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       # taz.de -- Nach 25 Jahren ist Reparatur angesagt: Tschernobyls neuer Sarg
       
       > Nach 25 Jahren muss der Sarkophag für das havarierte Atomkraftwerk
       > erneuert werden. Ursprünglich sollte die neue Hülle schon 2007 fertig
       > sein.
       
   IMG Bild: Das ist schon etwas her: Tschernobyls Sarkophag im Jahr 2000.
       
       BERLIN taz | 120 Meter liegen zwischen Sarkophag und dem
       Dokumentationszentrum Tschernobyl. Der Geigerzähler piept hier aufgeregt,
       die Strahlung liegt bei 0,45 Millisievert stündlich. Hinter dem
       Dokumentationszentrum wird an der neuen Schutzhülle gearbeitet, die den
       explodierten Reaktor sicher von der Außenwelt abschirmen soll.
       
       Zwei Dutzend Arbeiter in weißen Ganzkörper-Overalls sind zu sehen. Zu sehen
       ist auch ein Investitionsschild, das die französische Firma Novarka als
       Auftragnehmer ausweist. Sonst aber ist hinter der Mauer mit Stacheldraht
       noch nicht viel zu sehen. Das "new safe confinement" genannte Bauwerk soll
       einmal 108 Meter in die Höhe ragen und mit einer Spannweite von 257 Metern
       im Halbkreis über den Block 3 und 4 des Atomkraftwerkes "W. I. Lenina"
       gestülpt werden.
       
       "25 Jahre waren Zeit, um die neue Reaktorhaut zu bauen", schimpft Lew
       Borchakow, der 1986 einer der verantwortlichen Konstrukteure der jetzigen
       Schutzhülle war. Damals war die Aufgabe riskanter als heute. Daten über den
       Zustand des Unterbaus waren ausschließlich per Foto gewonnen worden, die
       Strahlendosis am offenen Reaktor wirkte schon nach wenigen Minuten tödlich.
       "Die größte Herausforderung war: Wie kann man ein solches Bauwerk bauen,
       wenn die Arbeiter jeweils nur ein paar Minuten an ihm arbeiten können und
       dann von anderen ersetzt werden müssen", erinnert sich Borchakow.
       
       ## "Warum ist bislang nichts passiert?"
       
       Es sei immer völlig klar gewesen, dass der Sarkophag bei solch einer
       Bauweise Schwächen aufweist. So liegt ein Dachträger nur auf den Seiten, es
       gelang einfach nicht, ihn zu verschweißen. "Auf 25 Jahre war die
       Standfestigkeit des Bauwerks angelegt", sagt Borchakow. Die sind nun
       abgelaufen. Und deshalb schimpft der inzwischen pensionierte Ingenieur:
       "Warum ist bislang nichts passiert?"
       
       Ursprünglich sollte die neue Stahlhülle bereits 2007 vollendet sein, doch
       Planung und Ausschreibung verzögerten sich immer wieder. Eine Milliarde
       Euro sollen bislang bereits geflossen sein - und das, obwohl noch nichts zu
       sehen ist.
       
       ## 2010 begannen Arbeiten am Fundament
       
       Im Jahr 2010 haben immerhin die Fundamentarbeiten begonnen. Zum
       Strahlenschutz der Arbeiter werden die einzelnen Bögen etwa 300 Meter vom
       Reaktor entfernt montiert und nach Vollendung auf Schienen über Block 3 und
       4 geschoben. Bereits die Dekontaminierungsarbeiten der Baustelle sorgten
       für einige Überraschungen. Verstrahltes Erdreich musste tonnenweise
       ausgetauscht werden. Dabei stießen die Arbeiter auch auf kontaminierte
       Baufahrzeuge, die 1986 hier wohl eilig verscharrt worden waren.
       
       Das Dach der künftigen Ummantelung soll aus zwei Stahlhäuten bestehen,
       ständiger Unterdruck dazwischen soll garantieren, dass keine strahlenden
       Stoffe mehr austreten. Ein genaues Datum für die Fertigstellung möchte
       niemand nennen. Optimisten gehen immerhin davon aus, dass Anfang 2014 die
       Bögen über den Sarkophag geschoben werden können - falls das Geld für die
       Baukosten aufgetrieben werden kann. Derzeit fehlen mindestens 600 Millionen
       Euro.
       
       ## Bis zum Jahr 2008 wurden 50 Millionen Dollar investiert
       
       Bis dahin muss der alte Betonsarg um Block 4 halten. Acht Risikogebiete
       wurden in der Betonhaut lokalisiert, Mikrorisse etwa,
       Materialverschiebungen. Die Hülle ist nicht wirklich hermetisch, jährlich
       gelangen bis zu 2.000 Kubikmeter Regen- und Tauwasser durch die Ritzen. Bis
       zum Jahr 2008 wurden 50 Millionen Dollar investiert, um den Bau notdürftig
       zu stabilisieren. Ein gelb lackiertes Metallgerüst stützt seither die
       Westwand des Sarkophags, der die Hauptlast des tonnenschweren Schutzmantels
       trägt.
       
       Das Erdbeben von Fukushima hat auch die Verantwortlichen in Tschernobyl
       aufgeschreckt. Im Mai 1990 wurden hier zwei Stöße der Stärke 6,8 und 6,3
       auf der Richterskala registriert, das Epizentrum lag am Karpatenrand.
       Garantieren, dass der alte Sarkophag solche Erdbeben bei einem deutlich
       näheren Epizentrum überstehen würde, kann hier niemand: Die Westwand wurde
       auf Entlüftungsschächten des Reaktors errichtet, die größeren
       Erschütterungen nicht standhalten.
       
       20 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nick Reimer
       
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