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       # taz.de -- Wikileaks-Aussteiger über Transparenz: "Korruption beginnt im Städtebauamt"
       
       > Wichtig ist vor allem Offenheit: Daniel Domscheit-Berg über seinen Abgang
       > bei Wikileaks, den Konflikt mit Julian Assange und sein neues Projekt.
       
   IMG Bild: Eine Zeitung, klar. Aber wie kommt was hinein?
       
       taz: Herr Domscheit-Berg, als wir uns das letzte Mal begegnet sind, haben
       Sie uns ja ziemlich verladen. All die Experten und Rechercheure bei
       Wikileaks gab es gar nicht. 
       
       Daniel Domscheit-Berg: Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte. Wir hatten
       ein großes Netzwerk an Experten, mit denen wir auch hätten arbeiten können,
       aber es gab die Prozesse und die Infrastruktur nicht, um die alle
       einzubinden. Von daher war das eher eine Beschreibung von etwas, wo wir
       gerne hinwollten, als die Beschreibung des Istzustands.
       
       Am Anfang war das für mich vertretbar, solange wir auf dieses Ziel
       hingearbeitet haben. 2010 hätten wir aufgrund von Spenden genug Geld
       gehabt, um alles wie geplant aufzubauen. Doch Julian hat einen anderen Weg
       gewählt.
       
       Hatten Sie da nie das Gefühl zu heucheln? 
       
       Klar hatte ich das Gefühl, und es war auch nicht besonders schön.
       
       Aber eine Lüge bleibt es trotzdem. 
       
       Das war keine Lüge um ihrer selbst willen, sondern es geschah aus der Not
       heraus. Wir mussten das Projekt am Anfang als etwas Größeres verkaufen, als
       es tatsächlich war. Zum einen wären wir wenige Aktive sonst viel zu leicht
       angreifbar gewesen. Zum anderen reden die Leute nicht mit dir, wenn sie den
       Eindruck haben, dass du keine große Organisation am Laufen hast.
       
       Das ist Psychologie, so funktionieren Medien, und so funktioniert die
       Masse. Und letztendlich hat es auch für mich eine recht lange Zeit
       gedauert, bis ich gemerkt habe, dass ich selbst belogen wurde.
       
       Glauben Ihnen Journalisten eigentlich überhaupt noch irgendetwas? 
       
       Das ist theoretisch tatsächlich ein Problem. Gerade hier in Deutschland
       haben sehr viele Journalisten hartnäckig nachgefragt. Praktisch ist das
       bisher nicht aufgetreten. Aus dieser Erfahrung heraus setzen wir bei
       unserem neuen Projekt auf Transparenz.
       
       Wikileaks hat eine Debatte im Journalismus ausgelöst - nach dem Stellenwert
       der Recherche zum Beispiel. War das Absicht oder ein Nebeneffekt? 
       
       Das war mit auf dem Plan. Eine der Beobachtungen, die zu dem Projekt
       geführt haben, war, dass der investigative Journalismus gerade zu schlecht
       gestellt ist - sowohl von den Ressourcen als auch von der Ausbildung her.
       Wikileaks war dazu gedacht, die Kosten für Recherche zu senken und damit
       die Rolle des investigativen Journalismus zu stärken.
       
       Julian und Sie nennen sich "Journalisten". Ist Wikileaks Journalismus? 
       
       Es ist sicherlich kein rein journalistisches Medium, denn es publiziert,
       aber es bearbeitet zumeist nicht redaktionell. Es ist vielleicht eine Art
       Zwitter zwischen einem publizistischem Medium und einer NGO. Unser neues
       Projekt, Openleaks, publiziert selbst gar nichts und hat deswegen auch
       nichts mit Journalismus zu tun. Openleaks ist reine Technik. Aber ich
       selbst habe einige Artikel und ein Buch geschrieben und bin als Journalist
       akkreditiert.
       
       Bisher kam öfter der Eindruck auf, Sie und Julian Assange würden
       Journalisten eher verachten. 
       
       Bei Julian mag das stimmen. Bei mir ist das nicht so, ich halte den
       Berufsstand für sehr ehrenwert. Aber natürlich sind mir Missstände
       aufgefallen. Dazu gehört die Ökonomie der Exklusivität.
       
       Was meinen Sie damit genau? 
       
       Jeder Journalist möchte eine Geschichte als erster und einziger
       veröffentlichen und möchte von den Quellen so lange allein zehren, wie es
       geht. Deshalb werden sie geheim gehalten. Gesellschaftlich ist das extrem
       suboptimal. Wie soll so ein gesellschaftlicher Diskurs oder eine
       nachhaltige Beschäftigung mit einem Thema zustande kommen?
       
       Exklusiver Zugang stellt aber auch sicher, dass Geschichten über die Leaks
       tatsächlich veröffentlicht werden. 
       
       Das stimmt schon. Von dem, was ganz am Anfang auf Wikileaks frei
       veröffentlicht wurde, tauchte vieles in den Medien gar nicht auf - die
       Geschichten hätte ja jeder machen können. Darum kann Openleaks diese
       Bedürfnisse nach Exklusivität bedienen. Die Quelle entscheidet, welches
       Medium ein Dokument über den elektronischen Briefkasten bekommt. Aber eben
       mit einer zeitlichen Sanktion - wenn keine Geschichte zu dem entsprechenden
       Dokument erscheint, geht es irgendwann an alle Partner, die an Openleaks
       angeschlossen sind.
       
       Wikileaks hat vor allem mit großen Medien zusammengearbeitet, die ihre
       Marktstellung dadurch weiter ausgebaut haben. Liegt nicht eine gewisse
       Ironie darin, dass ausgerechnet Wikileaks die Machtverhältnisse im
       Journalismus weiter gefestigt hat? 
       
       Das gilt für die Depeschen und die größeren Veröffentlichungen zu Irak und
       Afghanistan. Solche Dokumente bekommt ein Journalist höchstens einmal im
       Leben. Das Meiste ist viel kleiner, die Korruption beginnt im Städtebauamt.
       Und dazu gibt es eine Menge Dokumente. Man braucht nur eine Struktur,
       welche Aufmerksamkeit dafür schafft. Deshalb ist es gut, wenn es
       mittelfristig viele Alternativen zu Wikileaks gibt.
       
       Sie sagen selbst, Openleaks ist nur Technik. Warum haben Sie eigentlich
       jede publizistische oder politische Absicht aufgegeben, die Verhältnisse
       aktiv zu verändern? 
       
       Habe ich nicht. Eine Plattform, die Transparenz ermöglicht, ist an sich
       politisch. Openleaks ist sogar demokratischer und emanzipatorischer als
       Wikileaks, weil den Quellen mehr Macht gegeben wird. Richtig ist, dass wir
       bei Openleaks nicht den Hype von Wikileaks wollen.
       
       Und Sie überlassen Ihren Medienpartnern die Entscheidung, was
       veröffentlicht wird und was nicht. Es ist also alles wieder beim Alten.
       Sind Sie mit der Medienrevolution gescheitert? 
       
       Das stimmt nicht ganz, weil unser System sicherstellt, dass alles Material
       an die Öffentlichkeit kommt. Und so kritisch ich gegenüber den
       Mainstreammedien bin, glaube ich, dass Julian die Menschen zu Unrecht in
       dem Gefühl bestärkt hat, die Medien würden uns immer nur verarschen. Nach
       dem Motto: Glaubt nichts, wofür es keine Primärquellen gibt. Es ist
       natürlich ein mittelfristiges Ziel, Journalismus überprüfbarer zu machen.
       Aber bis dahin brauchen wir Medien, weil nur sie uns ein relativ
       ausgewogenes Bild von der Welt liefern.
       
       Wann startet Openleaks? 
       
       Die Technik steht, aber bei unseren Partnern gibt es noch
       Koordinationsbedarf. Ich hoffe, dass wir im April zumindest die Testphase
       starten können.
       
       Und warum musste Ihr Team bei seinem Wikileaks-Ausstieg Daten klauen? 
       
       Wir haben nichts geklaut. Ich bin gemeinsam mit ein paar Technikern
       ausgestiegen, die sich um die Server gekümmert haben, auf denen Dokumente
       gespeichert waren. Dann stellte sich die Frage: An wen übergeben wir die
       Daten? Und da hat Julian gesagt, er habe gar keine Zeit für so etwas, und
       es interessiere ihn einen Scheiß.
       
       Von außen wirkt das, als gäbe es einen Zickenkrieg zwischen Ihnen und
       Assange. 
       
       Es gibt keinen Zickenkrieg, wir sind hier nicht im Kindergarten. Wir wollen
       die Dokumente zurückgeben, wenn Wikileaks glaubhaft machen kann, dass es
       die Daten sicher verwahrt. Da kommen uns immer wieder Zweifel. Näheres kann
       ich nicht sagen, wenn ich keine Quellen gefährden will.
       
       Und nun fechten Sie das vor Gericht durch? 
       
       Es gibt gar keine Basis für einen Gerichtstermin. Das ist alles heiße Luft.
       Welche Rechtsgrundlage soll es denn für eine rechtlich nicht fassbare
       Organisation hier geben? Julian ist für mich der moralische Eigentümer der
       Daten, deswegen soll er sie zurückbekommen. Traurig ist nur, dass
       Spendengelder verpulvert werden, damit ein Anwalt mir teure Briefe
       schreibt, in denen nichts Justiziables drinsteht.
       
       In Ihrem Buch "Inside Wikileaks" schildern Sie viele private Details.
       Welchen Sinn hat es, dass wir nun wissen, dass Julian Assange Ihre Katze
       gequält hat? 
       
       Wenn ich gewusst hätte, dass diese Scheiße mit der Katze so breitgetreten
       wird, hätte ich das gelassen. Das Buch beschreibt meine persönliche
       Geschichte, und deshalb gehören auch private Anekdoten dazu, die sich
       besser erzählen lassen. Leider hat viele Leute dann nur das Triviale
       interessiert.
       
       Und das hat Sie überrascht? 
       
       Zu wenige Journalisten durften das Buch vor der Veröffentlichung lesen.
       Dann wurden auf der Pressekonferenz fünf Themen angeschnitten, und eines
       davon war die Katze. Klar, dass alle, die nichts gelesen hatten, sich
       darauf stürzten.
       
       Aber diese Details sollen uns schon etwas über Assanges Charakter sagen? 
       
       Ich glaube schon, dass es wichtig ist, Julian zu verstehen, wenn man
       Wikileaks verstehen will. Und natürlich habe ich mich beim Schreiben
       gefragt, ob es nicht zu meiner Pflicht gehört, das allzu heroische Bild von
       Julian etwas zu korrigieren. Schließlich habe ich das mit aufgebaut.
       
       8 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Meike Laaff
   DIR Daniel Schulz
       
       ## TAGS
       
   DIR taz.lab 2011 „Die Revolution haben wir uns anders vorgestellt“
   DIR Wikileaks
       
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       Assange ab.