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       # taz.de -- Regierung untersucht Niedrigstrahlung nicht: "Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten"
       
       > Wie sich Niedrigstrahlung auf die Gesundheit auswirkt, ist unklar. Auch
       > die Regierung weiß das nicht. Und trotzdem: Weitere Studien zu dem Thema
       > sind nicht geplant.
       
   IMG Bild: Ob die Bewohner in Neckarwestheim Schäden davontragen? Man weiß es nicht.
       
       BERLIN taz | Die von der Bundesregierung zugesagte Überprüfung der
       deutschen Atomkraftwerke wird sich lediglich auf technische
       Sicherheitsaspekte beschränken. Mögliche gesundheitliche Gefahren aufgrund
       erhöhter Strahlenwerte, die im normalen laufenden Betrieb von den Meilern
       ausgehen könnten und dann vor allem die Anwohner nahe der AKW-Standorte
       beträfen, sollen nicht weiter untersucht werden. Das geht aus der Antwort
       der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Fraktion der Linken hervor,
       die der taz vorliegt.
       
       Ihren Verzicht auf zusätzliche Studien, die die gesundheitlichen Risiken
       näher beleuchten würden, begründet die Regierung damit, dass sie von
       vornherein zu wissen glaubt, es werde sowieso nichts Brauchbares
       herauskommen dabei: "Die bisherigen Untersuchungen sind nach derzeitigem
       Kenntnisstand methodisch nicht mehr zu verbessern; ein Erkenntnisgewinn
       durch weitere Untersuchungen ist gegenwärtig nicht zu erwarten." Gerade die
       Zusammenhänge zwischen gesundheitlichen Risiken wie beispielsweise
       Leukämien und Niedrigstrahlung, wie es sie im Umkreis von Atomkraftwerken
       gibt, sind jedoch unter Nuklearmedizinern, Strahlenbiologen und
       Epidemiologen umstritten, weil unbefriedigend erforscht.
       
       Zugleich räumt die Regierung ein, dass die im Zusammenhang mit der
       japanischen Reaktorkatastrophe viel beschworenen, angeblich "gesundheitlich
       unbedenklichen" Grenzwerte ionisierender Strahlung Humbug sind. Denn: Was
       wie wirkt, weiß derzeit niemand so genau: "Ein Beweis, dass unterhalb der
       Grenzwerte gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können,
       ist aus erkenntnistheoretischen Gründen nicht möglich." Unkenntnis herrscht
       auch über die langfristigen Gesundheitsschäden von Tschernobyl: "Aussagen
       zu zukünftigen gesundheitlichen Folgen können gegenwärtig nicht getroffen
       werden."
       
       Klar ist dagegen, dass 25 Jahre nach dem Super-GAU in Tschernobyl Regionen
       in Bayern und Baden-Württemberg immer noch unter erhöhter Strahlung leiden:
       "Es handelt sich dabei um Kontaminationen mit dem radioaktiven Isotop
       Cäsium-137, das wegen seiner langen physikalischen Halbwertszeit von ca. 30
       Jahren noch insbesondere in Wald- und Forstgebieten in bodennahen Schichten
       vorhanden ist", warnt die Regierung.
       
       Und: "Von erhöhten Radioaktivitätswerten sind insbesondere Wildbret —
       besonders Wildschweinfleisch —, Beeren und Pilze betroffen." So seien an
       Wildschweinfleisch im Jahr 2008 ein Höchstwert von 5000 Becquerel/Kilogramm
       (Bq/kg), im Jahr 2009 von 1700 Bq/kg festgestellt worden. Das sei das circa
       8 bzw. 3-fache des zulässigen Wertes. In Pilzen seien Höchstwerte von bis
       zu 1400 Bq/kg festgestellt worden. Kein Grund zur Panik, beschwichtigt die
       Regierung in Richtung der parlamentarischen Fragesteller: "Diese Produkte
       gelangen nicht in den Handel."
       
       Sollte es in Deutschland – beispielsweise aufgrund terroristischer
       Anschläge – zu Havarien an mehreren AKW-Standorten gleichzeitig kommen,
       dann wäre eine Evakuierung der betroffenen Bevölkerung allein aufgrund
       ihrer Anzahl kaum möglich: Nach Angaben der Regierung leben 7,9 Millionen
       Menschen in Deutschland 25 Kilometer oder weniger von einem AKW entfernt.
       34 Millionen Menschen leben in einer Entfernung von bis zu 80 Kilometern
       bis zum nächsten AKW. Und: Katastrophenschutz in Deutschland ist allein
       Sache der Länder. Es gebe zwar Rahmenempfehlungen, versichert die
       Regierung. Aber: "Auf die konkreten Einzelplanungen und Maßnahmen hat der
       Bund keinen Einfluss."
       
       1 Apr 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Heike Haarhoff
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
   DIR Schwerpunkt Atomkraft
       
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