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       # taz.de -- Nach der Wahl in Baden-Württemberg: Das schwierige Erbe
       
       > Am Sonntag feiern "Stuttgart 21"-Gegner, dass Mappus Geschichte ist. Doch
       > mit einem Baustopp rechnen sie noch nicht. Deshalb setzen Sie ihre
       > Widerstandsaktionen fort.
       
   IMG Bild: Am Stuttgarter Bahnhof versuchen "S21"-Gegner die Bauzäune umzureißen.
       
       STUTTGART taz | Stefan Mappus zeigte sich am Sonntagabend an allen Ecken.
       Am Hauptbahnhof. Auf dem Schlossplatz. Auf der grünen Wahlparty. Den Kopf
       des Noch-Ministerpräsidenten der CDU hatten seine Gegner auf Pappmasken
       gedruckt und ihn rot durchgestrichen. Mappus ist Geschichte. Und das wurde
       in der ganzen Landeshauptstadt von denen gefeiert, die die Wahl auf der
       Straße entschieden haben.
       
       Eine kleine ältere Frau dreht sich auf dem Schlossplatz im Kreis. Hier
       feiern die Parkschützer ihre "Mappschiedsparty". Im braunen Mantel und mit
       einem kleinen schwarzen Hut tanzt sie zur Partymusik. Sie ist 78 Jahre alt.
       Ihre blauen Augen strahlen. "Ich war bei allen Großdemos gegen Stuttgart 21
       dabei. Ich habe gesehen, wie der Nordflügel abgerissen wurde. Ich habe
       gesehen, wie die Bäume gefällt wurden", sagt sie. "Das hier ist großartig,
       das ist großartig, großartig." Es sei wirkliche Demokratie, wenn man durch
       eine Wahl einen Mann wegbekommt, den man nicht mehr will.
       
       Es war die Botschaft des Abends: Der Mappus ist weg.
       
       Auf dem Schlossplatz liegen sich die Leute in den Armen, werfen Konfetti
       und schießen Feuerwerksraketen in die Luft. "Nach einer Landtagswahl
       herrscht Volksfeststimmung", sagte die neue grüne Abgeordnete Muhterem
       Aras. "Das gab's noch nie. Das ist das neue Baden-Württemberg."
       
       Nun wird ein Grüner in das Staatsministerium einziehen. Der erste Grüne
       Ministerpräsident Deutschlands. Doch richtig fassen können die
       Bahnhofskämpfer es noch nicht. "Ich bin total glücklich", sagt eine junge
       Frau auf dem Schlossplatz in ihr Handy. "Aber ich weiß nicht … irgendwie …
       es ist voll krass." Ein anderer Mann spricht von einem "dramatischen
       Wechsel".
       
       Doch was erwarten sie sich hier davon? Was, wenn eine von den Grünen
       geführte Regierung die baden-württembergischen Atommeiler Philippsburg und
       Neckarwestheim nicht sofort vom Netz nimmt? Wenn das Bahnhofsprojekt
       "Stuttgart 21" gebaut wird, weil nach einer Volksbefragung die Mehrheit
       dafür stimmt? Die hatten sowohl SPD als auch Grüne angekündigt. Diese
       Fragen stellen sich Parkschützer unter Baum 145 im Stuttgarter
       Schlossgarten auch. Dort sitzen vier Studenten zusammen. Baum 145 ist für
       sie mehr als eine Nummer: Er ist ein Symbol für die alte Politik, die den
       Baum für Stuttgart 21 irgendwann gefällt hätte. Zum Schutz der Bäume
       campieren seit Monaten AktivistInnen im Park. Mitten in der
       Schwabenmetropole haben sie eine kleine Zeltstadt errichtet.
       
       Gerade läuft Kretschmann im Radio: "Wir haben die historische Wende in
       Baden-Württemberg erreicht", spricht er. Ein Radler ruft, Mappus gehöre vor
       Gericht. Wegen des Wasserwerfereinsatzes am 30. September 2010 gegen
       Anti-Stuttgart 21–Demonstranten, als ein Mann sein Augenlicht verlor. "Es
       geht darum, Vertrauen aufzubauen. Wir wollen einen klaren Weg sehen, dann
       akzeptieren wir auch einiges", sagt die 26-jährige Franziska Schumm an die
       Grünen gerichtet. Sie wollen einen schnellen Ausstieg aus der Kernkraft.
       Aber sofort? "Das Erbe, das Mappus hinterlässt, ist doch ein dicker Hund.
       Die neue Regierung hat überhaupt keine Handlungsfreiheit", sagt ein
       anderer. Schumm meint: Es gehe nicht um das wann des Ausstiegs, sondern um
       einen glaubhaft schnellen. Sollte eine Mehrheit in einer Volksbefragung für
       "Stuttgart 21" stimmen, dann würden sie das akzeptieren.
       
       Drüben am Nordflügel des Hauptbahnhofes ist das anders, oder besser gesagt:
       dort, wo der Nordflügel stand. Er ist bereits für Stuttgart 21 abgerissen.
       Blaulicht, kleine Rangeleien mit der Polizei, eine Spontandemo mit ein paar
       hundert Teilnehmern versucht, einen Bauzaun einzureißen. Dahinter soll
       demnächst ein Technikgebäude für "Stuttgart 21" errichtet werden. Manche
       rufen "Mappus weg", andere "Baustopp jetzt", ein Kamerateam des SWR
       versucht möglichst viel aus dem kleinen Getümmel rauszuholen.
       
       Die Polizei kapituliert schließlich, der Zaun fällt. Die meisten hier
       wollen in Zukunft weiter demonstrieren. Auch wenn Kretschmann Chef ist,
       auch wenn eine Mehrheit der Stuttgarter oder Baden-Württemberger für
       "Stuttgart 21" stimmen sollten. Und auch der Atomausstieg: Sofort, ohne
       Kompromisse, das fordern sie. "Ich verteidige die Bäume im Schlosspark.
       Egal, wie viele Leute für Stuttgart 21 sind", sagt eine Aktivistin.
       
       Der Sprecher der so genannten aktiven Parkschützer zeigte sich ebenfalls
       skeptisch. "Entscheidend ist, dass alle drei Tunnelparteien Stimmen
       verloren haben", sagt Matthias von Hermann der taz. "Damit ist das Projekt
       aber noch lange nicht beendet." Der Widerstand gehe in die nächste Runde.
       "Wir werden der neuen Regierung sehr genau auf die Finger schauen." Es ist
       ein konfliktreiches Erbe, das Grüne und SPD antreten.
       
       28 Mar 2011
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nadine Michel
   DIR Ingo Arzt
       
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   DIR Schwerpunkt Landtagswahl in Baden-Württemberg
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