem anderen Land gelungen ist, so schnell aus dieser Krise wieder
       herauszukommen.
       
       Denn anders als in den USA, wo führende Ökonomen wie etwa der ehemalige
       Fed-Chef Alan Greenspan allen Ernstes zwei Monate nach der Lehman-Pleite
       eine Krise gar noch bezweifelten, erkannte die chinesische Regierung die
       Gefahren. Sie schnürte mit einer halben Billion Euro nicht nur das
       gigantischste Konjunkturpaket, das die Welt bis dato gesehen hatte. Und
       anders als etwa in Deutschland mit der Abwrackprämie setzte sie auch nicht
       so sehr auf vorgezogene Ausgaben, sondern mit Investitionen in Bildung, den
       Ausbau des Schienennetzes und erneuerbare Energien auf Projekte mit
       Langzeitwirkung.
       
       ## Spekulantendämmerung
       
       Mit Erfolg: Während die westlichen Industrieländer bis heute von einer
       Folgekrise in die nächste stolpern, befand sich China nur wenige Monate
       nach der Lehman-Pleite wieder auf steilem Wachstumspfad. Der hält bis heute
       an. Chinas Führung zieht auch am konsequentesten ihre Lehren aus der großen
       Krise. So sieht sie von Plänen ab, ihren Bankensektor zu liberalisieren,
       die Währung, der Yuan, bleibt unter staatlicher Kontrolle.
       
       Überhaupt erweist sich die Abschottung der Chinesen von der internationalen
       Hochfinanz als entscheidend: Während andere Entwicklungs- und zuletzt auch
       Industrieländer durch schwankende Wechselkurse und Kapitalflucht in den
       vergangenen 20 Jahren immer wieder schmerzvoll zurückgeworfen wurden, weiß
       sich China vor schweren Finanzkrisen zu schützen.
       
       Die KP schützt das Land sowohl gegen allzu renditegetriebene Investoren,
       als auch vor Währungsspekulanten, die ihr großes Geld mit Geschäften
       machen, bei denen zu hinterfragen ist, warum sich überhaupt Menschen an
       Wechselkursen in diesem Ausmaß bereichern können. Der Währungshandel in
       China bleibt in staatlicher Hand, Spekulantengeld kann nicht ungehemmt
       hinein- oder hinausfließen. Die Volksrepublik ist damit zum Wachstumsmotor
       der gesamten Welt geworden - und zum Gewinner der Krise.
       
       Zugleich nutzte die Führung die Krise, um wirtschaftspolitisch generell
       umzuschwenken: weg vom exportgetriebenen Wachstum, hin zu einer Stärkung
       der Binnenwirtschaft mit mehr sozialer und ökologischer Ausgewogenheit. Die
       chinesische Regierung hat erkannt, dass sie nach Jahren ununterbrochener
       Exportbesessenheit zur Wahrung des eigenen, aber auch weltweiten sozialen
       Friedens nun verstärkt auf Umverteilung setzen muss. Die Einführung einer
       flächendeckenden Krankenversorgung ist bereits eingeleitet – was
       quantitativ das größte Sozialprogramm darstellen dürfte, das die
       Menschheitsgeschichte erlebt hat.
       
       ## Eigene Schwächen erkennen
       
       Gewiss lässt sich Chinas Wirtschaftspolitik nicht vom gesamten System
       loslösen. China ist auch in der Wirtschaftspolitik autoritär, die westliche
       Welt hingegen kennt das Prinzip der Gewaltenteilung. Bei genauer
       Betrachtung jedoch erweist sich: Die meisten wirtschaftspolitischen
       Maßnahmen der Chinesen wären durchaus auch im Rahmen der deutschen oder
       amerikanischen Gesetzgebung möglich – etwa Devisenkontrolle,
       Bankenregulierung oder eine Stärkung der Staatsindustrie. Sie müssen nur
       politisch gewollt sein.
       
       Der Blick auf China kann uns lehren, die eigenen Schwächen zu erkennen. Und
       diese Fehler gibt es, wie nicht zuletzt die Finanzkrise gezeigt hat.
       Zugleich veranschaulicht Chinas Entwicklung, wie aufwendig der Aufbau eines
       funktionierenden Sozialsystems ist. Umso mehr gilt es, einmal etablierte
       Errungenschaften nicht leichtsinnig über Bord zu werfen.
       
       Die zentrale Frage lautet denn auch, was der Westen von China lernen kann,
       ohne Verlust seiner demokratischen Errungenschaften. Denn zugleich mehren
       sich in China die Anzeichen, dass der politischer Unmut trotz
       Wirtschaftswachstums und Sozialaufbau steigt – vor allem in der stetig
       wachsenden Mittelschicht. Die Menschen wollen mitbestimmen.
       
       Auch China muss lernen: Eine regulierte Wirtschaftspolitik im Sinne des
       Allgemeinwohls bedarf keines autoritären Staats. Auf den Westen bezogen
       heißt das, das bisherige Verhältnis von Staat und Markt zu überdenken.
       China könnte den nötigen Anstoß liefern.
       
       15 May 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Felix Lee
   DIR Felix Lee
       
       ## TAGS
       
   DIR Kaiser
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Terrakotta-Armeee in Bremen: Der XXL-Kaiser
       
       Bremen zeigt die Ausstellung „Die Terrakotta-Armee & Das Vermächtnis des
       ewigen Kaisers“. Was klingt wie ein neuer Harry-Potter-Titel ist auch
       ebenso märchenhaft.
       
   DIR Twittereintrag von Ai WeiWei am 3. 6. 2009: Den 4. Juni nicht vergessen
       
       Der verschleppte chinesische Künstler Ai Weiwei wird noch immer an einem
       geheimen Ort gefangen gehalten. 2009 twitterte er zum Jahrestag des
       Massakers auf dem Tiananmenplatz.
       
   DIR Was der Westen von China lernen kann: Mehr Planwirtschaft – warum nicht?
       
       Die chinesische Regierung nutzt pragmatisch und wirkungsvoll die
       Instrumente eines starken Staates. Für den Klimaschutz erweist sich das als
       Vorteil.