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       # taz.de -- Britische Künstler über bin Ladens Villa: "Mitleid erregend in ihrer Banalität"
       
       > Das Künstler-Duo Langlands & Bell hat nie daran geglaubt, dass bin Laden
       > in einer Höhle entdeckt werden würde. Sie selbst haben ein früheres
       > Wohngebäude des Terroristen computeranimert.
       
   IMG Bild: "Für eine ziemlich wohlhabende Mittelklassefamilie in Pakistan": bin Ladens Gemächer in Abottabad.
       
       taz: Nikki Bell und Ben Langlands, das Haus Osama Bin Ladens in Abottabad
       ist doch das völlige Gegenteil von dem, was man sich unter einer
       Kommandozentrale des Bösen so vorstellt. Entspricht sein Anwesen am Ende
       viel eher einer Typologie terroristischer Architektur? 
       
       Nikki Bell und Ben Langlands: Wir glauben nicht, dass es so etwas überhaupt
       gibt. Mao Tse-tungs Richtlinie für Aufständische war es, "sich unter der
       Bevölkerung wie ein Fisch im Wasser zu bewegen". Und bin Ladens Situation
       in Abbotabad entspricht diesem Prinzip.
       
       Was verrät das Design von bin Ladens Haus über seinen Bewohner? 
       
       Nach Außen ist dieser Typ von Gebäude nichts Ungewöhnliches. Es macht den
       Eindruck eines typischen Wohnsitzes für eine Geschäftsperson, oder für eine
       ziemlich wohlhabende Mittelklassefamilie in Pakistan.
       
       Und die Innenräume? 
       
       Die Innenräume und der Hausrat allerdings scheinen auf eine nur
       vorübergehende Inbesitznahme hinzudeuten. Die Möbel und die improvisierten
       Einbauten machen einen einfachen, in ihrer Banalität sogar Mitleid
       erregenden Eindruck.
       
       2002 wurden Sie beide vom Imperial War Museum in London mit einer
       künstlerischen Recherche in Afghanistan beauftragt. Als
       Betrachtungsgegenstand ihrer Arbeit wählten Sie ausgerechnet ein Gebäude,
       in dem Osama bin Ladens in den 90er Jahren wohnte – bevor er der meist
       gesuchte Terrorist des Planeten wurde. Was war der Grund? 
       
       Unsere Arbeit [1]["The House of Osama bin Laden"] erkundet, wie Belege für
       die Identität oder Präsenz einer Person nach ihrem Fortgang an einem Ort
       entdeckt und preisgegeben oder im Kopf des Betrachters projiziert werden.
       Nach dem 11. September hatte Osama bin Laden einen quasi mythischen Status
       erlangt. Während der Arbeit stellten sich uns die Fragen: War er am Leben
       oder doch tot? Wo versteckte er sich? Oder: Wo befanden sich seine
       sterblichen Überreste? Würden wir ihn überhaupt erkennen, wenn er irgendwo
       auftauchen würde? Während das verlassene Haus in Daruntah von seiner
       Abwesenheit zeugt, wurde es durch die Kunst zu einer Art Metapher für die
       schwer zu fassende Präsenz, die bin Landen durch die Tatsache seiner
       Abwesenheit beibehielt.
       
       Waren Sie überrascht, dass die US-Spezialkräfte bin Laden ausgerechnet in
       Abbottabad aufgespürt haben? 
       
       Nein, nicht wirklich. Wir nahmen an, dass er sich irgendwo in Pakistan
       aufhalten würde. Und fanden die Idee, dass er in einer Höhle haust, immer
       unwahrscheinlich. Rückblickend ist es für ihn wohl sehr sinnvoll gewesen,
       in Abottabad gelebt zu haben, einer Garnisonsstadt. Und vermutlich
       unterhielt er Kontakt mit bestimmten Leuten innerhalb des pakistanischen
       Geheimdienstes und des militärischen Establishments. Abottabad ist auch
       näher an den Stammesregionen, wo es mehr Unterstützung für ihn gab als zum
       Beispiel in Karachi oder Lahore.
       
       Besaß sein früheres Haus im afghanischen Daruntah eine höhere Qualität als
       das in Abottabad? 
       
       In ihrer Einfachheit ähneln sich die Innenräume der beiden Häuser
       auffallend. Und einige der Möbel an beiden Orten sind sogar identisch.
       Dennoch, das Haus in Daruntah ist schlichter. Es ist ein Farmhaus mit einer
       angrenzenden kleinen Moschee und einem bombensicheren Schutzstand oder
       Bunker mit Wänden aus gestapelten Munitionskisten, gefüllt mit Erde und
       Gestein und überdacht mit einem wieder verwendeten Lastwagenfahrgestell.
       
       Der im Netz veröffentlichte Ausschitt aus Ihrer interaktiven
       Computeranimation macht den Eindruck eines Computer-Kriegsspiels, nur ohne
       Spielfiguren. 
       
       Wir haben uns aus verschiedenen Gründen für dieses Format entschieden: Die
       selben Technologien werden vom Militär zum Zweck der Datensammlung, des
       Trainings oder der Zielausrichtung von Raketen und Drohnen verwendet. Und
       auch die Kriegserfahrung der meisten Menschen wird heutzutage sehr stark
       durch die Informations- und Unterhaltungsmedien vermittelt. Die Menschen
       schauen sich Krieg auf dem Bildschirm an – weit entfernt vom physischen und
       mentalen Leiden, der Langeweile, dem Schmutz, der Angst und des Elends. So
       wird Krieg zu einer weiteren "Konsumenten"-Erfahrung. Auch Osama bin Laden
       war für die meisten Menschen nur eine mediale Figur. Er hat und hatte eine
       Form von Promi-Status, weil er überall und nirgendwo zur gleichen Zeit war.
       Die Allgegenwart dieser neuen Medienrealität wird für uns noch weiter
       verstärkt dadurch, dass Obama oder zumindest die Kommandoleitung in den USA
       die Tötungsoperation in Echtzeit über eine Kamera auf dem Helm eines der
       Soldaten mitverfolgte.
       
       Der bin Laden Besitz in Abottabad dient nun als virtuelles Schlachtfeld für
       die Spieler von "Counterstrike", seit der amerikanische Spieleentwickler
       Matthew Fletcher [2][eine entsprechende Software-Karte] dafür entwickelt
       hat. Macht er da konsequenterweise weiter, wo Sie mit dem "House of Osama
       bin Laden" aufgehört haben? 
       
       Unsere Installation soll kein Spiel sein. Wir entfernten die üblichen
       Objekte, so dass der Betrachter oder Teilnehmer dazu gezwungen wird, die
       Situation neu zu beurteilen. In unserem Spiel gibt es keine Waffen. Das
       Adrenalin und die Aggression haben wir herausgenommen.
       
       Steve Rose vom Guardian nimmt an, dass bin Laden in seinem Herzen ein
       frustrierter Architekt war, der seine Ambitionen in globalen Terror
       verwandelte. Mit der Zerstörung des World Trade Center habe er eine Form
       der extremen Architekturkritik ausgeübt. 
       
       Bin Ladens Zerstörung der WTC-Zwillingstürme war eine Form politischer und
       sozialer Kritik – und eine Form von Bildersturm. Eine obszöne Geste der
       Rebellion gegen die herrschende Weltordnung. Es war ein extrem brutaler Akt
       politischen Theaters – viel mehr als nur eine architektonische Kritik.
       Sozial und politisch gesehen, ist Architektur eine der greifbarsten
       Aufzeichnungen davon, wie wir leben. Unsere Gebäude tendieren dazu, unsere
       Intentionen, unsere Hoffnungen und Ängste einzukapseln, während sie
       zugleich den beharrlichen menschlichen Willen, die Ereignisse
       vorherzubestimmen, reflektieren. Das ist offensichtlich, ob wir nun die
       monumentalen Gebäude der Twin Tower in New York oder das schlichte
       Gebäudeensemble, das von bin Laden in Daruntah bewohnt wurde, betrachten.
       In beiden können wir eine Sprache sozialer und politischer Intentionen
       erkennen. Bin Laden wusste dies. Deshalb zerstörte er das World Trade
       Center.
       
       13 May 2011
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.langlandsandbell.com/the-house-of-osama-bin-laden-video.html
   DIR [2] http://www.gamebanana.com/maps/156014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Pohlisch
       
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