# taz.de -- Sicherheitscheck bis Mitte Mai: Schlechte Karten für alte AKWs
> Umweltminister Röttgen präsentiert neue, schärfere Kriterien für die
> Sicherheitsüberprüfung. Einen Airbus-Absturz würde wohl kein AKW
> überstehen.
IMG Bild: Flugzeugsicher? Das AKW Isar 1 und 2.
BERLIN taz | Bis Mitte Juni will Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU)
einen neuen gesellschaftlichen Atomkonsens herstellen. Diesen solle der
Bundestag als Novelle des Atomgesetzes beschließen und damit die Frage
beantworten: Welche deutschen Atomkraftwerke dürfen nach der Katastrophe
von Fukushima noch wie lange weiterlaufen?
Die Basis dafür soll die neue Sicherheitsüberprüfung der Anlagen liefern,
deren Grundzüge Röttgen am Donnerstag vorstellte. Bis zum 15. Mai werden
Experten alle 17 deutschen Atomkraftwerke anhand neuer Kriterien
untersuchen, die die Reaktorsicherheitskommission ausgearbeitet hat. Das
Ergebnis werde veröffentlicht, stellte Röttgen klar. Danach habe man einen
Monat Zeit für die politische Entscheidung.
Ein wesentliches Thema des Sicherheitschecks wird sein, ob die AKWs
Terrorangriffe mit großen Passagierflugzeugen so überstehen, dass es nicht
zu einer weitreichenden Verseuchung durch Radioaktivität kommt. Bisher ist
das nicht gewährleistet. Besonders die älteren Anlagen würden
Flugzeugabstürzen kaum standhalten.
In den kommenden Wochen will die Kommission deshalb neue Kriterien
anwenden, um die Risiken zu bewerten. "Wir werden die gängigen
Flugzeugtypen betrachten", sagte Rudolf Wieland, Chef der
Reaktorsicherheitskommission. Nehmen die Wissenschaftler diese Ankündigung
ernst, müssten sie prüfen, ob die Atomkraftwerke auch gezielte Attacken mit
einem vollbetankten Airbus A 380 überstehen würden.
Nach Einschätzung des Öko-Instituts ist das fraglich. Wissenschaftlerin und
Ingenieurin Simone Mohr sagte gegenüber der taz: "Vermutlich überstünde
keines der deutschen Atomkraftwerke einen gezielten Terrorangriff mit einem
A 380." Außerdem könnte die Nachrüstung so teuer werden, dass es sich für
die Energieunternehmen nicht mehr lohnte, ihre Kraftwerke weiter Strom
produzieren zu lassen. Bereits 2004 hatte das Bundesamt für Strahlenschutz
den Firmen empfohlen, die Kraftwerke Biblis A, Brunsbüttel, Isar 1,
Obrigheim und Philippsburg 1 abzuschalten, weil sie keinen ausreichenden
Schutz gegen Flugzeuge aufwiesen.
Als Folge von Fukushima wird die Reaktorkommission auch untersuchen, ob die
AKWs gegen stärkere Erdbeben als bisher unterstellt gewappnet sind. Wäre
das nicht der Fall, müssten sie eventuell auch dafür nachgerüstet werden.
Zudem wollen die Wissenschaftler überprüfen, wie die Kraftwerke auf größere
Hochwasser der Flüsse und stärkere Flutwellen an den Küsten reagieren.
## 72 statt 2 Stunden Notstromversorgung
Ein heikles und für die Betreiber teures Thema ist auch dieses: Müssen sie
die Notstromversorgung der Reaktoren so verbessern, dass diese bis zu 72
Stunden mit Batteriestrom gekühlt werden können? Heute reicht der Nachweis,
dass die Batterien 2 Stunden halten, sagte Röttgen. In Fukushima hatte der
Tsunami die Notstromaggregate zerstört. Kurz darauf fielen auch die
Batterien aus.
Röttgen und Wieland argumentierten, dass die neuen Kriterien viel schärfer
seien als die alten. Nach der Fukushima-Erfahrung unterstelle man
einerseits größere Naturkatastrophen. Zusätzlich würden die Folgen
untersucht, falls mehrere Naturereignisse, Unglücke und Pannen
zusammenträfen. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin, bis 2005 selbst
Umweltminister, kritisierte dagegen: "Der Kommission wurden keine Maßstäbe
für die Überprüfung der Sicherheit mitgegeben, sondern lediglich
unverbindlich und schwammig Themen aufgelistet."
In den kommenden sechs Wochen sollen "80 bis 100" Wissenschaftler in sieben
Fachteams die Atomkraftwerke durchforsten. Die Gesellschaft für
Reaktorsicherheit leitet die Untersuchung und zieht andere Einrichtungen
wie den TÜV oder das Öko-Institut hinzu. Die meiste Arbeit findet an den
Schreibtischen beim Studium von Unterlagen statt. Falls notwendig, sollen
die Prüfer den AKWs aber auch Besuche abstatten.
Was bei der Untersuchung herauskommt, ist offen. Röttgen rechnete gestern
mit einem "differenzierten Ergebnis". Dieses dürfte von der Härte der
Kriterien abhängen, die die Wissenschaftler tatsächlich anwenden. Die
sieben ältesten Atomkraftwerke, die gegenwärtig abgeschaltet sind, haben
schlechtere Karten als die neueren. Fraglich bleibt auch, ob die
Strommengen der dann ausgemusterten Kraftwerke auf die übrig bleibenden
übertragen werden dürfen.
31 Mar 2011
## AUTOREN
DIR Hannes Koch
## TAGS
DIR Schwerpunkt Atomkraft
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